Der Trend geht zum Loft

Hauptsache »aufwerten«, scheint man sich bei »Mediaspree« zu denken. Das neue Berliner Medienviertel wird weniger medial als geplant.

Die Geschäfte laufen nicht optimal. Mit den Jahren wurden einige Bauvorhaben wieder fallengelassen, andere kommen nicht in die Gänge, und etliche Gelände und Mietflächen werden nur schleppend abgesetzt. Da kann man, was die potenzielle Kundschaft betrifft, nicht so wählerisch sein. Unter den Erfolgsmeldungen des Vereins Mediaspree der vergangenen Monate waren beispielsweise die Ansiedlungen eines Kundenzentrums der Karstadt-Quelle-Versandgruppe, eines Callcenters für Toner- und Computerzubehör sowie der Generaldelegation Palästinas in dem Gebiet an der Grenze zwischen Kreuzberg und Friedrichshain.

Auf Nachfrage der Jungle World räumt Uta Bel­kius von Mediaspree ein, dass sich die Gesamtpläne im Lauf der Zeit geändert hätten. Es gebe aber derzeit einen »Denkprozess«, und in Zukunft werde man sich mehr im »Bereich Kultur und Medien« engagieren.

Im Jahr 1992 hatten sich die ersten sechs Investoren – heute sind es 23 Investoren, Grund­stücks­eigen­tümer und »Projektentwickler« – zusammen­getan, um nach Unternehmen zu suchen, welche sich innerhalb eines 3,3 Kilometer langen Gebietes an der Spree zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke ansiedeln wollten. Es sollten aber nicht irgendwelche Unternehmen sein. »Irgendwas mit Medien wäre toll«, müssen sie sich gedacht haben, wohl wissend, dass Berlins Subkultur sich gut vermarkten lässt. Gleich ein ganzes Stadtviertel sollte unter dem Namen »Mediaspree« neu entstehen. Ein Wirtschaftsgutachten versprach Zehntausende von Jobs (Jungle World 47/01). »Quar­tiersaufwertung« heißt das im Jargon der Stadtplaner.

Zwar zogen der Fernsehsender MTV und verschiedene kleine und große Plattenfirmen, darunter das Unternehmen Universal, an die Spree, neuerdings auch Musikmagazine, z.B. die Spex. Und im September hieß es, »25 Clubs und 30 verschiedene Musikunternehmen« seien in dem 120 Hektar großen Gebiet ansässig. Ansonsten aber beinhalten die geplanten Großprojekte vor allem die eine oder andere Kombination von Geschäfts- und Wohngebäuden und Orten für die Abendunterhaltung. Es sieht also nach einem eher gewöhnlichen Prozess von »Aufwertung« aus.

Mit Ausnahme der »O2-World«. In der Mühlenstraße, auf der Friedrichshainer Seite, entsteht »eine der modernsten Multifunktionsarenen der Welt« für 17 000 Gäste, wie das Baustellenschild verspricht. Künftig sollen dort 150 Sport- und Musikveranstaltungen pro Jahr stattfinden.

Eine zusätzliche Spreebrücke für den Autoverkehr soll gebaut werden, in Verlängerung der Eisenbahn- bzw. Brommystraße, nicht zuletzt, um den geplanten »Destination Entertainment District« um die »O2-World« herum mit knapp 5 200 Parkplätzen besser erreichbar zu machen. Aber »ein Verkehrsgutachten des Architektur- und Stadtplanungs­büros Herwarth & Holz zeigt, dass die Brücke auch für die wirtschaftliche Entwicklung der Kreuzberger Seite nötig ist«, sagt Jörg Flämig, der persönliche Referent des Bürgermeisters Franz Schulz (Grüne).

