Sex als Arbeit, Arbeit als Sex

renate lorenz, Kuratorin der Ausstellung »Normal Love«, über die Darstellung von Geschlecht und Begehren im Lohnverhältnis

Was hat Arbeit mit Sexualität zu tun? Die Ausstellung »Normal love / Precarious sex. Precarious work« geht von den Fotografien und Texten des Dienstmädchens Hannah Cullwick aus, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in London entstanden. Cullwick war stolz auf ihre »Männlichkeit«, auf ihre Muskeln und kräftigen großen Hände. Ihre Porträts und Selbstporträts, die sie mal als Hausangestellte, mal als »Class Drag« oder »Ethnic Drag« zeigen, waren Teil eines sadomasochistischen Verhältnisses, das sie mit Arthur Munby, einem Mann aus bürgerlichem Haus, unterhielt. Es waren Elemente von Hannah Cullwicks harter Arbeit im Haushalt, die das Material für die gemeinsamen SM-Szenen abgaben. Ausgehend von ihren historischen Selbstinszenierungen beschäftigen sich die Künstler und Künstlerinnen mit dem Zusammenhang von Sexualität und Arbeit. Die Ausstellung fragt dabei, ob sich Hannah Cullwicks Sehnsüchte und Selbstdarstellungsweisen heute im Feld der Arbeit womöglich als paradoxe und keineswegs freiwillige Anforderung verallgemeinert haben.

»Precarious Sex, Precarious Work«– mit dem Untertitel Ihrer Ausstellung greifen Sie zwei Themen­komplexe auf, die nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern im Kunstbereich derzeit beinahe überrepräsentiert sind. Was hat »Normal Love« dieser Debatte hinzuzufügen?

Die Ausstellung verbindet die Kritik an Heteronormativität, die aus der Queer Theory kommt, mit einer feministischen Kritik an neoliberalen Arbeitsverhältnissen. Mich hat es sehr geärgert, dass der Begriff der Prekarisierung momentan politisch so aufgeladen ist, aber dass Sexualität und Geschlecht wieder einmal nicht thematisiert werden. Die Ausstellung geht davon aus, dass Sexua­li­tät ein wichtiges Medium ist, um Menschen zu adressieren. Anerkennung oder Beschämung verlaufen beispielsweise sehr häufig über Sexua­lität. »Gut zu arbeiten«, bedeutet immer auch, den Anforderungen an Sexualität und Geschlecht gerecht zu werden oder sich damit beständig zu beschäftigen.

Die Ausstellung ist um die Tagebucheintragungen und die inszenierten Fotografien von Hannah Cullwick aufgebaut, einer schmutz- und putzversessenen Frau, die im vorletzten Jahrhundert ein sadomasochistisches Verhältnis mit ihrem bürgerlichen Arbeitgeber, ihrem späteren Ehemann, hatte. Wieso gehen Sie bis ins viktorianische Zeitalter zurück, um heutige Arbeits- und Geschlech­terverhältnisse zu kritisieren?

Hannah Cullwick hat in den von ihr selbst inszenierten Fotos überraschenderweise verschiedene gesellschaftliche Rollen eingenommen: die bürgerliche Ehefrau, die mit Schmutz bedeckte, schwarze Sklavin, die männliche Frau, das starke Dienst­mäd­chen. Dieses class and race crossing war eine Form von Drag Performance und Durchquerung von eigentlich fixen Positionen. Das, was sie damals begehrt hat, so die These der Ausstellung, hat sich inzwischen ver­allgemeinert als Anforderung in Arbeitsverhältnissen: Arbeitnehmerinnen sind zwar nicht mehr auf eine Po­sition festgelegt, z.B. muss eine Frau nicht unweigerlich lebenslang als Sekretärin arbeiten, sondern kann auch die Chefin werden. Aber zugleich wird die Fähigkeit verlangt, diese Positionen beständig zu durchqueren – die Chefin kann immer wieder zur Sekretärin gemacht werden, indem sie zum Kaffeeholen geschickt wird. Die Arbeit von Laura Aguilar aus der Serie »Latina Lesbian« lässt sich z.B. so lesen, dass sie zugleich als Tochter einer latein­amerikanischen Einwandererin, als Teil einer lesbischen Subkultur und als mög­liche erfolgreiche Akademikerin adressiert wird. Das verlangt eine Vielzahl von Verhandlungen und Überlegungen, einen dauernden Umgang mit Widersprüchen, Möglichkeiten und Zumutungen.

José Esteban Muñoz bezeichnet diesen Aufwand im Ausstellungskatalog als »Queer­ness Labor«. Diese zusätzliche »Arbeit« involviert in die Arbeitsverhältnisse und erschwert Distanz. Es handelt sich um einen Aufwand, der uns in die Lage bringt, uns beständig mit uns selbst und der Frage, »was wir sind«, zu beschäftigen. Häufig, so behauptet die Ausstellung, dürfen nicht nur, sondern müssen auch unterschiedliche Positionen zugleich eingenommen werden.

Cullwicks Leben symbolisiert sozusagen einen historischen Bruch, einen Paradigmenwechsel?

Natürlich nicht ihr Lebenslauf im Speziellen, doch Foucault beschreibt genau diese Epoche als Wechsel, in der die Sexualität beginnt, eine wichtige Rolle einzunehmen. Er kennzeichnet diese Zeit als Übergang vom Allianzverhältnis zum Sexualitätsverhältnis. Seit dieser Zeit, in der sich auch die Arbeitsverhältnisse wandeln, ist es z.B. möglich, Ehepartner selbst zu wählen und über die Liebe nachzudenken. Hannah Cullwick denkt in ihren Tagebüchern ganz viel über beide Bereiche nach, ob sie z.B. mit bloßen Armen putzen darf oder ob das zu weit geht. Sie schreibt auch, dass sie es genießt, eine Arbeitsstelle zu haben, bei der sie so viel arbeiten kann, wie sie möchte. Das klingt sehr nach einem neoliberalen Setting – eine Person, die es genießt zu arbeiten, leistet viel mehr, als sie muss. Aber sie macht auch die »falschen« Sachen, z.B. in einem Haushalt aus Begeisterung für Schmutz den Kamin säubern, obwohl dafür eigens ein Kaminfeger angestellt ist.

Was kann die Ausstellung zur Klärung dieser Fragen beisteuern?

Sie kann mit den gesellschaftlichen Bildarchiven und den wirksamen Phantasien in anderer Weise umgehen, als das ein Text oder eine politische Debatte kann. Die Ausstellungsgestaltung greift z.B. Hannah Cullwicks besonderen Umgang mit Fetischen auf. Sie verwendet immer Fetische, die sowohl bei der Arbeit eine Rolle spielen als auch bei der Sexualität, wie z.B. die Hand, die für sexuelle Berührung, aber auch für Handarbeit steht. Für sie sind die Fetische eine Art Wäh­rung, die es ihr ermöglicht, die Ökonomie ihrer Arbeitsverhältnisse wie auch ihres sexuellen Ver­hältnisses umzugestalten. Möglicherweise kann eine Ausstellung in die dominanten Bilder und Phantasien verändernd eingreifen.

interview: sonja eismann

Die Ausstellung »Normal Love« findet noch bis zum 4. März in Berlin im Künstlerhaus Bethanien statt. Informationen zu Filmprogramm und Vorträgen unter www.normallove.de