Der Rächer rächt nicht mehr

Die in der Türkei populäre Serie »Tal der Wölfe« wurde nach Protesten aus dem Programm genommen. Doch auch die Absetzung der Sendereihe ist umstritten. von constanze letsch

Die neuen Folgen der Serie »Tal der Wölfe« mit dem Staffeltitel »Terror« waren am 8. Februar gestartet. Die nicht nur in der Türkei beliebte Serie erzählt die Geschichte von Polat Alemdar, der als eine Art Untergrundagent im Auftrag eines fiktiven türkischen Geheimdiensts gegen die Mafia kämpft und dabei alles niederschießt, was sich ihm und seiner Vaterlandsliebe in den Weg stellt. Die Serie basiert teilweise auf wahren Begebenheiten und stellt besonders umstrittene politische Ereignisse nach. Die geschickte Verflechtung von Fakten und Fiktion gehört zum Erfolgskonzept der Serie.

Doch dieses Mal gönnte man dem gerechten Rächer kein Happy End. Nach Ausstrahlung der ersten Folge riefen über 14 000 Zuschauer bei der türkischen Rundfunkaufsichtsbehörde RTÜK an, um sich zu beschweren. Die Darstellung des überaus sensiblen Themas sei einseitig und gefährlich, das Drehbuch rassistisch und nationalistisch. Viele äußerten ihre Bedenken wegen der Gewalttätigkeit der Serie und deren vermeintlichem Einfluss auf Kinder und Jugendliche. Das ist nicht neu: Seit die erste Staffel 2003 gesendet wurde, hat die Darstellung von Gewalt und brutaler Selbstjustiz für Diskussionen gesorgt. Auch der international vermarktete Kinofilm »Tal der Wölfe - Irak« hatte wegen seines grob antiamerikanischen und antisemitischen Gehalts heftige Debatten ausgelöst.

Der Hinweis auf die Fiktionalität der Charaktere und Handlungen, der vor Beginn jeder Folge eingeblendet wird, ist in Stil und Wortwahl bereits Teil des Erzähltextes, Teil der zelebrierten Verschwörungstheorien. In der ersten Folge von »Tal der Wölfe – Terror« ist es eine kurdische Mutter, die den Agenten um Hilfe bittet. Zwei ihrer Söhne sind tot, der eine ist als Soldat gefallen, getötet in einem Hinterhalt der PKK. Der andere ist »in den Bergen« als Guerillakämpfer ums Leben gekommen. Ihre einzige Tochter ist der PKK beigetreten. Der Rächer beschließt, vorbei an Armee und Sicherheitskräften, gegen »den Terror« ins Feld zu ziehen und im geliebten Vaterland wieder Ordnung und Frieden herzustellen.

Die Methode, politische Fakten und emotional aufgeladene Fiktion zu vermischen, funktioniert erneut: Ein besonders grausamer Überfall auf einen Reisebus soll an ähnliche Überfälle in den achtziger Jahren erinnern, während ein in der ersten Folge noch unsichtbarer Bösewicht, der das Land teilen und dem PKK-Führer den gesamten Mittleren Osten überlassen will, sich wiederholt auf die heutige Irak-Politik bezieht. Der Kurdenkonflikt, die Geschichte der PKK, türkische Geschichte, das ergebe eine Propagandamischung, die sich garantiert gut verkaufen würde, dachten wohl die Macher der Serie. Doch die Ermordung des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink hat die Sensibilität gegenüber der Gewaltbereitschaft und den steigenden nationalistischen und militaristischen Tendenzen im Land wachsen lassen.

Die Rundfunkaufsicht lud die Produzenten der Serie sowie den Intendanten des Senders Show TV, Saner Ayar, zu Gesprächen nach Ankara ein. Die endgültige Entscheidung fiel jedoch erst in letzter Minute. Zur vorgesehenen Sendezeit wurde eine Erklärung der Produktionsfirma Pana-Film verlesen, in der die Verantwortlichen die Entscheidung der Rundfunkaufsichtsbehörde hart kritisierten und versprachen, den Zuschauern die Serie auf digitalem Weg oder im Internet zugänglich zu machen. Auf dem frei gewordenen Sendeplatz wurde der nationalistisch und emotional aufgeladene Dokumentarfilm »Kan Uykusu« über den Kurdenkonflikt ausgestrahlt.

