Smells like Nerd Spirit

Die großen Verweigerer: Seit mehr als 20 Jahren halten die Melvins die Musikindustrie, die Presse und die Hörer zum Narren. von markus ströhlein

Die erste Aussage weckt Vertrauen: »Ihr werdet bei uns immer eine Heimat haben, um die Platten aufzunehmen, die ihr machen wollt.« Wenige Sekunden später klingt der Anrufer schon distanzierter: »Sie haben euer Video abgelehnt. Was sollen wir jetzt eurer Meinung nach machen?« Eine Frau schlägt kurz darauf einen gänzlich anderen Ton an: »Es gibt keine Extraverpackungen für Bands, die noch nicht Gold geholt haben. Ihr solltet euch glücklich schätzen. Jedes andere Majorlabel hätte euch längst fallen lassen.« Der Mann äußert resignierend einen weiteren Satz: »Die Leute von den Radiosendern mögen eure Band einfach nicht.«

Etliche Gruppen dürften schlechte Erfahrungen mit großen Plattenfirmen gemacht und ähnliche Sätze gehört haben. Doch nur wenige Bands haben solche Episoden in ihren Songs festgehalten. Und niemandem dürfte es so gut gelungen sein wie den Melvins, die absurde Seite des Musikgeschäfts derart prägnant in einem Stück zusammenzufassen, das nur zwei Minuten dauert. In »Laughing with lucifer at satan’s sideshow« sind die eingangs erwähnten, nachgestellten Anrufe zu hören. Unterlegt sind sie mit einem dadaistisch anmutenden, elektronischen Beat und einem Basslauf. Dazu trommelt jemand auf Bongos herum. Das klingt völlig beknackt und passt bestens zu dem peinlichen Gerede.

Die Melvins hatten 1997 allen Grund dazu, auf ihrer Platte »Honky« einen Kommentar zu den gängigen Verfahrensweisen in der Musikwelt abzugeben. 1993 waren sie von der großen Plattenfirma Atlantic unter Vertrag genommen worden. Die Verantwortlichen des Labels hatten wohl mit großem Trubel um die Lieblingsband des Nirvana-Sängers Kurt Cobain und mit hohen Verkaufszahlen gerechnet. Die Eigenwilligkeit der Melvins hatte niemand bedacht. Die Alben verströmten nicht den neuen »Teen Spirit«, sondern eher einen »Nerd Spirit«. Sie waren zu verschroben, dreiminütige Songs mit eingängigen Refrains zum Mitsingen suchte man vergebens.

»Stag«, das dritte und letzte Album, das die Melvins für Atlantic aufnahmen, hinterlässt ein Gefühl, als würde man ein Bad in einem Becken mit heißer Schokoladensoße nehmen, dabei mit Fischsoße übergossen werden und anschließend in einen Pool mit kaltem Wasser springen, in dem auch ein Eisbär schwimmt. Nach einer kitschigen Indiepop-Nummer wie »Black Bock« wird man von dem Gitarrenkrach in »Goggles« überwältigt, und das dissonante, elektronische Flirren in »Soup« hätte man keinesfalls erwartet. Gern wäre man damals Zeuge geworden, wie sich ein Teenager die Platte kaufte, der den Namen »Melvins« im Zusammenhang mit Nirvana aufgeschnappt hatte und dann in seinem Zimmer beim Hören die wohl verstörendste Stunde seiner Jugend erlebte. Der kommerzielle Erfolg blieb aus. Und so kündigte die große Firma 1996 den Vertrag mit der Band, die ihr bereits vorher lästig geworden war.

Man kann Atlantic nicht einmal vorwerfen, auf den großen Hype in der Verbindung mit Nirvana gehofft zu haben. Schließlich war Kurt Cobain ein großer Fan der Melvins. Seine Begeisterung bekundete er regelmäßig. Eigentlich wollte er bei den Melvins Bass spielen, war aber zu nervös, um sich die Songs zu merken. Dale Crover, der Schlagzeuger der Melvins, half Nirvana bei den ersten Demoaufnahmen und auf einer Tour aus. Buzz Osborne, der Sänger und Gitarrist der Melvins, gab dem Nirvana-Bassisten Krist Novoselic die Telefonnummer von Dave Grohl, der schließlich der Schlagzeuger der Grunge-Band aus Seattle wurde, die es ohne die Melvins unter Umständen nicht gegeben hätte.

