Das verflixte zehnte Jahr

Hessen plant für den Herbst umfassende Änderungen des Privatrundfunkgesetzes. Für die freien Radios könnte das existenzbedrohend sein. von steffen käthner

Als 1995 das Hessische Privatrundfunkgesetz (HPRG) geändert wurde, begann das Zeitalter des bürgerbeteiligten Rundfunks in Hessen. Neben der Einrichtung von vier Offenen Fernsehkanälen konnten auch sieben Nichtkommerzielle Lokalradioinitiativen (NKL) mit ihrer Zulassung rechnen, allerdings waren damals 16 verschiedene Radioprojekte in Hessen bekannt. Deren Intentionen waren so verschieden wie die Gruppen selbst. Das reichte vom Krankenhausfunk über das Bürgerradio bis zum deutlich politisch akzentuierten Radio mit dem Anspruch, Medium der Gegenöffentlichkeit zu sein.

Entsprechend unterschiedlich präsentierte sich dann auch die Lokalradiolandschaft in Hessen. Von den sieben lizenzierten Sendern wurden vier Mitglieder im Bundesverband Freier Radios mit dem Anspruch auf kulturelle und politische Gegenöffentlichkeit sowie eine selbst verwaltete Struktur.

Seit Anfang 1997 gingen nach und nach Radio Darmstadt, Rundfunk Meißner, Radio Unerhört Marburg, das Freie Radio Kassel, Radio X Frankfurt, Radio Rheinwelle Wiesbaden und Radio Rüsselsheim on air und sind seitem in ihren lokalen Sendegebieten dauerhaft zu hören.

In diesem Jahr können also zehnjährige Jubiläen gefeiert werden. Vor kurzem in Darmstadt, demnächst folgt Eschwege, und auch in Marburg kann auf zehn Jahre freies Radio zurückgeschaut werden.

Anlass zum Feiern besteht allemal: Immerhin entstehen an sieben Standorten wöchentlich über 600 Stunden live produziertes, werbefreies lokales Radioprogramm, ehrenamtlich gestaltet von über 1 500 aktiven Bürgerinnen und Bürgern in einem Einzugsgebiet von etwa 2,5 Millionen Menschen. Mehr als 200 000 HörerInnen in Hessen schalten regelmäßig nicht kommerzielle Radiosendungen ein.

Programme in mehr als 20 verschiedenen Sprachen sind zu hören, die lokale, regionale und internationale Musikszene findet reichlich Platz, die Spielarten reichen von Jazz über Punk und Heavy Metal bis zu Klassik und Folklore aus allen Teilen der Welt.

Zehn Jahre freie Radios in Hessen zeigen, wie mit bescheidenen Budgets, dafür aber einer Menge ehrenamtlicher Leidenschaft lokale Medienalternativen geschaffen werden und auch über Generationswechsel hinweg bestehen können.

Was die freien Radios leisten, lässt sich freilich nicht nur auf den hörbaren Output beschrän­ken. Freie Radios sind auch Orte der interkulturellen Begegnung, medienpädagogischer Arbeit, politischer Bildung und nicht zuletzt der Erfahrung von Selbstorganisation und eigener Verantwortung.

Überschattet wird die Feierlaune allerdings von der ungewissen Zukunft des Nichtkommerziellen Lokalfunks in Hessen. Neben internen Auseinandersetzungen wie bei Radio Darmstadt sorgt vor allem eine bevorstehende Änderung des Privat­rundfunkgesetzes für Unsicherheit. Die CDU-Landesregierung legte im Herbst 2006 einen Entwurf vor, nach dem die freien Radios mit existenziellen Finanzeinbußen rechnen müssten.

Bisher verfügen die Stationen über Sendelizenzen bis zum 31. Dezember 2007. Sie wurden von der Landesanstalt für Privaten Rundfunk (LPR) erteilt. Grundlage der Lizenz ist Paragraf 40 HPRG, nach dem die kleinen Privatradios im Interesse der Meinungsvielfalt zugelassen werden können. Die Sendelizenz ist Grundlage für den Anspruch auf Fördermittel, die die Landesanstalt zur Verfügung stellt. Die Mittel stammen aus den Rundfunk­ge­bühren und betragen insgesamt rund 70 000 Eu­ro pro NKL und Jahr zur Finanzierung der laufenden Ausgaben. Damit decken die Freien Radios rund 75 Prozent ihrer Ausgaben.

