Bachelor für Cops

Die griechische Regierung hat die umstrittene Bildungsreform verabschiedet. Trotz einiger Ermüdungserscheinungen gehen die Auseinandersetzungen weiter. von ralf dreis

An Großdemonstrationen, Straßenschlachten mit der Polizei und den unvermeidlichen Tränengasnebel hatten sich die Menschen im Zentrum von Athen längst gewöhnt. Doch Anfang März wurde erstmals scharf geschossen. Demonstranten hatten während eines erneuten Aktionstages gegen die Hochschulreform der Bildungsministerin Marietta Giannakou versucht, ein Ministerium mit Molotowcocktails anzu­greifen. Daraufhin schoss ein dort eingesetzter Wachmann mit seiner Dienstpistole über ihre Köpfe hinweg. Der Schusswaffengebrauch wurde umgehend vom Minister für öffent­liche Ordnung, Byron Polydoras, gerechtfertigt. Der abgegebene Schuss ist exemplarisch für das explosive Klima, wenn es um den Bildungsbereich geht.

Nachdem die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kostas Karamanlis monatelang jede inhaltliche Auseinandersetzung mit der Studentenschaft und der Gewerkschaft der Hochschulpädago­gen verweigert hatte, verabschiedete sie am Donnerstag voriger Woche das Gesetz zur umstrittenen Bildungsreform. Im vergangenen Jahr musste der Gesetzesvorschlag, nach vier Monaten ununterbrochener militanter Massenproteste und angesichts der nahenden Kommunalwahl, vorläufig zurückgezogen werden. Die Universitätsbesetzungen fanden damals zur gleichen Zeit statt wie harte Arbeits­kämpfe der Grundschullehrer und Kindergärtner sowie Schulbesetzungen von Mittel- und Oberstufenschülern. Dies hatte zu einer »Einheitsfront« im gesamten Bildungssektor und darüber hinaus zur Solidarisierung Tausender Eltern, die plötzlich gezwungen waren, ihre Kinder mit zur Arbeit zu neh­men, mit den Demons­tranten geführt. (Jungle World 25/06)

Die Solidarisierung anderer gesellschaftlicher Gruppen bleib diesmal aus. Nach wochenlangen Universitätsbesetzungen, Demonstrationen und Straßenschlachten, vor allem in Athen und Thessaloniki, unterstützten zuletzt viele Journalisten die Regierung in ihrer Unnachgiebigkeit. Ihnen ging es dabei nicht um die Inhalte der Reform, sondern schlicht um die Staatsraison. Die Regierung müsse beweisen, ob sie sich durchsetzen könne oder vermummte Anarchisten das Land regierten, lautete der Tenor.

Ob das Thema »Bildungsreform« nun endgültig erledigt ist, bleibt dennoch abzuwarten. Während die Regierungspartei im halbleeren Parlament ihr Gesetz alleine verabschiedete, da die Opposition aus Kommunistischer Partei (KP), Linksallianz und sozialdemokratischer Pasok die Abstimmung boykottierte, demonstrierten im Zentrum von Athen mehrere tausend Studierende gegen die »Reform« und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Beamten setzten Gummigeschosse ein und nahmen etwa 70 Menschen fest.

Die KP und die Linksallianz halten die Reform schlicht für verfassungswidrig. In der Pasok gibt es dazu unterschiedliche Meinungen, die Verantwortlichen erhofften sich aber von einer Ablehnung des Gesetzes bessere Chancen bei den Parlamentswahlen, die spätestens in einem Jahr stattfinden sollen. So kündigte der Vorsitzende der Partei, Giorgos Papandreou, an, »nach der nächsten Wahl eine Volks­abstimmung über die Veränderungen im Bildungssektor« abzuhalten.

Die Gewerkschaft der streikenden Hochschulpädagogen und die Studierenden, die noch am Tag der Abstimmung fast 300 Fakultäten im Land besetzt hielten, gaben sich entschlossen, den Kampf weiterzuführen. »Dieses Gesetz wird nie in Kraft treten!« hieß es etwa auf Transparenten. Für die kommenden Tage sind ein Widerstandskonzert unter dem Motto »Bildung für alle« und ein weiterer Aktionstag in Athen angekündigt. Wegen der Polizeiübergriffe auf die Demonstration am Donnerstag in Athen kam es bereits in der Nacht zum 9. März zu erneuten Straßenschlachten in Thessaloniki.

