Tel Avivo

D’r Zoch kütt
Von

Als Rheinländer war ich natürlich sehr gespannt auf Purim, das jüdische Karnevalsfest. Es hat, völlig im Unterschied zum Fasching in Deutsch­land, biblische Ursprünge. Am Ende läuft es jedoch auf dasselbe hinaus: Kostüme, Umzug durch die Stadt und Saufen, bis der Arzt kommt. Das Zechen ist bei Purim sogar religiöse Pflicht, weshalb man in den orthodoxen Vierteln Israels prima tanzende und kotzende Orthodoxe bestaunen kann. Die Schulkinder haben zwei Tage frei und laufen als Cowboy, Batman oder Prinzessin durch die Straßen.

Das Wochenende vor Purim war partytechnisch schon Purim. Ob beim OpenAir-Techno in Florentin oder beim Rave in der Wüste, überall hopsten Schlümpfe, Engel, Teufel und sexy Nurses (»adult costume«) umher. Auch die Nächte in Tel Aviv hatten es in sich. Und good old DJ Lawrence aus Hamburg heizte mit den Pacotek-Leuten zusammen mächtig ein. Ein schwer alkoholisiertes russisches Pärchen hatte alte Rotarmisten-Uniformen übergestreift, ich ging als halbwegs schwuler Polizist (jedoch nicht die »adult«-Version).

Am Purim-Tag selbst dann der zentrale Umzug in Holon, einem Vorort von Tel Aviv. Tausende Menschen säumten den Sokolov-Boulevard, auf dem die Wagen und Tanzgruppen vorbeizogen. Es sollte dieses Jahr erstmals eine Parade der Nationen werden, eine Art Karneval der Kulturen. Vorneweg marschierte das Polizei­orchester. Die Figur auf dem Israel repräsentierenden Wagen war ein Kaktus, der einen Pionier-Hut trug und in der einen Hand einen Fleischspieß (Grillen ist eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung in Israel) und in der anderen – natürlich – ein Handy hielt. Auf dem deutschen Wagen prangten eine schwarz-rot-goldene Fahne und ein Fußball, hinter einem prunkvollen Theatervorhang tanzten ein schwarz, ein rot und ein golden gekleidetes Mädchen Ballett.

Auf dem jordanischen Wagen wurde unter einem riesigen Pappmaché-Kamel Bauchtanz geboten. Zwischen den Wagen immer Tanzgruppen, meist aus Schulen oder Jugendzentren rekrutiert, hauptsächlich Mädchen. Vor allem asiatische Länder waren stark vertreten, sie hatten im Gegensatz etwa zu Deutschland auch eigenes Personal. Thailand, Myanmar, Nepal (mit einem »Free-Tibet«-Ballon und dem Foto des Dalai Lama), China – und auch die 50 Mitarbeiter der philippinischen Botschaft hatten sich viel Mühe gegeben für ihren Auftritt. Besonders bunt und ausgelassen waren selbstverständlich die Brasilianer (grüne Federboas mit gelben Davidsternen).

Kamelle, also Bonbons, gab es nicht, stattdessen gehört es zur Tradition, sich gegenseitig mit Sprühschaum einzu­sauen. Ein Bützchen bekommt man dafür aber nicht. Jedenfalls nicht beim Umzug, der nach zwei Stunden schon wieder vorbei war. Aber abends ging die Sause ja in den Clubs und Straßen weiter, und wer nach vier Tagen immer noch nicht genug hatte, konnte noch nach Jerusalem fahren, wo Purim tradi­tionell einen Tag später gefeiert wird. Dort vor der Klagemauer sollen schwer besoffene, Luftgitarre spielende Orthodoxe gefeiert haben. Ich habe es aber nicht mehr bis zur Mauer geschafft. Bei allem Respekt vor dem religiösen Saufgebot, irgendwann klingt auch das schöne »Lechájim« (Auf das Leben) wie eine Durchhalteparole.

ivo bozic