Im Kern deuten die Änderungsvorschläge auf die Zusammenlegung der bisher getrennten Bereiche NKL, Offene Kanäle und Medienkompetenz hin. Insofern würde Nichtkommerzielle Lokalradioinitiativen hier nur noch als Form von Medienkompetenzförderung (im Sinne präventiven Jugendmedienschutzes) definiert und hätten ausschließlich in dieser Hinsicht Ansprüche auf Fördermittel.

Das der Landesanstalt für diese Zwecke zur Verfügung stehende Budget würde um rund 40 Prozent sinken. In der Folge müssten die freien Radios mit einer erheblichen, vielleicht sogar vollständigen Kürzung der Förderung von Sach- und Personalkosten rechnen.

Der Entwurf stieß jedoch auf heftigen Widerstand aller Oppositionsfraktionen sowie zahlreicher Interessenverbände, von Gewerkschaften bis zu Vertriebenenverbänden. Zentraler Kritikpunkt ist dabei die vorgesehene Mittelkürzung für Maßnahmen zur Medienkompetenzvermittlung (unter denen dann auch die freien Radios eingeordnet werden). Zumindest gibt es deutliche Aussagen aus dem rot-grünen Spektrum, dass die Existenzgrundlagen für »Bürgermedien« nicht angetastet werden dürften. Ob sich dahinter mehr verbirgt als ein bereits vorzeitig begonnener Landtagswahlkampf für 2008, bleibt abzuwarten.

Auch die AktivistInnen der Radios for­mu­lierten heftigen Widerspruch gegen den Gesetzesentwurf und entfalteten intensive Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.

Zwischen den freien Radios bestand recht schnell Konsens darüber, dass die freien Ra­dioinititativen weiterhin als Radio­pro­gramm­veranstalter definiert und gefördert werden müssen und nicht zu medienpädagogischen Zentren degradiert werden.

Zweitens müsste die Finanzierung mindestens in der bisherigen Form und Höhe sichergestellt werden. Zudem sollte den NKLs auch eine langfristige Perspektive für die digitale Radiozukunft eröffnet werden.

Für diese Forderungen erhielten sie umfangreiche öffentliche Unterstützung durch ihre HörerInnen. So unterschrieben in Marburg rund 1 500 Menschen einen Protest­aufruf, auf einer Website zur Unterstützung von Radio X in Frankfurt trugen sich rund 2 000 Menschen ein. Auch diverse Kommunalparlamente erklärten ihre Unterstützung.

Inzwischen haben die Auseinandersetzungen zu einer erheblichen Verzögerung des Gesetzgebungsverfahrens geführt. Wie die geänderte Gesetzeslage dann aussehen wird, bleibt vorerst noch offen. Aus Sicht der freien Radios besteht aber zumindest Hoffnung, dass die Folgen weniger dramatisch werden, als ursprünglich zu befürchten war. Eine Verlängerung der zum Jahresende auslaufenden Lizenzen rückt damit etwas näher.

Die medienpolitischen Intentionen des Gesetzesentwurfs liegen offenbar in einer stärkeren Förderung der kommerziellen Medienwirtschaft. Schließlich gelte es, den Medienstandort Hessen zu stärken. Mittels GEZ-Gebühren kann dann sogar der Landeshaushalt entlastet werden. Das kann dann eben auch auf Kosten demokratischer Partizipationselemente gehen.

Unter einigen Radioleuten wird der Vorstoß der Landesregierung auch als gezielter Versuch interpretiert, oppositionelle Medien mundtot zu machen. Doch auch wenn es in Hessens CDU in bester Dreggerscher und Kantherscher Tradition sicher einige Sympathien dafür gibt, scheint diese Vermutung doch eher einer Überschätzung der eigenen politischen Bedeutung zu entspringen.

Zwar haben sich freie Radios durchaus zu gesellschaftskritischen Foren etwickelt und bei Protesten gegen Naziaufmärsche oder gegen Studiengebühren eine mobilisierende Wirkung entfaltet, aber zu mehr als dem berühmten Sturm im Wasserglas haben sie nicht beigetragen.

Unabhängig von seinem Ausgang reiht sich das aktuelle hessische Gesetzgebungsverfahren in einen bundesweiten Trend ein, der partizipative und emanzipative Elemente im Bereich der elektronischen Medien als Störfaktor betrachtet und ihre Beseitigung zumindest billigend in Kauf nimmt.