Sonstige und SPD

Die Hamburger SPD hat mit Michael Naumann einen prominenten Bürgermeisterkandidaten für sich gewonnen. Über die Krise der Partei kann das aber auch nicht hinwegtäuschen. von richard gebhardt

Gerade noch hatte der Göttinger Politologe Franz Walter auf Spiegel online geklagt, es gebe in der SPD keinen Platz mehr für profilierte Persönlichkeiten, da überraschten die Hamburger Genossen schon mit dem Gegenteil. Michael Naumann, der ehemalige Kulturstaatsminister und heutige Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, bot sich den durch eine manipulierte Urabstimmung krisengeschüttelten Hamburger Sozialdemokraten als Retter an. Vermittelt hatten den Coup der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der SPD, Olaf Scholz, und der Parteivorsitzende, Kurt Beck.

Die Nominierung Naumanns, der einst leitender Redakteur beim Spiegel, Verlagsmanager in New York und Geschäftsführer des Rowohlt-Verlages war, wurde mit großer Erleichterung aufgenommen. »Naumann ist ein intellektuell brillanter Kopf mit großer politischer Erfahrung«, jubelte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, kündigte an, man wolle in Hamburg damit beginnen, das »Land zurückzuerobern«.

Dass die Wiederkehr eines Politikers aus dem ersten rot-grünen Kabinett derart euphorisch aufgenommen wird, ist ein Zeichen für die Schwäche nicht nur der Hamburger SPD. Die Turbulenzen, die der Kandidatenkür in Hamburg vorangegangen waren, sind symptomatisch für die Partei. Bei einer Urabstimmung über die Frage, wer die SPD als Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2008 anführen sollte, der Landesvorsitzende Mathias Petersen oder seine Stellvertreterin, Dorothee Stapelfeld, waren Ende Februar auf dubiose Weise 950 Stimmzettel verschwunden. Daraufhin trat der 24köpfige Landesvorstand zurück.

Ob in Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg oder Wiesbaden, wo die Verantwortlichen sogar die fristgerechte Anmeldung ihres Kandidaten zur Bürgermeisterwahl versäumten – Nachrichtenwert hatte die SPD außerhalb der Großen Koalition vor allem dann, wenn über Pleiten, Pech und Pannen berichtet werden konnte. Kein Wunder, dass die Partei in den Umfragen bundesweit inzwischen nur noch auf 25 Prozent kommt.

In Hamburg desertierten alte sozialdemokratische Parteisoldaten wie der frühere Bürgermeister Henning Voscherau bereits vor dem Beginn des Wahlkampfs. Für den von verzweifelten Hamburger Parteigranden geäußerten Wunsch nach einer Rückkehr in die Landespolitik hatte er, der bereits 1997 zurückgetreten war, nachdem die Koalitionsverhandlungen mit der rechtspopulistischen Statt-Partei gescheitert waren, nur den kühlen Satz parat: »Vorbei ist vorbei.«

Ein Satz, der einigen als Leitmotiv für den Niedergang der SPD gilt. Aber eine »Partei in Auflösung«, wie der Wahlforscher Manfred Güllner in der taz meint, ist die SPD noch nicht. Indessen hat der Niedergang der Sozialdemokratie als eine mehrheitsfähige Volkspartei eine lange Vorgeschichte.

Seit dem Rücktritt Willy Brandts im Jahr 1987 hat die SPD mit Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Johannes Rau, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck und Kurt Beck so oft den Parteivorsitzenden gewechselt, als gelte für dieses führende Amt das Rotationsprinzip. Derzeit regieren die Sozialdemokraten noch in fünf Bundesländern und dabei nur in Berlin und in Rheinland-Pfalz nicht in einer Großen Koalition. In Sachsen, wo sie bei der Bundestagswahl nur 9,8 Prozent der Stimmen gewinnen konnten, laufen sie Gefahr, bald unter der Rubrik »Sonstige« geführt zu werden.

Drastisch ist auch der Rückgang der Mitgliederzahlen. In einem internen Bericht des Willy-Brandt-Hauses zur Mitgliederentwicklung wird von einem starken Einbruch bei der Stammklientel, also bei Angestellten, Arbeitern und Facharbeitern, berichtet. Seit dem Regierungsantritt Schröders bis Ende des Jahres 2005 hat die Partei rund 165 000 Mitglieder verloren, fast 44 000 davon haben im Jahr 2004, als Hartz IV verabschiedet wurde, das Parteibuch zurückgegeben. Die größte Gruppe der in der Partei verbliebenen Mitglieder stellen heute mit 25,5 Prozent die Rentner und Pensionäre. Das Durchschnittsalter beträgt 57 Jahre.

Das Ende der SPD als Programm- und Mitgliederpartei wurde zu einem Zeitpunkt besiegelt, als sie in die »Neue Mitte« vorstieß. Schröder forcierte seinerzeit den Wandel von der Mitglieder- zur Akklamationspartei, deren Anhänger die neuesten Beschlüsse über die Medien mitgeteilt bekamen und sie nur noch abzunicken hatten. Die »Neue Mitte« erfüllte aber nur kurze Zeit die in sie gesetzten Hoffnungen. Zurzeit ruft Generalsekretär Hubertus Heil die Mitglieder wieder zu einer großen Debatte über das Grundsatzprogramm auf.

Allerdings ist auch bei genauem Hinsehen nicht erkennbar, welche neuen Impulse von den Diskutanten ausgehen könnten. Während Beck am Wochenende die alten Phrasen vom wirtschaftlichen Erfolg bei gleichzeitiger ökologischer und sozialer Gerechtigkeit beschwor und die Rente mit 67 als einen Schritt dorthin bezeichnete, grübeln die Intellektuellen im Umfeld der Partei derweil im Theorieorgan Frankfurter Hefte / Die Neue Gesellschaft über die Neugestaltung des Sozialliberalismus als Option jenseits einer Großen Koalition; ganz so, als seien die alten liberalen Vorzeigepolitiker der FDP, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die potenziellen Nachfolger von Guido Westerwelle. Andere Sozialdemokraten wie den Vorsitzenden der SPD im Saarland, Heiko Maas, kümmern diese Spekulationen nicht. Sie fordern antiliberale Maßnahmenn wie die Einführung einer öffentlichen Datei für Sexualstraftäter.

Ob in der Frage der Tornado-Einsätze der Bundeswehr oder in der Sozialpolitik: Die SPD erfüllt ohne Rücksicht auf die eigenen Stammwähler die Vorgaben des Koalitionsvertrags. Vergeblich appellierte der Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, an die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag, das Gesetz zur Rente mit 67 abzulehnen. »Offensichtlich schenkt die SPD einem Teil der Arbeitnehmerschaft nicht mehr die gebührende Aufmerksamkeit. Das rächt sich«, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Aber lediglich elf Abgeordnete folgten seinem Aufruf.

Dass sich mancher Gewerkschafter immer noch in der SPD täuscht, kann nicht verwundern. Die Illusion über die Partei als »eigentliche« Sachwalterin der Lohnabhängigen ist nach wie vor ein Glaubensgrundsatz gewerkschaftlich orientierter Linker. Und der ist nicht nur bei der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) und ihrem Vorsitzenden, Ottmar Schreiner, unerschütterlich. Als Hoffnung für diesen kleinen Rest ihrer Klientel wird die SPD noch lange weiterexistieren. Im Notfall auch ohne Mitglieder.