Weltuntergang mit 67

Rente und Klima von lars quadfasel

Es ist schwer, mit der Stimmung im Lande stets Schritt zu halten. Nur dumpf erinnert man sich noch daran, wie es am Anfang des Jahres, vor einer halben Ewigkeit also, zuging, als mitten in die Mehrwertsteuerdepression die frohe Botschaft platzte: Der Aufschwung ist da! Wie weggeblasen auf einmal die allgemeine Apathie, mit welcher noch jede Ausplünderung der Massen als »notwendige Reform« durchgewunken wurde, und statt Fatalismus herrschte allerorten ein Jubilieren, Tirilieren und Lohnfordern, als wäre es nie anders gewesen. Ebenso unvermittelt aber, wie sie aufgekommen waren, war es mit den Frühlingsgefühlen auch schon wieder vorbei, und stattdessen war Weltuntergangsstimmung angesagt: Das Klima wandelte sich. Das tut es zwar schon seit Jahren, aber aus irgendwelchen Gründen bewegte das plötzlich alle.

Warum die entsprechenden Untersuchungen nicht auf den wöchentlichen Wissenschaftsseiten verschwanden, sondern Schlagzeilen machten, erschien dabei zunächst als Rätsel. Wenn bei der Meisterschaftsfeier für den Lieblingsverein einer mittendrin zur Schweigeminute für die Opfer des Tsunamis aufriefe, schmisse man ihn ohne viel Federlesens raus. Ihre Aufschwungseuphorie hingegen gaben die Landsleute bereitwillig preis, und schreckerfüllt blickten sie in eine Zukunft, die sie ansonsten kaum interessiert. Mag sein, dass es am Airbus-Desaster lag, weswegen gerade das Flugzeug als Klimakiller auserkoren wurde; aber das allein konnte es kaum gewesen sein.

Die Bedeutung der Nachricht, in spätestens 13 Jahren sei es zu spät, den Klimawandel aufzuhalten, klärt sich erst im Lichte der jüngsten Rentenbeschlüsse. Nicht die Erderwärmung, die Erhöhung der Lebensarbeitszeit konfrontiert die Leute unbarmherzig mit dem, was ihnen einst blühen wird. Den Satz: »In wenigen Jahren ist alles vorbei«, kennt man schließlich vor allem aus dem Job, wenn allmählich der Ruhestand winkt, und auch dort weiß man nie, ob es sich um einen Stoßseufzer oder um eine Schreckensvision handelt.

Arbeiten bis 67 heißt zwar einerseits, sich zwei Jahre länger in der Tretmühle zu befinden, und so sehr glauben die Landsleute ihren eigenen Ideologien ja nicht, als dass sie das wirklich locken würde. Es heißt aber andererseits, zwei Jahre weniger zur Verfügung zu haben, in denen man – nach dem Verlust von Lebensinhalt und sozialem Umfeld, welche hierzulande allein ein Zwangszusammenhang wie der Arbeitsplatz zu garantieren vermag – nichts mit sich anzufangen weiß. Früher konnte die unvermeidlich drohende Leere mit Familiengetüdel und Rumreiserei zumindest notdürftig kompensiert werden. Wegen des Geburtenrückgangs aber steht’s schlecht um in Beschlag zu nehmende Enkel, und die Flucht in fremde Gefilde steht dank Altersarmut und Hartz IV auch immer weniger offen.

Die Klimakatastrophe kommt da wie gerufen. Wenn in Wanne-Eickel Temperaturen wie am Mittelmeer in Aussicht stehen, kann man den erzwungenen Verzicht auf den Neckermann-Trip getrost zur heroischen Tat umlügen. Zumal ja mehr drin ist. »Sollen wir Deutsche allein die Welt retten?« fragte Bild im Zusammenhang mit der Flugpreisdebatte, und jeder weiß, dass das nichts werden kann.

Die Drohung ist so zugleich Verheißung: Wenn der Ruhestand schon zur Hölle werden soll, dann wenigstens für alle anderen gleich mit. Gerade die Jüngeren haben da, wenn die Rechnungen stimmen, die besten Perspektiven. Zum Lebensabend den Weltuntergang genießen: Dafür kann einem getrost die Riester-Rente gestohlen bleiben.