»Ich hoffe auf die politische Vernunft der Gesetzgeber«

Thilo Weichert
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Die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, künftig Ermittlungsbehörden unter anderem den Zugriff auf die biometrischen Daten der neuen Reisepässe zu erlauben, sind in der Regierungskoalition, bei der Opposition und bei Datenschützern auf heftige Kritik gestoßen. Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für den Datenschutz in Schleswig-Holstein und leitet das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz in Kiel. Mit ihm sprach Ivo Bozic.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat im Zusammenhang mit den Plänen Schäubles von einem »Wortbruch« der Bundesregierung gesprochen. Sehen Sie das auch so?

Herr Schäuble hat immer wieder darauf hingewiesen, dass das, was er gestern gesagt hat, heute nicht mehr gelten muss. Insofern sollte man Versprechungen von Politikern grundsätzlich nicht glauben. Ob ein Politiker Wortbruch begeht oder nicht, das soll die politische Opposition einschätzen. Wir müssen analysieren, was wirklich geplant ist und umgesetzt wird.

Haben sich die Datenschützer nicht auch von den Zusicherungen der Bundesregierung, dass es keinen zentralen Zugriff auf die biometrischen Daten in den Pässen geben soll, einwickeln lassen?

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz hat sich davon nicht beruhigen lassen. Wir haben von Anfang an alles, was mit Biometrisierung, Elektronisierung und Chips in Reisepässen verbunden war, sehr kritisch begleitet. Wir haben immer gesagt, dass der Einsatz von RFID, also Funktechnik, absolut ungeeignet ist. Wir werden jetzt, durch den Vorstoß Schäubles, nur im Nachhinein bestätigt.

Sie meinen, es wäre blauäugig, darauf zu vertrauen, dass die Regierung technische Möglichkeiten, die sie schafft, nicht eines Tages auch nutzt? Muss die Kritik bereits bei der Etablierung technischer Möglichkeiten ansetzen?

Unbedingt.

Auch die Daten der Mauterfassung will Schäuble künftig zu Ermittlungszwecken speichern lassen. Bei der Debatte vor vier Jahren war die Kritik der Datenschützer recht zurückhaltend, nachdem zugesagt worden war, dass die Daten sofort wieder gelöscht werden.

Das ist nicht richtig. Ich war damals Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, und wir haben konkret die Schaffung dieser technischen Überwachungsstruktur gegeißelt und den Einsatz der Technologie als solche abgelehnt.

Datenschützer wirken immer wie Bedenkenträger, die zwar hier und da kritteln, aber nichts ausrichten können. Sollten ihre Befugnisse ausgeweitet werden, sollten sie vielleicht auch Entscheidungsbefugnisse erhalten?

Um Gottes willen! Die Abwägung aller gesellschaftlichen Belange ist Aufgabe des Parlaments. Unsere Aufgabe ist es, die Aspekte des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in die Diskussion einzubringen. Unsere gesetzlichen Kompetenzen sind dabei nicht das Problem. Unser Problem sind unsere Kapazitäten. Wir sind technisch und personell derart unterbesetzt, dass wir nicht in der Lage sind, die ganze Datenverarbeitung, die in der Gesellschaft stattfindet, auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, geschweige denn zu kontrollieren.

Wo sehen Sie die größere Gefahr, in der staatlichen Überwachung oder im privatwirtschaftlichen Bereich, der ja im Internet, bei Mobilfunk oder Videoüberwachung noch aktiver ist?

Beides hängt ganz eng miteinander zusammen. Die Daten, die durch private Wirtschaftsunternehmen erhoben werden oder die ich zum Beispiel im Internet auch selbst generiere, das sind die Daten, auf die der Staat unter Umständen zurückgreifen möchte, etwa bei der Telefonüberwachung, bei der Telekommunikationsverkehrsdatenkontrolle, bei Online-Buchungen. Alles was privat ist, kann auch öffentlich genutzt werden. Und öffentliche Daten, von Behörden etwa, können auch wieder in private Sphären gelangen. Der Impuls geht von beiden Seiten aus. Einmal von der IT-Wirtschaft, die Hard- und Software verkaufen will, und natürlich auch vom Staat, der mit diesen Technologien Steuern eintreiben und Sicherheit schaffen will.