Die Absetzung der Serie löste große Entrüstung aus. Die Forderungen nach einem Ende der Serie waren vor allem von Links­intellektuellen gekommen, doch nur wenige befürworteten das endgültige Sendeverbot öffentlich. Die Aufsichtsbehörde hatte den Sender vor die Wahl gestellt: Entweder die umstrittene Serie werde aus dem Programm genommen, oder der Sender werde für 30 Tage geschlossen. Außerdem wurde der Entzug der Sende­lizenz angedroht. Dabei bezog sich der Rundfunkrat auf den oft kritisierten Artikel 4 des RTÜK-Gesetzes, der Sendungen wegen rassistischer, diskriminierender, separatistischer oder solcher Inhalte verbietet, die gegen Verfassungsprinzipien, Grund­rechte oder allgemeine Moralvorstellungen verstoßen.

Auch wenn im juristischen Sinne nicht von Zensur gesprochen wird: Faktisch wird die Entscheidung von vielen als solche verurteilt. Die Tageszeitung Hürriyet ließ auf ihrer Internetseite Zuschauer darüber abstimmen, ob es richtig gewesen sei, die Serie abzusetzen. Mehr als eine Million Leute stimmten ab, 88 Prozent sind der Meinung, dass die Serie nicht hätte abgesetzt werden dürfen. Zahlreiche Fanseiten geistern durch das Internet, Fragmente und Trailer der nicht gesendeten Folge sind überall zu finden. Cengiz Semercioglu schreibt in Hürriyet: »Es bringt mehr, die RTÜK anzurufen, als Artikel zu schreiben.« Er behauptet: »Die RTÜK ist der heimliche, aber wirkliche Intendant der Fernsehkanäle.« Die Gefahr, dass das Beispiel Schule macht und die Absetzung missliebiger Sendungen gefordert wird, ist nicht ganz unbegründet. Schon ruft der Kolumnist des Boulevardblatts Aksam danach, auch andere unliebsame Bilder, Songs oder Sendungen zu verbieten.

»Heute Pana, morgen du« lautet die Überschrift auf der offiziellen Webseite zur Serie (www.kurtlarvadisi.com). Doch auch linke Stimmen äußern sich kritisch. Haluk Sahin, Journalist und Kommunikationswissenschaftler, warnt davor, kritische Diskussionen über den Weg der Zensur umgehen zu wollen. Es müssten andere Möglichkeiten gefunden werden, problematischen Sendungen zu begegnen. Die Argumentation, Filme wie »Tal der Wölfe« würden zu Gewalt aufrufen und zu Mord und Totschlag führen, greift vielen zu kurz. Saner Ayar verteidigt die erfolgreichste Serie seines Senders: »Es ist nicht richtig, ›Kurtlar Vadisi‹ für das Verhalten von Leuten wie Ögün Samast (des mutmaßlichen Mörders von Hrant Dink; die Red.) verantwortlich zu machen.«

Der kritische Publizist Haluk Sahin sieht es so: »Es gibt viele Gründe für Gewalt. Gesellschaftliche, familiäre, ökonomische usw. Aber wenn Gewalt als Problemlösung das Fundament einer Gesellschaft darstellt und Medien diese Philosophie mit bestimmten Inhalten, wie z.B. in ›Tal der Wölfe‹, unterstützen, dann haben diese Sendungen einen Anteil an der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft.« Besonders auffällig ist an der Debatte über Zensur und soziale Verantwortung die Emotionalität und die diskursive Unklarheit, mit der sie geführt wird. »Warum soll die Öffentlichkeit nicht endlich die Wahrheit über den Terror in der Türkei erfahren?« wird von vielen Journalisten und Kritikern der Entscheidung entrüstet gefragt. In Radikal schreibt Hasan Celal Güzel, dass auch kurdische Bürger von einer Serie profitieren würden, die endlich diejenigen benennt und verurteilt, die im Namen aller Kurden morden und Terror aus­üben. Man könnte glauben, dass es keine fiktionale Fernsehserie ist, über die diskutiert wird, sondern eine Art Nachrichtensendung, ein als Wahrheit empfundenes Dokument.

Das beweist auch, wie gut »Tal der Wölfe« funktioniert. Doch Propaganda im Internet-Zeitalter auf einem Kanal zu verbieten, gleicht dem Versuch, sich zu verstecken, indem man die Augen schließt. Rakel Dink, die Ehefrau des ermordeten Journalisten, forderte bei seiner Beerdigung, endlich das Dunkel zu erhellen, in dem ein Kind zum Mörder heranwachsen könne. Ein Anruf bei der Rundfunkaufsicht wird da nicht genügen.