Weiß und unterdrückt

Drei Monate nach der antisemitischen Randale vieler Fans spielt der Fußballclub Paris-Saint Germain wieder vor Publikum. Die Rechtsextremen betrachten den damals erschossenen Hooligan als »Märtyrer«. von bernhard schmid, paris

Hat der französische Fußball seine Probleme überwunden? Rund drei Monate nach dem traurigen Zwischenfall vom 23. November wird dieser Eindruck erweckt. Damals kam es im Anschluss an ein Spiel zwischen dem Hauptstadtclub PSG (Paris-Saint Germain) und Hapoël Tel Aviv zu einer Zusammenrottung aggressiv auftretender Fans und Hooligans, die einen jüdischen Fußballfan und einen ihn beschützenden schwarzen Polizisten bedrohten (Jungle World 48/2006). Der von den Antillen stammende Beamte gab daraufhin einen Schuss aus einer Dienstpistole ab, der einen 25jährigen tödlich traf und einen weiteren jungen Mann an der Lunge verletzte.

Unter erheblichem Druck der Behörden hatte der Verein Paris-Saint Germain daraufhin zwei Stehtribü­nen auf der Südseite des clubeigenen Stadions Parc des Princes, wo sich bis dahin ein Großteil der gewalttätigen und teilweise rechtsradikalen Fans konzentriert hatte, bis auf weiteres geschlossen. Am letzten Samstag im Januar aber wurden die Stehplätze auf den beiden Tribünen R1 und R2 erstmals wieder für ein Spiel, das der PSG zu Hause gegen den Erst­ligisten Sochaux austrug, geöffnet. Der Polizeipräfekt von Paris stimmte dem Vorhaben zu, nachdem seiner Auffassung nach nunmehr ausreichende Sicherheitsmaßen ergriffen worden waren. Dazu gehören verbesserte Einlasskontrollen, für die neue Eingänge geschaffen wurden, aber auch das Engagement der Fanvereinigungen, nunmehr selbst in den eigenen Reihen gegen Gewalttäter, Rassisten und Antisemiten vorzugehen.

Da es seit Ende November zu keinen weiteren Zwischenfällen bei Fußballspielen gekommen ist, sieht die Polizeipräfektur die Auflagen als erfüllt an. Wegen verschärfter Vorschriften hatte der PSG drei Spiele der Champions League und zwei um den fran­zösischen Meistertitel vor einem teilweise leeren Stadion austragen müssen. Auch mussten viele Spiele zwangsweise auf den Nachmittag verlegt werden, was die Zuschauerzahlen ebenfalls verringerte und die Atmosphäre dämpfte. Seit dem Spiel gegen Sochaux von Ende Januar allerdings konnte wieder zur gewohnten Uhrzeit, samstags um 20 Uhr, angepfiffen werden. Bislang sind keine neuen Negativschlagzeilen zu verzeichnen gewesen.

Zugleich rückt man auch der Aufklärung dessen, was sich an jenem Abend des 23. November genau zugetragen hat, näher. Ende Januar veröffentlichte die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde auf ihrer Homepage längere Auszüge aus dem Protokoll der Vernehmung des Polizisten Antoine Granomort. Der 32jährige war nach dem tödlichen Schuss aus seiner Dienstpistole zunächst von der Pariser Staatsanwaltschaft als des Totschlags Beschuldigter vernommen worden. Alsbald machte sich die Staatsanwaltschaft jedoch die These zu eigen, er habe in Notwehr gehandelt, und nunmehr ist er im Ermittlungsverfahren nur noch Zeuge und nicht länger Be­schul­digter.

Einen Tag später publizierte Le Monde Zitate aus den Aussagen einer Reihe weiterer Augenzeugen. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild der damaligen Ereignisse, das tatsächlich die These, es habe sich um Not­wehr gehandelt, als äußerst plausibel erscheinen lässt. Im Bericht der Vernehmung von Mehdi C. etwa ist zu lesen: »In meinen Augen war es entweder er oder die Menge (der bzw. die Schaden nehmen würde), er hat Mut gehabt.« Derselbe Zeuge erzählt: »Die Angreifer schrien: ›Le Pen, Präsident!‹ und ›Frankreich den Franzosen!‹ Es waren Fans von der Südtribune.« Marc T. hat Rufe gehört wie: »Wir werden uns diesen Juden vorknöpfen.« Romaid D. sah den Hitlergruß und hörte »Rufe wie ›dreckiger Neger‹ in Richtung des Polizisten«.