Sicherheit ist neben der Freiheit auch ein Bürgerrecht. Wie viel mehr Sicherheit würden die Pläne Schäubles bringen?

Sie würden zu weniger Sicherheit führen. Zum einen, weil sie die Bevölkerung insgesamt verunsichern würden; Bürgerinnen und Bürger wüssten nicht mehr, wann sie verdächtigt werden, und würden zunehmend das notwendige Vertrauen in die Polizei verlieren, wenn alle möglichen persönlichen Daten erhoben werden, ohne dass man als Tatverdächtiger gilt. Aber es würde auch deshalb weniger Sicherheit schaffen, weil die Polizei derart viele Ermittlungsansätze hätte, dass sie viel schlechter das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden könnte.

Die CDU/CSU argumentiert, dass der Online-Abgleich von Passbildern bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr ja längst getätigt werde, umso mehr müsste das doch auch bei echten Straftaten möglich sein.

Auch die Nutzung zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist sehr fragwürdig, weil hier eine Zweckänderung der gespeicherten Daten stattfindet. Dennoch hat sie im Bagatellbereich mehr Sinn, weil der Bagatellbereich potenziell die gesamte Bevölkerung betrifft. Jeder kann im Straßenverkehr mal zu schnell fahren. Aber sämtlichen Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen, sie würden potenziell eine schwere Straftat begehen, ist eine wirkliche Zumutung. Bei Ordnungswidrigkeiten ist außerdem nur ein 1:1-Vergleich zugelassen, also es wird geprüft, ob der Halter eines Fahrzeugs mit demjenigen identisch ist, der in der Meldedatei gespeichert ist. Das ist ein völlig anderer Ansatz als das, was geplant ist, nämlich den gesamten bundesweiten Bildbestand zur Fahndungsgrundlage der Straftatenbekämpfung zu nehmen.

In Großbritannien werden Menschen, die per Videokameras dabei beobachtet werden, wie sie eine Zigarettenkippe wegwerfen, mancherorts direkt per Lautsprecher angesprochen. Ist solch ein Orwellsches Szenario auch bei uns denkbar?

Denkbar ist das auch in Deutschland. Es ist aber derzeit relativ unrealistisch, weil wir eine erheblich kritischere Öffentlichkeit haben. Diese größere Sen­sibilität liegt sicher auch an den Erfahrungen mit den totalitären Staaten, die es in Deutschland gab. Aber ich halte es auch deshalb für eher unrealistisch, weil ich ein relativ großes Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht habe, das derartigen Überwachungsphantasien des Gesetzgebers bisher immer eine Absage erteilt hat, wie bei der Raster- und Schleierfahndung, dem Großen Lausch­angriff, der Videoüberwachung.

Sind die neuen Vorhaben von Schäuble auch ein Fall für das Verfassungsgericht?

Auf jeden Fall. Hier ist das klassische Muster der Jedermann-Verdächtigung und der Jedermann-Beobachtung gegeben. Diesbezüglich hat das Verfassungsgericht bei der Rasterfahndung ganz klare Grenzen aufgezeigt.

Also setzen Sie Ihre Hoffnungen auch in der aktuellen Debatte auf das Bundesverfassungsgericht?

Ich habe die Hoffnung, dass die politische Vernunft so weit reicht, dass das Vorhaben schon im Gesetzgebungsverfahren gestoppt wird. Es kann ja nicht sein, dass wir jedes Mal auf das Verfassungsgericht hoffen müssen. Die poli­tische und demokratische Kultur in Deutschland sollte solchen Schäubleschen Überwachungsphantasien schon vorher Einhalt gebieten.