Off the air

Traurig und schön wie ein Abschiedssong: Mit »Robert Altman’s Last Radio Show« hat sich der verstorbene Regisseur ein Denkmal gesetzt. von doris akrap

Bei Trashfilmen nimmt man es noch schmunzelnd hin. Da heißt ein Streifen wie »Godzilla vs. Hedorah« dank des Einfallsreichstums des deutschen Verleihers auf einmal »Frankensteins Kampf gegen die Teufelsmonster«. Dass es sich ein Verleih herausnimmt, bei einem Regisseur wie Robert Altman ähnlich zu verfahren, ist aber erstaunlich. Altmans letzter Film »A Prairie Home Companion« kommt als »Robert Altman’s Last Radio Show« in die deutschen Kinos. Der Titel ist völliger Quatsch, denn der im vergangenen Jahr verstorbene Regisseur mochte wohl ganz gerne Radio hören, aber eine Radioshow hat er nie gemacht. Die Sendung, um die es geht, ist nicht seine, sondern die des Drehbuchautors Garrison Keillor.

Der Film basiert auf der gleichnamigen Radioshow von Keillor, die er mit einem kleinen Ensemble seit 1974 jeden Samstag von 17 bis 19 Uhr aufführt und die vom US-amerikanischen Sender National Public Radio ausgestrahlt wird. »A Prairie Home Companion« wird von 558 amerikanischen Rundfunkstationen übertragen und in über 35 Millionen Haushalten gehört. Seit 1978 wird die Show live vor Publikum im Fitzgerald Theatre in Saint Paul in Minnesota produziert. 2004 wurde die erste Ausstrahlung sogar ins nationale Kulturarchiv aufgenommen.

Auf den ersten Blick passiert in Keillors Radio­show nichts anderes als in einer gewöhnlichen Sendung: Es läuft Mainstreammusik, nervtöten­de Werbejingles und Witze quälen den Zuhörer.

Doch »Prairie Home Companion« ist eine Parodie auf das Radio selbst. Es gibt keine Lacher vom Band, echte Zuschauer lachen. Die Musik kommt nicht von der Platte oder von der CD, sondern wird von der Guy’s All Star Shoe Band gespielt und von Gästen aus der Folk-, Country-, Gospel- und Bluesszene gesungen. Für schlechte Witze werden die Cowboys Dusty und Lefty engagiert, die nicht nur auf der Bühne ihrer Leidenschaft für derben Humor frönen. Die ständigen Werbejingles für »Powdermilk Biscuits« und Isolierklebeband werden von dem Macher und Moderator Keillor selbst gesprochen, gesungen und vor allem getextet: »Für Sie hergestellt von Allstar Biscuits und Big Blue Box. Mit dem Getreide, das schüch­ternen Personen die Kraft gibt, aufzustehen und zu tun, was zu tun ist.«

Keillor ist ein unermüdlicher Erzähler, ein pausenloser Schöpfer. Der Radiomacher aus der Prärie erfindet mit seinem trockenen Humor Woche für Woche Geschichten, die nicht nur den Moment der Radioübertragung überleben. Seine fiktiven Figuren, die seit Jahren die Radioshow bevölkern, wie der abgehalfterte Detektiv Guy Noir, der in seinem Büro im zwölf­ten Stock des Acme Buildings in Saint Paul darauf wartet, so miese Jobs anzunehmen wie verlorene Pudel wieder zu finden, sind so beliebt, dass sie in Büchern auftauchen. So auch die »News from Lake Wobego«. Am Ende der Radiosendung kommen immer die Nachrichten. In den »News from Lake Wobego«, einer fiktiven Stadt, in der »alle Frauen stark, alle Männer gut aussehend und alle Kinder überdurchschnitt­lich sind«, gibt Keillor seine wöchentlichen satirischen Kommentare zur Politik und zum Alltag der USA zum Besten.

Es ist in der Tat ziemlich erstaunlich, dass diese Radioparodie seit über 30 Jahren welt­weit erfolgreich ist. So erstaunlich offenbar auch für Keillor selbst, dass er Robert Altman ein Drehbuch anbot, in dem es um die letzte Sendung von »Prairie Home Companion« geht, die in der Rea­lität nie stattgefunden hat. Im Drehbuch will der neue Besitzer des Fitzgerald-Theaters den Laden abreißen, um ein Parkhaus zu bauen. Das bedeutet das Ende für Keillors bunten Haufen. Zum letzten Mal geben die Stars der Show alles, von den singenden Johnson Girls (Meryl Streep und Lily Tomlin) bis zum Geräusche­macher Tom Keith, der nur mit seinem Mund alle Soundeffekte produziert.