Trotzdem sind Ermüdungserscheinungen auszu­machen, und seit der vergangenen Woche kommt es auch in den Universitäten häufiger zu Hand­greif­lichkeiten. Anhänger der konservativen Regierungs­partei Nea Dimokratia, meist organisiert in der studentischen Organisation DAP und der Jugendorganisation ONNED, versuchten unter anderem in Volos, Patras und an der Panteion-Universität in Athen, Besetzungen mit Gewalt zu beenden. Auch auf den Vollversammlungen häufen sich die Spannungen zwischen studentischen Gegnern und Befürwortern der Besetzungen. Grund für die Uneinigkeit ist die derzeitige Prüfungsperiode, die endgültig verloren zu gehen droht, obwohl der Kampf doch bereits entschie­den scheint.

Hintergrund der heftigsten studentischen Proteste seit 1990/91 ist die Abschaffung des staatlichen Bildungs­mono­pols und die Einführung privater Hochschulen. Bisher war dies nach Artikel 16 der Verfassung verboten. Begründet wird die Abschaffung mit den Anforderungen des so genannten Bo­logna-Prozesses, der zur Schaffung eines »einheitlichen europäischen Hochschulraums« bis 2010 und mehr »Wettbewerb« unter den Hochschu­len führen soll. Die hinlänglich bekannten Methoden zur »Behebung der Bildungsmisere«, wie die Verkürzung der Regelstudienzeit, ein System zur Bewertung der Lehrenden und die stärkere Aus­richtung der Forschung an Wirtschaftsinteressen, sind im Gesetz vorgesehen. Studium und Lehrbücher sollen generell nicht mehr kostenlos sein.

Dazu durchaus passend, soll die Anzahl der jährlich neu zugelassenen Studenten drastisch reduziert werden. Dies wird der Tageszeitung Eleftherotypia zufolge den enorm unterfinanzierten Hochschulen zugute kommen. Bereits im nächsten Jahr soll nur noch jeder zweite Bewerber zum Studium zugelassen zu werden. Der­zeit werden nach Ge­werkschaftsangaben nur dreieinhalb Prozent des Brutto-Inlandsprodukts in die Bildung investiert. Mindestens fünf Prozent wären jedoch nötig, um eine einigermaßen angemessene Infrastruktur aufzubauen.

Einer der umstrittensten Punkte des Gesetzes ist die vehement vom Polizeiapparat und von vielen Medien geforderte Abschaffung des Hoch­schulasyls. Am 17. November 1973 hatte die damals herrschende Obristen-Junta den so genannten Studentenaufstand im Athener Polytechnikum mit Panzern gewaltsam niedergeschlagen. Die erste linke griechische Regierung in der Geschichte, die nicht durch einen Putsch gestürzt wurde – die Pasok-Regierung im Jahr 1981 –, erließ vor diesem Hintergrund 1982 ein Gesetz, das es der Polizei nur mit einstimmigem Beschluss eines Hochschulgremiums, in dem auch Studenten sitzen, erlaubt, ein Universitäts­gelände zu betreten. Was de facto einem Verbot gleichkommt. Da die Universitäten nicht nur in den vergangenen Wochen ein wichtiges Rück­zugs­gebiet bei Straßenschlachten mit der Polizei waren, ist dieser Teil der Reform als direkter Angriff auf widerständige gesellschaftliche Gruppen zu verstehen.

In dem neuen Gesetz fallen weite Teile der Universität wie Studentenwohnheime, Freiflächen und Eingangsbereiche der Fakultäten nicht mehr unter das Hochschulasyl. Nach dieser Lesart wäre sogar die Erstürmung des Polytechnikums mit Panzern im Jahr 1973 rechtmäßig erfolgt. Auch die Unterrichtsräume dürfen nun nach einem Mehrheitsbeschluss des Hochschulgremiums von der Polizei betreten werden. Besetzte Universitäten könnten also geräumt werden, wenn Universitätsleitung und Professoren »das Recht auf Bildung« nicht mehr gewährleistet sehen und die Studentenvertreter im Gremium überstimmen.