Drei 44 Quadratmeter große, beidseitig bespielbare elektronische Großbildleinwände sollen auf 15 Meter hohen Sockeln um die Halle herum stehen und die Veranstaltungen bewerben. Die erste der Leinwände wurde kürzlich errichtet, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, fast direkt am Wasser. Da­für und für eine geplante Anlegestelle für Ausflugsboote und Wassertaxis wurde eine 45 Meter breite Lücke in die »East Side Gallery« geschlagen, das längste erhaltene Stück der Berliner Mauer zwischen Mühlenstraße und Spree. »Die Leinwand strahlt so hell, dass sie die Menschen in den Wohnungen am anderen Ufer belästigt«, meint Tobias vom »Initiativkreis Mediaspree versenken!«.

Jörg Flämig verweist solche Beschwerden an das Umweltamt. Zum Schutz der Nachbarschaft gibt es nämlich eine »Lichtleit­linie«. Nach der Fertigstellung der Halle ist übrigens noch mit deutlich mehr Licht zu rechnen: Die Front des Gebäudes soll eine gerundete »LED-Lichtpunkt-Installation« von 15 Metern Höhe und 120 Metern Breite zieren, ein Bildschirm von 1 800 Quadratmetern also.

Für Mediaspree ist die Veranstaltungshalle logischerweise der Knüller. Auf der Homepage des Vereins heißt es: »Damit wird Mediaspree weiter aufgewertet, die Nähe zum Wasser wird als Qualität erkannt und die angrenzenden Quartiere in Friedrichshain und Kreuzberg gewinnen durch die neue Nachbarschaft und die Dynamik in ihrem Umfeld neue Perspektiven.« Als da wäre die Perspektive des »Yaam« zum Beispiel, das Büroflächen weichen soll. Das »Yaam« ist ein in der gleichen Straße ansässiger Vereins zur Förderung der Jugendkultur, der auf seinem großen Grundstück Graffiti, Skaten und Basketball ermöglicht und eine Strandbar an der Spree betreibt. Es hat nur einen Zwischennutzungsvertrag.

Die im Hof sitzenden Leute sind sich über Media­spree einig: »Von der kulturellen Seite her ist das alles eine Katastrophe.« Viele Clubs seien in den vergangenen Jahren aus der Mühlenstraße vertrieben worden. Und auch das »Yaam« erhalte keine Unterstützung von den Lokalpolitikern, obwohl das Gelände von Angestellten größerer Firmen der Umgebung bereits für Betriebsfeste und Graffiti-Workshops genutzt worden sei.

Bei den neu entstandenen Bars und Clubs, vor allem auf der Kreuzberger Spree­seite, geht der Trend zur gehobenen Preisklasse. Diese Tendenz sieht der Weinhändler Oliver Führding auch für Wohnungen in der Nähe seines Ladens in der Köpenicker Straße. Mehr noch als ohnehin schon in Kreuzberg seien dort die Preise durch Luxussanierungen und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen gestiegen. Das bestätigen auch Petra Dümmel und ihr Mann, die einen Imbiss betreiben. In den vergangenen zehn Jahren seien in der Köpenicker Straße viele kleine und mittelständische Unternehmen verschwunden, da es für Gewerbeflächen keine Mietpreisbindung gebe und sich die Mieten um 400 Prozent erhöht hätten. Auch dem Ehepaar wurde kürzlich zum Ende des Jahres gekündigt. Der Gewerbehof, an dessen Eingang sich der Imbiss befindet, soll mit teuren Lofts und Atelierwohnungen ausgestattet werden.

Der Widerstand gegen die sich anbahnende »Aufwertung« ist bislang schwach. Zu den Tref­fen der Gruppe »Mediaspree versenken!« kommen kaum mehr als ein Dutzend Leute. Am kommenden Wochenende haben Neueinsteiger gleich zwei Gelegenheiten, sich zu informieren: Am Freitag findet um 17 Uhr eine vom Bezirk anberaumte Anwohnerversammlung im »Oberstufenzentrum Handel Wrangelstraße« statt, und am Sonntag um 15 Uhr eine Demonstration. Zumindest aus dem »Yaam« kommen kämpferische Töne: »Es kommt alles zurück, die ganze Kultur, die sie hier kaputtmachen. Und wenn wir jede Woche Demonstra­tio­nen und Straßenblockaden machen müssen!«