Altman nahm das Drehbuch an. Kurz nach dem Ende der Dreharbeiten starb er im Alter von 81 Jahren. Traurig und schön ist der Film geworden. Er ist fast schon beklemmend. Der Film und die Show, die er zeigt, gleichen einem einzigen, schönen Abschiedssong, denn fast jede Szene handelt vom Tod.

Guy Noir (Kevin Kline) wird angeheuert, um den Eingang zu bewachen, weil sich für die letzte Sendung The Axeman (Tommy Lee Jones) angekündigt hat, der Vertreter des neuen Theaterbesitzers. »Die spielen hier schon, seit es Jesus gibt, und sind eigentlich seit 50 Jahren schon tot. Aber das ist ihnen egal«, kommentiert Noir die Leute von Keillors Radioshow.

Große Mühe gibt er sich bei seinem Job zunächst nicht, da er im Gegensatz zu der anachronistischen Radiotruppe die Dinge realistisch sieht und der Show keine Zukunft mehr gibt. Statt Wache zu schieben, schleicht er lieber hinter und auf der Bühne herum, um die schrul­ligen Künstler kennen zu lernen. Seine penible Suche nach dem Bösen beschränkt sich auf das Erlegen einer Fliege auf dem Schlag­zeug der Band. Doch nach und nach verzaubern ihn diese eigenwilligen Figuren mit ihrer liebenswerten Art, und er wird eine von ihnen, ein anachronistischer, liebenswürdiger Geschichtenerzähler.

Nachdem der Countrysänger Chuck Akers (L.Q. Jones) seinen alten Hit »You have been a friend to me« beendet hat, stirbt er in seinen mit Himbeermotiven bedruckten Unterhosen in einem Ankleidezimmer unter der Bühne. Bei der Radiosendung ist nun eine echte Leiche im Keller. Doch statt einer Schweigeminute für Chuck trägt Keillor, der sich selbst spielt, einen Jingle für Tiefkühlpizza vor. Im Radio darf der Tod nicht vorkommen. Wenn das Radio schweigt, ist es tot, deswegen spielt es immer weiter, und seien es Jingles für Gefrierpizzas. Und danach singt die Soulsängerin Jearlyn Steele: »The day is short, why do you work so hard to get what you don’t even want!«

Der Film wurde mit zwei, teilweise drei Kameras gleichzeitig gedreht. »Man könnte durchaus behaupten, dass wir den Film im Dokumentarstil gedreht haben. Wir haben erst gar nicht versucht, die Kameras zu verbergen«, sagte Altman. Zufällig war die Kamera eben gerade dort, wo die Leute vorbeigingen, sich trafen und sich spontan Geschichten erzählten.

Tatsächlich wuseln unaufhörlich irgendwelche Leute durchs Bild, von denen man nicht genau weiß, ob sie Statisten, Schauspieler, Musiker oder vom Filmteam sind. Obwohl es nicht viele Darsteller gibt, hat man das Gefühl, per­manent wichtige Geschichten zu verpassen, die womöglich gerade irgendwo auf oder hinter der Bühne, vom Bühnentechniker, der Maskenbildnerin oder der Frau, die die Stullen schmiert, erzählt werden. Hier hat Altman noch einmal gezeigt, wie großartig er darin war, die Spontaneität der Schauspieler in Szene zu setzen und jedes noch so kleine Detail so zu erzählen, als sei es die »Great American Novel«.

Die Hingabe ans Detail ist auch die Leidenschaft von Garrison Keillor. So kommt er fast zu spät zum Anfang der letzten Show, weil er sich mit Dusty und Lefty ausgiebig darüber unterhält, was für ein großartiger Typ Wilmer Scott gewesen sei, der in seiner Morgen­show »Raus aus den Federn« Hühner hypnotisiert habe.

Der Film »A Prairie Home Compa­nion« lässt eigentlich nur die Frage offen, wer hier wem ein Denkmal gesetzt hat. Der Regisseur Robert Altman sich selbst oder der Drehbuchschreiber Gar­rison Keillor sich selbst oder beide dem jeweils anderen?

Und eine Abschiedsrede gibt es dann doch noch: »Bleibt auf dem Boden, Kopf nach oben, betet um Regen, behaltet euren trockenen Humor und esst diese verdammten Powdermilk Biscuits.«

Robert Altman’s Last Radio Show (USA 2006). Regie: Robert Altman. Darsteller: Woody Harrelson, Meryl Streep, Lily Tomlin, Tommy Lee Jones, Lindsay Lohan, Kevin Kline. Start: 12. April