Vaterhaus statt Jugendhaus

Nach den Auseinandersetzungen in Kopenhagen sitzen rund 200 Jugendliche in Untersuchungshaft. Die Stadt hat das Ungdomshuset inzwischen abreißen lassen. von alfred lang, kopenhagen

Das autonome Zentrum Ungdomshuset in Kopenhagen gibt es nicht mehr. Maskierte Arbeiter rissen am Montag voriger Woche das Gebäude ab. Die Firma, die den Abrissauftrag von der Sekte »Vaterhaus«, an die das Zentrum verkauft wurde, angenommen hat, arbeitet vorwiegend mit ungesicherten Billigarbeitern aus Osteuropa. Die Vorsitzende der Sekte, Ruth Evensen, proklamierte unmittelbar nach dem Abriss auf einem Freudenfest der Sektengemeinde den »christlichen Sieg« über das »satanische Nörrebro«, das ehemalige Kopenhagener Arbeiterviertel, in dem das Ungdomshuset stand. Sie kündigte zudem bereits das nächste christliche Kampfgebiet an: eine Kampagne gegen Lesben und Schwu­le und das Recht auf Abtreibung.

In Kopenhagen, aber auch in zahlreichen anderen Städten Dänemarks finden dennoch weiterhin täglich Demonstrationen und Happenings mit bis zu 3 000 Teilnehmern statt. Daran beteiligen sich vor allem Schülerinnen und Schüler, Studenten und Studentinnen. Unterstützt werden sie von empörten Eltern verhafteter Jugendlicher, früheren Angehörigen der autonomen Szene und der Besetzerszene, Musikern und Künstlern.

In den vergangenen Wochen hat der Poli­zeiapparat brutal und unnachgiebig agiert. In den Tagen der Räumung des autonomen Zentrums durch eine Anti-Terror-Einheit wurden alle verfügbaren Polizisten nach Kopenhagen befördert. Dies hatte sich bereits vor Monaten abgezeichnet, als klar wurde, dass die Sozialdemokraten, die die Mehrheit im Kopenhagener Stadtrat stellen, trotz einer gewaltsamen Räumung des Hauses die Gunst ihrer Stammwähler nicht verlieren würden. Die Oberbürgermeisterin Ritt Bjerregaard, eine Frau des sozialdemokratischen Establishments, steht in der autoritären Tradition ihrer Partei. Problem­los hätte sie den Betrug ihrer Partei, die das Ungdomshuset vor sechs Jahren klammheimlich und korruptionsverdächtig billig an eine Tarnfirma der christlich-fundamentalistischen »Vaterhaus«-Sekte verkaufte, ausgleichen können. Sie hätte beispielsweise nur eines der zahlreichen leer stehenden kommunalen Gebäude in der Hauptstadt bedingungslos den Leuten vom Jugendhaus übergeben müssen. Stattdessen forderte sie diese zum Kauf eines Hauses auf und stellte sie vor entmündigende Bedingungen. Daher eskalierte die Situation.

In den ersten drei Tagen der Auseinandersetzungen in Nörrebro und Cristianshavn, wo der ebenfalls von der Sanierung bedrohte Freistaat Christiania liegt, überzog die Polizei diese Stadtteile mit Tränengas. Sie verhaftete 677 Jugendliche – die jüngsten sind 13 Jahre alt – und einige Eltern, die dagegen protestierten, gleich dazu.

Nach 24 Stunden Haft wurden 222 Verhaftete dem Haftrichter vorgeführt. Über 197 Jugendliche wurden bis zu vier Wochen Untersuchungshaft verhängt. Die Anwälte der Verhafteten beschuldigten die zuständigen Richter, sich nicht die notwendige Zeit für die einzelnen Fälle genommen zu haben und stattdessen den Polizeiforderungen gefolgt zu sein. Als so genannte Beweisgrundlage präsentierte die Polizei etwa diffuse, spektakuläre Fernsehbilder von brennenden Autos, Barrikaden und vermummten, Steine werfenden Menschen, jedoch keinerlei konkrete Beweise im juristischen Sinne.

Viele sehen in den großen Demonstrationen und wütenden Protesten, die für Außenstehende ein unerwartetes Ausmaß annahmen, Anzeichen einer neuen gesellschaftskritischen Revolte. Die Teilnahme von feministischen und Gender-Initiativen, Künstlern, Musikern, Emigranten etc. an den Protesten deuten in diese Richtung. Die internationale Unterstützung für das Ungdomshuset ist ein weiterer deutlicher Indikator für das verbreitete Bedürfnis nach selbst verwalteten Freiräumen in Zeiten des allgemeinen Kontroll- und Verwertungswahnsinns.