Allzu hoch schätzt Buzz Osborne oder King Buzzo, wie er auch genannt wird, seinen Einfluss auf die große Popgeschichte nicht ein. »Ich laufe nicht mit vor Stolz geschwellter Brust herum. Die Dinge haben sich damals eben so ergeben. Letztlich wünsche ich mir nur, Kurt wäre noch am Leben«, sagt der Mann mit der Struwwelpeter-Frisur.

Nicht nur im Mainstream haben die Melvins Spuren hinterlassen. Die japanische Krach-Band Boris hat sich nach dem gleichnamigen Song der US-Amerikaner benannt. 2005 erschien die CD »We reach: The music of the Melvins«. Auf ihr interpretieren namhafte Underground-Gruppen wie Isis, Dillinger Escape Plan oder Mastodon Stücke von Osborne und Crover.

Sicher hätten sich die Melvins vor oder nach ihrer Zeit bei dem Majorlabel in einer Nische des Underground einrichten können. Doch Szenen und die zugehörigen musikalischen Konventionen liegen ihnen nicht.

Als die Melvins in der Mitte der achtziger Jahre gegründet wurden, bemühten sich die meisten Punk- und Hardcore-Bands, möglichst schnell zu spielen. Die Melvins taten das Gegenteil. Zäh und bedrohlich schleppen sich die Songs auf ihrer ersten Platte »Gluey Porch Treatments« von 1987 dahin.

Doch noch ehe man ihnen das Etikett »Doom« hätte anheften können, begannen sie, eine eigene Art des Heavy Metal zu pflegen. Das zog zunächst die typischen Fans dieser Musikrichtung an. Um sich ihrer wieder zu entledigen, begannen die Melvins zu dieser Zeit ihre Konzerte so: Schlagzeug und Bass spielten keinen Ton, während der Gitarrist King Buzzo etwa 20 Minuten lang immer wieder denselben Akkord anschlug. Die Metal-Fans verließen daraufhin den Saal, und die Show konnte beginnen.

Seit diesen Tagen werden die Musiker aus San Francisco in den Metal-Zeitschriften meist als »nerviger Kunstscheiß« geführt. Ein Schreiber bezeichnete den Stil als »Metal für Leute, die Metal hassen«. Osborne stimmt der Aussage teilweise zu: »Die Einschätzung ist fair, aber für meinen Geschmack etwas engstirnig. Ich mache Musik für Leute, die alles hassen.« Glauben muss man ihm nicht unbedingt. Was er in Interviews sage, sei meist gelogen, hat er mehrfach bekannt.

Mittlerweile haben Crover und Osborne mit wechselnden Bassisten sehr unterschied­liche musikalische Bereiche erforscht: das Monotone und das Hektische, das Laute und das Leise, das Lange und das Kurze. Elektronische Instrumente gibt es bei ihnen ebenso zu hören wie Banjos und Trompeten. Sie haben ihre Platten im Studio und live aufgenommen.

Das aktuelle Album »A Senile Animal« wirkt beinahe traditionell. Die Melvins sind zum geradlinigen Rock zurückgekehrt. In diesem Genre darf es nur Gitarre, Bass und Schlagzeug geben. Den Purismus treiben die Musiker auf die Spitze. Sie haben die Songs mit zwei Schlagzeugern aufgenommen, die meist dasselbe spielen.

Die Besetzung mit Osborne an der Gitarre, dem Bassisten Jared Warren und Dale Crover und Coady Willis an den Schlagzeugen ist in der nächsten Woche in Deutschland live zu sehen. Wie King Buzzo sagt, werden die vier die bewährten Bühnenkostüme tragen: lange, sackartige Kleider. In diesem Erscheinungsbild mögen manche eine Form der Metal-Comedy sehen. Andere legen es als Cross-Dressing aus, das sich gegen den Macho-Cock-Rock rich­tet. Vielleicht verhält es sich jedoch so, wie Osborne sagt: »Wir sehen ohnehin toll aus, und die Kleider unterstreichen es. Aber letztlich sind wir verzweifelte Trottel in Frauenkleidern, die mit dieser Masche Geld machen.«

Die Melvins legen großen Wert auf das Artwork ihrer Platten. Das Buch »Neither here nor there« von 2004 liefert einen umfassenden Einblick in die grafische Welt der Band.