Entlastungsangriff im Stadion

Die neuen italienischen Anti-Hooligan-Gesetze trafen vorige Woche englische Fans. von catrin dingler, rom

Die Live-Übertragung im Fernsehen beginnt mit einem weiten Kameraschwenk über die Ränge des ausverkauften römischen Olym­pia­stadions und zwei Reportern, die sich langsam warm reden: AS Rom gegen Manchester United, Viertelfinale Champions League, großartige Kulisse, wunderbare Atmosphäre.

Vor dem Stadion soll es zu Unruhen gekommen sein. Das kann die Stimmung nicht beeinträchtigen. Der Redefluss der beiden Reporter kommt erst ins Stocken, als die Kamera vom Spielfeld weg auf den englischen Fanblock schwenkt. Eine größere Polizeieinheit, mit Schutzhelmen und Schlagstöcken aus­gestattet, stürmt die Sitzreihen. Die Anhänger von Manchester United werden zur Seite und gegen die gläsernen Absperrungen des Blocks gedrängt. Auf diejenigen, die gestürzt sind und am Boden liegen, wird nachgetreten.

Die Engländer hätten Gegenstände geworfen, erei­fert sich einer der Reporter. Die Unseren haben aber auch provoziert, gibt der andere zu. Fairplay vorm Mikrofon. Dann unterbricht ein Werbespot die Über­tragung aus dem Stadion: Halbzeitpause. Vor dem Wiederanpfiff ein kurzer Blick auf den Gästeblock. Alle stehen in ordentlichen Reihen vor einer Wand von Polizisten. Es kann weiter gespielt werden. Weder während des Spiels noch nachher wird die Szene erneut gezeigt.

Tags darauf titelten englische Zeitungen: »Schlacht in Rom!« Den Berichten von »barbarischen Römern« und »brutalen Polizisten« folgten im Internet veröffentlichte Fotodokumentationen und Augenzeugen­berichte. Endlich erfuhr auch das italienische Pub­likum, dass Mitte voriger Woche nicht nur Fußball gespielt worden war. Bereits Stunden vor dem Anpfiff der Partie hatten römische Ultras eine Gruppe von circa 300 englischen Fans auf dem Weg ins Stadion angegriffen. Sieben von ihnen wurden niedergestochen, einer kam schwer verletzt ins Krankenhaus.

Die Verantwortlichen von Manchester United hatten es geahnt. In einem auf der offiziellen Webseite des Vereins veröffentlichten »Rat an alle nach Rom reisenden Reds« hatten sie dazu aufgefordert, nur in den für die Gäste bereitgestellten und von der Polizei eskortierten Stadionbussen zum Spiel zu fahren. Ausdrücklich wurde vor bestimmten U-Bahnstationen und Brückenübergängen gewarnt, an denen römische Ultras die Auseinandersetzung suchen könn­ten.

Dieses Vademekum hatte zu einem kleinen diplomatischen Zwischenfall geführt. Der römische Bürgermeister Walter Veltroni hielt es für angebracht, den britischen Botschafter anzurufen und ihn an die römische Gastfreundschaft zu erinnern. Und Polizeipräfekt Achille Serra reagierte pikiert und ordnete ein Ausschankverbot für alkoholische Getränke an.

Wegen der englischen Presseberichte zu einer Stellungnahme genötigt, blieb der Polizeichef jede Erklärung dafür schuldig, warum die Ordnungskräfte nicht rechtzeitig an Ort und Stelle gewesen waren, um ein Zusammentreffen der beiden Fangruppen zu verhindern. Viel­mehr beharrte er darauf, dass die Polizisten im Stadion »einer Horde betrunkener Englän­der« gegenübergestanden seien und sich nur mit einem kurzen »Entlastungsangriff« zu helfen gewusst hätten.

Da es am Donnerstagabend beim Uefa-Cup-Spiel zwischen Sevilla und Tottenham zu Krawallen zwischen englischen Fans und spanischer Polizei kam, sieht Serra sein Theorem von den ­betrunkenen Engländern, die randalierend durch Eu­ro­pa ziehen, bestätigt. Doch so­wohl die Uefa als auch Vernon Coaker, Staatsekretär im britischen Innenministerium, haben angesichts der schockierenden Fernsehbilder angekündigt, den italie­nischen Polizeieinsatz nach den Os­ter­feiertagen untersuchen zu wollen. Serra ver­steht die Welt nicht mehr: »Meiner Meinung nach war es keine gewaltsame Nacht, die Polizei hat korrekt gehandelt.«

Unterstützung bekommt der Präfekt außerdem von der italienischen Politik. Erst vor wenigen Tagen wurde vom Senat ein Gesetz gegen die Gewalt in den Stadien verabschiedet. Dieses so genannte Anti-Hooligan-Gesetz geht auf einen Erlass des Innenministers zurück, der bereits im Februar, anlässlich einer langen Krawallnacht in Catania, den Notstand ausrief. Damals war es nach dem Derby gegen Palermo zu einer mehrstündigen Straßenschlacht zwischen den sizilianischen Ultras und der Polizei gekommen, in deren Verlauf der Polizeibeamte Filippo Raciti tödlich verletzt worden war.

Seither gilt in Italien ausgerechnet das »englische Modell« als Vorbild: knallharter Polizeiein­satz, schnelle und harte Strafverfahren. Nach dem neuen Gesetz kann das Abbrennen von Feuerwerks­kör­pern sowie das Werfen von Gegenständen mit einer Haft­strafe zwischen drei und 12 Monaten be­legt werden. Acht bis 16 Jahre Haft drohen demjenigen, der staatliche Ordnungskräfte attackiert oder verletzt.

Weil aggressive Halbstarke niemandem besonders sympathisch sind, gab es nur wenige Proteste gegen den repressiven Charakter der neuen Gesetzgebung. Dass italienische Fans und Polizisten in heimlicher Komplizenschaft die englischen Fans angegriffen haben, bezeugt die xenophobe Grundhaltung beider Formationen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Liga die Rollen klar verteilt sind.

Seit Jahren richtet sich die Gewalt der Ultras in der Regel nicht mehr gegen die Anhänger der gegnerischen Mannschaft, sondern gegen den gemeinsamen Feind: die Bullen. Straßenschlachten vor und nach dem Spiel gehören zum italienischen Fußballalltag. Platzwunden, Prellungen und Hautabschürfungen sind deshalb für den Polizeichef keine besonderen Vor­kommnisse und für die einheimischen Journalisten nicht der Rede wert. Übergriffe der Polizei werden außerhalb der Fankurven kaum zur Kenntnis genommen.

Das könnte sich nun nicht nur wegen der jüngsten Ereignisse im römischen Olympiastadion ändern. Das Wochenmagazin Espresso ver­öffentlichte in seiner aktuellen Ausgabe ein bis­her unbeachtetes Protokoll zu den Vorkommnis­sen in Catania. Demnach wäre nicht der 17jährige Ultra, der seit Wochen in U-Haft gehalten wird, für den Tod Racitis verantwortlich, sondern ein Kollege des Polizisten. Dieser soll Raciti im eigenen Tränengasnebel übersehen und beim Zurücksetzen des Polizeijeeps angefahren und dabei lebensgefährlich verletzt haben. Serra geht der Fall nichts an, und von zuständiger Stelle gab es bisher keinen Kommentar.