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Das Militär und der Zivilaufbau von ivo bozic
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Man konnte 2001 kaum davon ausgehen, dass es möglich sein würde, die ­Taliban militärisch derart zu schlagen, dass sie ein für alle Mal ihren Einfluss verlieren. Von Anfang an war daher klar, dass die wichtigste, die zentrale Aufgabe der Invasoren sein musste, staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen. Dabei haben sich alle beteiligten Staaten lange Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was – euphemistisch ausgedrückt – ebenso für die Art der Kriegführung gilt. Vor allem Vertreter der selbsternannten Friedensmacht Eu­ropa erklären dabei gern, dass nicht Schwerter, sondern Pflugscharen die angemessene Ausrüstung für Afghanistan seien. Doch das ist nicht mehr als ein frommes Bekenntnis. Die meisten der 3 000 NGO und Hilfsorganisationen wären ohne den militärischen Sturz der Taliban im Jahr 2001 gar nicht im Land, und ohne die bis heute andauernde Präsenz der Nato könnten sie sofort ihre Koffer packen.

Während sich die Mitarbeiter der NGO in Kabul über die Füße stolpern, können nur wenige im Rest des Landes etwas ausrichten angesichts der Gefahren, die von Warlords, Taliban und von zehn Millionen im Land verstreuten Minen ausgehen. Oft sind es Soldaten, die beim Aufbau von medizinischer Infrastruktur, der Wasser- und Stromversorgung helfen. Viele NGO stehen zudem in der Kritik, einen Großteil der Gelder für die Bevölkerung höchst ineffektiv einzusetzen oder gar zu veruntreuen. Sie allein, das jedenfalls steht fest, könnten die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen nicht bewältigen; für den Schutz demokratischer Verfahren und Strukturen wie die Abhaltung von Wahlen, den Ausbau eines Justizapparats u.Ä. stehen sie ohnehin nicht zur Verfügung. Militärische Einsätze und zivile Maßnahmen lassen sich in Afghanistan derzeit nur schwer voneinander trennen. Der Abzug aller Truppen wäre daher eine Katastrophe für die Menschen – aus humanitärer Sicht, aber auch politisch wegen der Gefahr einer erneuten Talibanisierung des Landes.

Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass der zivile Aufbau und die Demokratisierung des Landes die vordringlichste Herausforderung sind, schon allein deshalb, weil die Taliban militärisch nicht zu besiegen sind, wie ihre aktuelle Offensive beweist. Gerade in der EU, die sich selbst als »führender Geber humanitärer Hilfe in Afghanistan« preist, wird diese Forderung gerne intoniert, um im selben Atemzug die allzu militärische Ausrichtung der US-Politik zu kritisieren. Das jedoch ist ein Standpunkt, der an der Realität vorbeigeht. Die EU hat seit 2001 gerade mal eine Milliarde Euro für Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte in Afghanistan eingesetzt, das jüngste »Wiederaufbaupaket« der EU sieht nur noch 600 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 vor. Die USA kündigten im Januar nicht nur die Aufstockung ihres Truppenkontingents an, sondern auch ein zusätzliches »Hilfspaket« von 8,1 Milliarden Euro. Zwar fließt ein großer Teil der internationalen, gerade auch der deutschen Gelder in den Aufbau der afghanischen Polizei und Armee und nicht in Hilfsprojekte, doch auch in der EU weiß man, dass Sicherheit die Grundvoraussetzung für den Zivilaufbau ist - und umgekehrt. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. An beidem mangelt es. Ein Abzug der Truppen und damit auch der Hilfsorganisationen würde den Mangel vervollkommnen.