Ein Tiger bei der Armee

Der ehemalige Guerillakommandant Karuna kämpft nun gemeinsam mit der Armee Sri Lankas. Mit seiner Hilfe gelang es, die tamilischen Kämpfer zurückzudrängen. von peer bruch

In Bürgerkriegssituationen eröffnen sich für hochrangige Guerilleros durch einen Seitenwechsel politische Karrierechancen – vorausgesetzt, sie überleben. Der ehemalige tschetschenische Separatistenführer Ahmat Kadyrow starb fünf Jahre nach seinem Übertritt auf die Seite Russlands bei einem Bombenanschlag, in der vergangenen Woche wurde sein Sohn Ramsan Kadyrow als Präsident vereidigt.

Auch dem Oberst Karuna dürften Killer oder Selbstmordattentäter auf den Fersen sein. Dass er sich mit zahlreichen Kämpfern im Gefolge von den LTTE löste, hat die Guerillabewegung geschwächt, auch wenn er seine Bedeutung wohl ein wenig übertreibt. »Durch meine Abkehr von den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) haben diese 70 Prozent ihrer Kampfkraft verloren«, behauptete Vinayagamurthi Muralitharan alias Karuna selbstbewusst im Fernsehinterview mit der BBC am Mittwoch der vergangenen Woche. Er kündigte an, mit der neu gegründeten Tamil Makkal Viduthalaip Puligal (TMVP) zu Wahlen auf regionaler und nationaler Ebene antreten zu wollen, und präsentiert sich als Befürworter einer föderalen Lösung des Konflikts zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit in Sri Lanka. Eine Abspaltung des tamilischen Nordens und Ostens der Insel als Tamil Eelam betrachtet der einstige Sicherheitskoordinator des LTTE-Führers Vellupillai Prabhakaran als unrealistisch.

Interviews mit Karuna sind selten, Anfang März veröffentlichte die indische Tageszeitung The Hindu erstmalig Bilder von ihm bei einer zweitägigen Inspektion seiner TMVP-Kader und bei Lagebesprechungen mit seinem Führungsstab. In der Region um die östliche Stadt Batticaloa zeichnen sich Erfolge der Streitkräfte Sri Lankas im Kampf gegen die LTTE ab. Den Regierungstruppen gelingt es, teils seit 1997 von den Tigern besetzte Gebiete zu erobern, die früher zum Kommandobereich Karunas gehörten. Der im Jahr 2002 unterschriebene Waffenstillstand wurde nicht offiziell gekündigt, doch seit der Eskalation der Kämpfe Ende 2005 starben 4 000 Menschen.

Die LTTE kritisieren die Kooperation des Militärs mit der TMVP als neuem paramilitärischen Akteur im Bürgerkrieg. Karuna bestreitet die Kooperation, doch seine rund 4 000 ehemaligen Tiger agieren im Umfeld von Militärstützpunkten. Ausländische Entwicklungshelfer stoßen bei ihrer Arbeit in der Region auf bewaffnete Einheiten der TMVP, und auch die »Heerschau« im März fand in unmittelbarer Nähe einer Kaserne statt.

In diesem Landesteil war es Karuna während seiner 20jährigen Laufbahn in den Reihen der LTTE immer wieder gelungen, die Streitkräfte der singhalesischen Regierung zurückzudrängen. Wegen seiner militärischen Erfolge war Karuna ein schneller Aufstieg in der Guerillaorganisation beschieden. Doch allzu erfolgreiche Kader werden in der LTTE, die einen ausgeprägten Personenkult um ihren Führer Prabhakaran pflegen, manch­mal liquidiert. Dass eine Karriere bei den Tigern sehr abrupt enden kann, dürfte Karuna nicht entgangen sein, und nach den Waffenstillstandsverhandlungen in den Jahren 2001 und 2002, an denen er beteiligt war, gab es interne Untersuchungen, ob er dabei Richtlinien verletzt habe. Nun wirft Karuna der LTTE-Führung ein doppeltes Spiel hierbei vor.