Doch die rechtsbürgerliche Presse und die extreme Rechte haben die Debatte über den tödlichen Schuss auf je unterschied­liche Weise ausufern lassen. Das populistische Boulevardblatt France Soir, das am Anfang die aggressiven Fans als Opfer hin­stellte – bei gleichzeitiger Kritik an offen auftretenden Neonazis in ihren Reihen –, hat Antoine Granomort öffentlich ins Zwielicht gezogen. Im Dezember veröffentlich­te das Blatt einen längeren Artikel unter der Überschrift: »Antoine Granomort vor den Strafrichtern«. Der Artikel hatte keinerlei Bezug zur Affäre um den tödlichen Schuss, auch wenn das daneben stehende Foto das Gegenteil suggerierte. Erst aus der Lektüre des Texts ergab sich, dass es um eine völlig andere Angelegenheit ging, nämlich um einen mutmaßlichen Kreditkartenmissbrauch gegenüber dem Schwie­gervater Granomorts und um eine Falschanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls der Kreditkarte. Deshalb wird Granomort im Juni vor Gericht erscheinen müssen. Aber selbst wenn die Vorwürfe stimmen, ändert dies nichts an der Bewertung der aktuellen Affäre. Um die Neugier der Leserschaft zu wecken, erzeugte France Soir jedoch den gegenteiligen Eindruck.

Die konkurrierende, jedoch politisch intelligentere Boulevardzeitung Le Parisien ihrerseits hatte einen Mann aufgetrieben, den 54jährigen Henri Lemberger, dem der Polizist Granomort noch elf Tage vor dem Abend des tödlichen Schusses das Le­ben gerettet hatte. Für die Affäre, die am Abend des 23. November vor dem PSG-Stadion begann, tut das ebenso wenig zur Sache.

Die extreme Rechte hingegen macht aus Granomort einen Mörder und aus dem toten Julien Quemener einen Märtyrer, ähnlich wie der harte Kern der Fan- und Hooligan-Szene. Diese organisierte Anfang Dezember eine Demonstration, die nach demselben Muster wie linke Protestaktionen gegen Polizeigewalt aufgezogen war und auf der viel von »staatlicher Repression« die Rede war.

Die extreme Rechte spricht von einem »Staatsverbrechen«. Und sie rückt die Hautfarben des Polizisten und des Getöteten in den Mittelpunkt. Julien Quemener ist aus ihrer Sicht zu einem Opfer des angeblich zur Staatsdoktrin erhobenen Antirassismus geworden. Die rechtsextreme Wochenzeitung Minute karikierte Granomort mit einem rauchenden Colt in der Hand. Der als auf einer Kiste stehender Zwerg gezeichnete konservative Innenminister Nicolas Sarkozy – ei­ne Anspielung auf seine geringe Körpergröße – flüstert ihm ins Ohr: »Und wenn du mor­gen noch Frêche umlegst, bekommst du das Verdienstkreuz!« Gemeint ist damit ­Georges Frêche, der Regionalpräsident von Montpellier, der im vorigen Jahr mit rassistischen Sprüchen gegen eine nordafrikanische Einwanderergruppe wie auch gegen die »zu vielen Schwarzen« in der französischen Fußball-Nationalelf aufgefallen ist. Derselbe Georges Frêche wurde deswegen unlängst aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen.

In einem ironischen Artikel stellt Minute die Affäre um den Todesschuss so dar, als habe es einen Repräsentanten einer benachteiligten so genannten ethnischen Gruppe getroffen. In einer bemühten Gegenüberstellung von Fällen manifester Polizeigewalt gegen Mitglieder von Einwandergruppen, die in Unterschichtsvierteln oder Trabantenstädten leben, und dem Tod von Julien Quemener suggeriert Minute, dass die wahren Unterdrückten in Frankreich die Weißen seien. Nur würden sie deshalb nicht randalieren.