Entrüstung vs. Aufrüstung

Antiamerikanische Debatte von ivo bozic
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Es wäre zu einfach, von dem harmlos klingenden Namen »Raketenabwehrschild« abzuleiten, bei der geplanten Stationierung von US-Raketen in Polen handele es sich um eine reine Defensivmaßnahme. Selbstverständlich vergrößert eine gute Verteidigung auch die Erstschlagfähigkeit eines Staates. Es ist aber auch zu einfach, den USA vorzuwerfen, ausgerechnet ihre Pläne, zehn Abfangraketen ohne Sprengköpfe zu stationieren, würden nun ein neues Wettrüsten entfachen, und ihr Alleingang sei eine Absage an eine gemeinsame, multinationale Strategie im Kampf gegen den Terror.

Seit über fünf Jahren versuchen die USA, die Nato von ihrem Projekt eines globalen Raketenabwehrsystems zu überzeugen. Vergebens. Nachdem die Nato im November in Riga eine Entscheidung über das Projekt erneut vertagte, entschied sich die US-Regierung, notfalls auch ohne Bündnis und stattdessen mit bilateralen Absprachen ihr Projekt anzugehen. Dabei ist es keineswegs so, dass nur die USA eine wachsende Bedrohung durch Staaten wie den Iran, Nordkorea und unausgesprochen auch Russland sehen, und sie sind auch nicht die einzigen, die darauf mit militärischer Aufrüstung reagieren.

Frankreich etwa setzt nach wie vor auf die Strategie der Abschreckung. 250 bis 300 Atomsprengköpfe besitzt das Land. Derzeit wird eine milliardenteure Simulationsmaschine für Atomwaffentests gebaut. Im November vermeldete man in Paris einen erfolgreichen Testflug der neuen Interkontinentalrakete M51. Von der neuen Wunderwaffe sollen 50 bis 60 Stück gebaut werden. Präsident ­Jacques Chirac drohte im Januar 2006 ganz offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen terroristische Staaten. Die offizielle Bezeichnung der Raketen als »Nicht-Einsatz-Waffen« dürfe, so Chirac, keinen »Zweifel an unserem Willen und unserer Fähigkeit aufkommen lassen, unsere Nuklearwaffen einzusetzen«.

Auch Großbritannien rüstet weiter auf und Russland, das bereits einige tausend Atomraketen besitzt, wird seine Armee im Juni mit neuen Langstreckenraketen vom Typ S-400 bestücken. Vor allem aber wächst zu Recht die Sorge über die Entwicklung im Iran, wo die Regierung ihr Atomprogramm zum zentralen nationalen Projekt erklärt hat. Es gibt gute Gründe, einen Militärschlag gegen den Iran abzulehnen – angesichts der Lage im Irak hat daran ohnehin gerade kaum jemand ein Interesse. Doch die Alternative zur Abwehr eines potenziellen iranischen Angriffs wird wohl kaum Beten oder eine zünftige Sitzblockade sein können. Sind zehn mit Kollisionskörpern ausgestatte Raketen, die nichts anderes können, als andere Raketen abzuschießen, wirklich die größte Bedrohung des Friedens?

Aber geht es überhaupt um den Iran, oder richten sich die US-amerikanischen Pläne nicht vielmehr gegen Russland? Auch wenn die US-Regierung dies bestreitet, sicher ist, dass der russische Staat und seine autokratische Regierung alles andere als ein stabiles Gebilde sind, und Wladimir Putin mitnichten der »lupenreine Demokrat«, als den ihn sein Kumpel, der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, bezeichnete. Dass gerade die Sozialdemokraten jetzt gegen den amerikanischen »Alleingang« poltern, also jene Schröder-Partei, die, als sie regierte, im Alleingang mit Russland über die Interessen Polens hinweg den Bau einer Öl-Pipeline durch die Ostsee beschloss und an einer Achse Paris-Berlin-Moskau strickte, ist jedenfalls der Gipfel der Scheinheiligkeit.