Es ist möglich, dass hinter dem Misstrauen ein regionalistischer Konflikt steht. Die führenden Tiger kommen überwiegend aus dem Norden, Karuna dagegen aus dem Osten. Er wirft der LTTE-Führung vor, sie habe »vorrangig Tamilen im Osten geopfert«. Stets betonen Kader der Tamil Tigers, die tamilische Bevölkerung stehe hinter ihrer Organisation. Tatsächlich aber gehen die LTTE gegen Widersacher und Dissidenten sowohl in ihrem Herrschafts­gebiet als auch außerhalb mit Härte vor. Mindestens ein Drittel der Todesopfer der vergangenen drei Jahre im Osten Sri Lankas dürfte auf das Konto tamilischer Gewalt gehen.

Vor den Kämpfen und Anschlägen sind inzwischen rund 80 Prozent der tamilischen Bevölkerung im Osten aus den LTTE-Gebieten geflohen, die meisten leben in Flüchtlingslagern. Allein im Gebiet zwischen den Städten Batticaloa und Trincomalee ist mit über 150 000 Menschen fast die Hälfte der Binnenflüchtlinge unterwegs. Keheliya Rambukwella, Regierungssprecher in Colombo, interpretiert dies als politisches Statement: »Die Leute laufen Prabhakaran davon.«

Teilweise mag das stimmen, aber viele Menschen, die vor den Kämpfen flohen, werden von der Armee daran gehindert, zu ihren Feldern zurückzukehren, um sie vor dem bald beginnenden Monsun zu bestellen. Offenbar will die Armee die tamilischen Siedlungsgebiete im Osten und Norden voneinander trennen.

Die militärische Eskalation in den vergangenen Monaten führte auch zu einer steigenden Zahl von Übergriffen. In den Gebieten unter Regierungskontrolle sollen die berüchtigten weißen Vans ohne Kennzeichen unterwegs sein, und in den LTTE-Gebieten lauscht man des Nachts, ob sich Traktoren nähern. Der Menschenrechtskommission Sri Lankas zufolge sind seit Jahresbeginn in der Hauptstadt Colombo und in den Gebieten der Tiger auf der Halbinsel Jaffna und um Batticaloa über 100 Menschen »verschwunden«. Im Human Rights Centre von Jaffna haben allein 18 Menschen vor dem Militär und vor paramilitärischen Gruppen Zuflucht gesucht, dort wird von 29 nachweislich Entführten und 67 Getöteten berichtet, 68 Menschen gelten als vermisst.

Die im Bodenkrieg bedrängten LTTE wurden nun in der Luft aktiv. Am 26. März griffen sie mit zwei einmotorigen Propellermaschinen tschechischer Bauart die Katanayake Air Force Base an. Somit verfügen die Tamil Tigers über die erste Guerillaluftwaffe der Welt. Der Angriff stellt eine neue Eskalationsstufe dar. Im Jahr 2001 hatten die LTTE den internationalen Flughafen in Colombo mit einem Selbstmordkommando angegriffen und mehrere Militärmaschinen sowie nahezu die halbe Flotte der zivilen Fluggesellschaft Sri Lankan zerstört.

Dass es, wie damals, schnell zu Verhandlungsfortschritten mit der Regierung kommt, scheint diesmal unwahrscheinlich. Denn derzeit befindet sich die Gegenseite sowohl strategisch als auch technisch in einer besseren Lage. Die LTTE gelten allgemein als terroristische Organisation, in den USA, Kanada und der EU wurden sie verboten. Unterstützt von ausländischen Militärberatern vor allem aus Pakistan, das Waffen im Wert von 250 Millionen Dollar liefern will, und im Besitz einer mit Hilfe Israels und einiger Gus-Staaten modernisierten Luftwaffe glauben die Regierung in Colombo und das Militär offenbar, den Konflikt militärisch lösen zu können.

Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakses will im Mai die Vorschläge der nationalen Allparteienkonferenz vorlegen. Dem den LTTE nahe stehenden TamilNet zufolge beruhen die Vorschläge jedoch weiterhin auf einem singhalesisch-nationalistischen Konzept, in dem die »Einheit der Nation« betont wird und das somit für die LTTE unakzeptabel ist. Doch ein Kompromiss mit der Guerillaorganisation scheint gar nicht mehr erwünscht zu sein, zum neuen Repräsentanten der Tamilen könnte Karuna gemacht werden.