Zurück aus den Achtzigern

Nach 19 Jahren auf der Flucht steht Adrienne G. wegen Mitgliedschaft in der »Roten Zora« vor Gericht. von christoph villinger

Wer sie in den beiden vergangenen Jahrzehnten unterstützte und wo sie sich aufhielt, möchte Adrienne G. gerne für sich behalten. Erfolgreich hat sie sich 19 Jahre lang dem Zugriff der deutschen Polizei entzogen. Die suchte sie wegen der Mitgliedschaft in der »Ro­ten Zora« und der Beteiligung an zwei Spreng­stoffanschlägen in den achtziger Jahren.

Anfang Dezember vorigen Jahres stellte sich die 58jährige gemeinsam mit ihrem ebenfalls von der Polizei gesuchten Lebensgefährten Thomas K. der Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe. Mit deren Einwilligung setzte der Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug. Thomas K. will die BAW in einem gesonderten Verfahren »Rädelsführerschaft« in den »Revolutionären Zellen« (RZ) vorwerfen.

An diesem Mittwoch ­beginnt vor dem Berliner Kam­mer­gericht der auf drei Ver­hand­lungstage angesetzte Prozess gegen die Lehrerin und ­Fotografin Adrienne G. Sie soll »mindestens von Herbst 1986 bis Juni 1987« Mitglied der »Roten Zora« gewesen sein, die die BAW selbst als »sozialrevolutionäre, feministische Befreiungsbewegung« beschreibt. Zuerst als autonomer Teil der RZ, später völlig eigenständig, bekannte sich die »Rote Zora« zwischen April 1977 und Februar 1988 zu insgesamt 45 Brand- und Spreng­stoffanschlägen, die meist feministisch begründet wurden.

An zwei Aktionen soll Adrienne G. nach den Ermittlungen der BAW beteiligt gewesen sein: an dem versuchten Sprengstoffanschlag am 17. Oktober 1986 auf das Gentechnische Institut in Berlin und auf ein Gebäude des Be­kleidungskonzerns Adler in Aschaffenburg am 21. Juni 1987. Den Anschlag auf Adler begründete die »Rote Zora« damit, den Streik in einer zum Konzern gehörenden Textilfabrik in einer Freihandelszone in Südkorea unterstützen zu wollen. Dort forderten die überwiegend weiblichen Beschäftigten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingun­gen. »Die deutsche Firmenleitung setzte da­raufhin Militärpolizei und private Schlägertrupps gegen die streikenden Frauen ein«, er­klärten die Zoras in ihrem Bekennerschrei­ben. Mitte August 1987 folgte eine Serie von Anschlägen auf weitere neun Filialen von Adler, bei denen ein hoher Sachschaden entstand. Daraufhin gab die Firmenleitung den Streikenden nach.

Als Beweismittel gegen Adrienne G. führt die BAW vor allem Fotos von ihr beim Kauf eines von den RZ und der »Roten Zora« als Zeitzünder benutzten speziellen Weckers an. In einer groß angelegten Überwachungsaktion hat damals das BKA sämtliche Exemplare dieses Modells in der gesamten Republik nummeriert und die Käufer und Käuferinnen heimlich fotografiert. Doch da insbesondere die »Rote Zora« damals weit über das linke Umfeld hinausgehende Sympathien besaß, warnte unter anderem die Ehefrau eines Kölner Kriminal­beamten die observierten Frauen.

Wegen eines Warnanrufs konnte sich auch Adrienne G. vor der eilig vorverlegten bundesweiten Razzia des BKA am 18. Dezember 1987 in Sicherheit bringen. Thomas K. entkam ebenfalls rechtzeitig. Derzeit befindet sich von den damals gesuchten Personen nur noch die 56jährige Juliane B. aus Duisburg auf der Flucht.

»Es ist uns nicht schlecht gegangen in diesen 19 Jahren«, sagt Adrienne G., schon gar nicht, wenn man die Lebensumstände mit denen der Mehrzahl der Illegalisierten in Euro­pa vergleiche. »Wir hatten Platz zum Wohnen und Gelegenheit zum Arbeiten, wir hatten Geld zum Leben und Papiere zum Reisen, wir hatten uns, wir waren nicht krank und hätten es vermutlich noch eine Weile durchhalten können.« Doch we­gen der nicht enden wol­lenden Verjährungsfristen »mussten wir uns entscheiden, den Rest unseres Lebens in der Illegalität zu verbringen, oder nach Möglichkeiten suchen, zu vertretbaren Konditionen zurückzukehren«, erzählt die 58jährige weiter. »Damit meinen wir vor allem, dass wir nicht unsere Authen­tizität aufs Spiel setzen werden.«