Alfredo gibt nicht auf

In Osttimor jagen australische Truppen erfolglos den Deserteur Reinado und seine Kämpfer. Die ehemalige Befreiungsbewegung Fretilin ist gespalten. von gilles bouché, melbourne

Alfredo Reinado schien nur noch die Wahl zwischen dem Tod und dem Gefängnis zu haben. Ende Februar hatten australische Soldaten den aufständischen Offizier und 150 seiner bewaffneten Anhänger in der Kleinstadt Same eingekreist. Die Forderung des australischen Außenministers Alexander Downer, er solle sich ergeben, beantwortete er in einem Telefoninterview recht deutlich: »Sagt den australischen Truppen, sie können sich die Kapitulation in den Arsch stecken.«

Mit Kampfhubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen stürmten die Interventionstruppen dann in der Nacht zum 4. März die Stadt. Bei dem zweistündigen Schusswechsel wurden fünf Aufständische getötet, die Australier erlitten keine Verluste. Über die Zahl der Verhafteten und der sichergestellten Waffen gibt es bislang keine Angaben, die Australier mussten jedoch zugeben, dass Reinado und viele seiner Kämpfer ihnen entwischt sind.

Etwa 100 der in Same Eingeschlossenen waren Deserteure. Die Männer gehören zu einer Gruppe von 600 Soldaten, die bereits im Februar vergangenen Jahres ihre Kasernen verlassen hatten. Die Soldaten aus dem Westen Osttimors fühlten sich von Offizieren aus dem Osten diskriminiert. Im April lösten die Proteste der Deserteure Unruhen aus, bei denen über 30 Menschen getötet wurden und 150 000 Menschen aus der Hauptstadt Dili flohen. Soldaten kämpften gegen Soldaten, die Regierung sah sich gezwungen, internationale Sicherheitskräfte zur Hilfe zu rufen, die unter australischer Führung die Unruhen vorläufig beendeten.

Gegen Reinado erging ein Haftbefehl wegen Rebellion und Mordes. Seine Entscheidung, sich den Deserteuren anzuschließen, begründete er mit der Behaup­tung, die Armee habe den Befehl erhalten, auf die Demonstranten zu schießen. Am 23. Mai eröffnete er persönlich das Feuer auf Soldaten der regulären Armee. Nach der Landung der internationalen Sicherheitskräfte wurde Reinado fest­genommen, er konnte jedoch im August aus dem Gefängnis entkommen.

Bis Ende Februar schien eine friedliche Lösung des Konflikts möglich. Nach langwierigen Ver­handlungen mit Vertretern der Re­gierung, der UN-Mission und der inter­nationalen Sicherheitskräfte unterzeichne­te Reinado ein Abkommen, in dem er sich erst­mals bereit erklärte, sich vor Gericht für die Vorfälle vom 23. Mai zu verantwor­ten. Doch zwei Tage später überfielen seine An­hänger zwei Posten der Grenzpolizei und versorgten sich mit Waffen. Präsident Xanana Gusmão erklärte die Verhandlungen daraufhin für gescheitert und forderte die internationalen Sicherheitskräfte auf, Rei­nado zu verhaften, wenn nötig mit Gewalt.

Dass Reinados Kämpfer die Taktik der australischen Armee kennen, weil sie von ihr ausgebildet wurden, hat ihnen Anfang März möglicherweise die Flucht erleichtert. Zudem ist der aufständische Of­fizier im Westen des Landes populär, von vielen Jugendlichen wird er als Held verehrt. Auch in der Hauptstadt hat er Anhänger, sogar im Parlament. Oppositionelle Abgeordnete wie Leandro Isaac beteiligten sich an der Kampagne der Nationalen Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit (MUNJ), die in den vergangenen Monaten versuchte, mit Demonstrationen Druck auf die Regierung der Fretilin-Partei auszuüben, um Reinados Verhandlungsposition zu stärken.

Der militärische Konflikt ist eine Folge der Spaltung der ehemaligen Befreiungsbewegung Fretilin, die den Kampf gegen die indonesische Besatzungsmacht führte. Im Jahr 1999 erlangte Osttimor die Unabhängigkeit. Die Fretilin dominiert seitdem das Parlament, zerfiel jedoch in Fraktionen. Premierminister Mari Alkatiri, der nach den Unruhen im vergangenen Jahr zurücktreten musste, aber noch immer großen Einfluss hat, ist ein Linksnatio­nalist und Gegner einer Abhängigkeit von Aus­tralien. Präsident Xanana Gusmão, der als Sym­bolfigur des Befreiungskampfes gilt, stellte sich auf die Seite der »Pragmatiker«, die auch zu Zugeständnissen gegenüber Australien bereit sind, weil sie sich davon ökonomische Vorteile erhoffen.

Doch es geht weniger um politische Programme als um den Machtkampf regionaler Führungsschichten aus dem Osten und Westen des Landes. Die Armut sorgt dafür, dass keine Fraktion Probleme damit hat, unzufriedene Jugendliche zu rekrutieren. Vor dem Ab­zug verwüsteten die indonesischen Soldaten und Milizionäre das Land, trotz eines internationalen Hilfsprogramms ist Osttimor der ärmste Staat Asiens. Vor allem in Dili kämpfen rivalisierende Gangs mit Steinen, Macheten, Pfeilen und manchmal auch Schusswaffen um Ansehen und um die Kontrolle einzelner Viertel. Meist beflügeln vor allem Alkohol und Testosteron die Gangmitglieder, es gibt jedoch auch parteipolitische Zuordnungen.

Als sich die Nachricht vom Militäreinsatz gegen Reinado verbreitete, riefen seine Anhänger in Dili: »Lang lebe Alfredo« und zündeten Barrikaden aus Autoreifen an. Mehrere Autos und Regierungsgebäude gingen in Flammen auf. Vor der australischen Botschaft lieferten sich rund 500 Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei. Vereinzelt kam es auch zu Über­griffen auf Ausländer. Ein Sprecher der MUNJ drohte, Jugendliche aus allen Distrikten zu Protesten in Dili aufzurufen, sollte der Haftbefehl für Reinado nicht zurückgezogen werden.

Präsident Gusmão erweiterte die Befugnisse der Sicherheitsdienste per Dekret und drohte mit »härteren Maßnahmen«, falls das nicht aus­reichen sollte. Verhaftun­gen und Durchsuchun­gen können seither ohne Ermächtigungen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt werden. Erstmals seit der Krise im vergangenen Jahr verließen Einheiten der nationalen Armee ihre Kasernen, um öffentliche Gebäude zu schützen und die Polizei zu entlasten. Seit australische Soldaten bei einer Razzia in einem Flüchtlings­lager zwei Timoresen töteten, wächst zudem das Ressentiment gegen die Präsenz internatio­naler Sicherheitskräfte und australischer Staats­bürger.

Dass der ehemalige Innenminister Rogerio Lobato am Donnerstag der vergangenen Woche zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, weil er während der Krise Waffen an Zivilisten verteilt hat, könnte zu weiteren Konflikten führen. Die Atmosphäre ist nicht unbedingt geeig­net für die Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen, die am 9. April stattfinden sollen. Gus­mão will nicht noch einmal antreten, der derzei­tige Premierminister José Ramos-Horta erklär­te Ende Februar, er wolle »die Bürde annehmen«. Die für das Wochenende befürchteten Auseinandersetzungen blieben jedoch aus. Das Obers­te Gericht entschied, dass alle acht Kandidaten, die sich um die Präsidentschaft bewerben wollen, an der Wahl teilnehmen dürfen.