Helden der Arbeit essen Salat

Der US-Konzern Wal-Mart greift in das Privatleben seiner Beschäftigten ein und lässt sie überwachen. Nun sollen sie abnehmen und mehr Sport treiben. von jörn schulz

Die Untersuchung war langwierig, und sie führte die Ermittler bis nach Guatemala. Als sie dort an einer Zimmertür im Holiday Inn lauschten, hörten sie »Stöhnen und Seufzen«. Damit war für sie der Beweis erbracht: Julie Roehm und Sean Womack hatten Sex.

Man sollte annehmen, dass ein Seitensprung der beiden nur deren Ehepartner etwas angeht. Doch nicht einer von ihnen hatte die Ermittler beauftragt, sondern das Unternehmen, für das Roehm und Womack arbeiteten. Der Einzelhandelskonzern Wal-Mart verbietet sexuelle Beziehungen und sogar Verabredungen der Angestellten untereinander, wenn ein Beteiligter die Arbeitsbedingungen des anderen beeinflussen kann. Um solche und andere Verstöße gegen die »Ethik« des Unternehmens zu untersuchen, gibt es die Threat Research and Analysis Group, einen überwiegend aus ehemaligen Mitarbeitern von FBI und CIA bestehenden Privatgeheimdienst.

Roehm und Womack klagten gegen ihre Entlassung, in der vergangenen Woche begann der Prozess. Als Skandal gilt nicht, dass Wal-Mart seine Mitarbeiter bespitzelt. Das ist legal, ebenso wie das Verbot sexueller Beziehungen. Das Gericht muss vielmehr entscheiden, ob Stöhnen und Seufzen ein ausreichender Beweis für eine solche Beziehung sind.

Dass Konzerne eine kleine Armee von bewaffnetem Sicherheitspersonal unterhalten, ihren eigenen Geheimdienst aufbauen und den Mitarbeitern Vorschriften machen, die tief in das Privatleben eingrei­fen, wird von kaum jemandem als Problem betrachtet. Ein modernes Unternehmen versteht sich auch als moralische Instanz, und wenn es seine »Ethik« und »Phi­losophie« propagiert, geht es nicht allein darum, das Image zu verbessern, sondern auch um gesellschaftlichen Einfluss.

Wal-Mart beschäftigt 1,3 Millionen US-Amerikaner, und der zweitgrößte Konzern der Welt ist nicht nur führend bei der Bespitzelung seiner Mitarbeiter. In der vergangenen Woche veröffentlichte das Unternehmen die erste Bilanz seines »Personal Sustainability Project« (PSP). Unter anderem haben die Angestellten »kollektiv mehr als 2 000 Pfund – eine Tonne – durch gesünderes Essen und mehr Gymnastik verloren« und »gelobt, mehr zu trainieren«. Sie werden »ermutigt«, sich auf persönliche ökologische und gesundheitsfördernde Ziele zu verpflichten. Auch das soziale Umfeld bleibt nicht verschont, denn die Mitarbeiter sollen Angehörige, Freunde und Nachbarn von den Vorzügen des PSP überzeugen.

Die protestantische Arbeitsethik und die strikte Hierarchie, die das Unternehmen Wal-Mart schon immer prägten, werden nun in den Dienst des Ökopuritanismus gestellt. Es geht auch, aber nicht nur um höhere Produktivität der Angestellten und größeren Umsatz der Bioprodukte, die Wal-Mart seit zwei Jahren verstärkt anpreist. Während europäische Konzerne sich noch überwiegend des Staats bedienen, um ihre gesellschaftspolitischen Ziele durchzusetzen, wollen US-Unternehmen mit Missionsdrang selbst die Gesellschaft nach ihrem Bilde formen. Dabei eignen sie sich staatliche Funktionen an und entwickeln Strukturen, die es bislang nur bei Sekten gab. Das Logo wird nicht zur Religion, aber zur Konfession. Um seine Arbeitskraft verkaufen zu können, muss der Lohnabhängige ein Bekenntnis ablegen und seine Lebensweise ändern.

Die Stasi-Methoden, die angeblich freiwilligen Selbstverpflichtungen und die stolze Präsentation der Planerfüllung erinnern an die DDR, deren Bürger aber immerhin Sex mit den Kollegen und Übergewicht haben durften. In der Welt, so wie Wal-Mart sie sich vorstellt, treibt der Lohnabhängige in der Pause Gymnastik, am Abend knabbert er etwas Salat, bevor er mit seinen Nachbarn den Müll sortiert. In Zukunft werden die Lohnabhängigen nicht nur für ihre Bürgerrechte, sondern auch für das Recht auf einen Burger kämpfen müssen.