Die Katastrophe als Attraktion

Die Touristen strömen wieder nach New Orleans. Doch in den armen Stadtteilen kommt der Wiederaufbau nur schleppend voran. von fabian frenzel, new orleans

Einige hatten New Orleans bereits abgeschrieben und für verloren erklärt. Doch 18 Monate nachdem der Hurrikan Katrina die Stadt traf und große Überschwemmungen auslöste, einige Viertel komplett verwüstete und über 1 800 Todesopfer forderte, scheint ein moderater Optimismus in New Orleans eingekehrt zu sein. Optisch hat sich viel verändert, erklärt Mikkel Allen, ein Radiojournalist, der nach der Katastrophe einen Sender etablierte und aus der Stadt berichtete. »Das Bild normalisiert sich langsam, der Dreck ist weggeräumt, und zumindest in der Innenstadt sieht es fast wieder so aus wie vorher.«

Das ist wichtig für den Tourismus, der eine der wichtigsten Einnahmequellen war und nun wieder in Gang kommt. Die Folgen der Katastrophe werden als touristische Attraktion vorgeführt. Die so genannten Katrina-Tours lösten zunächst einige Kritik aus, doch mittlerweile haben sie sich zum festen Bestandteil des touristischen Angebotes der Stadt entwickelt. Touren werden von verschiedenen Unternehmen angeboten, verkaufen sich aber meist mit dem Hinweis, dass ein Teil der Einnahmen an lokale Aufbauprojekte fließt.

Eines dieser Projekte, das Common Ground Col­lective, begann unmittelbar nach der Katastrophe damit, freiwillige Helfer aus anderen Landesteilen und dem Rest der Welt zu rekrutieren. In diesem Freiwilligen-Tourismus sind inzwischen zehntausende Besucher in das Katastrophengebiet gekommen und haben sich auf die eine oder andere Art am Wiederaufbau beteiligt. In den Schulferien strömen nach wie vor Hunderte von jungen College-Studenten in die Stadt. Ihre Arbeit umfasst Nachbarschaftshilfe und Schulprojekte ebenso wie Hausrenovierungen und Arbeit in den sich langsam wieder etablierenden Gemeinden. Touristen, die nicht spenden oder helfen, sondern lediglich durch die nach wie vor weitgehend unbewohnten und verwüsteten Stadtteilen im Osten der Stadt fahren, werden dagegen auf Schildern darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich schämen sollten.

Neben dem Tourismus bleiben die durch Spenden finanzierte Projektarbeit und staatliche Transfers die wichtigsten Einnahmequellen vieler Stadtbewohner. Den staatlichen Autoritäten, vor allem der Katastrophenschutzbehörde Fema (Federal Emergency Management Agency), wird vorgeworfen, während der Katastrophe versagt zu haben. Die Behörde reagierte sehr spät auf den Hurrikan, sie gilt als überbürokratisch, langsam und ineffektiv. In der Burbon Street, einer von Bars und Stripclubs geprägten Touristenmeile in der Altstadt, werden T-Shirts mit der Aufschrift »Fix Every­thing My Arse« verkauft.

Die Fema ist als zentralstaatliche Behörde allerdings nur zuständig, wenn die kommunale und bundesstaatliche Katastrophenhilfe nicht ausreicht. Gemeinden und Bundesstaaten in den USA verfügen über umfangreiche Selbstverwaltungsrechte, über die sie eifersüchtig wachen. Mit einer Katastrophe, die erstmals in der Geschichte der USA die Evakuierung einer Großstadt und die Versorgung mehrerer hunderttausend Menschen erforderlich machte, waren New Orleans und Louisiana jedoch überfordert. Kritiker werfen Präsident George W. Bush vor, er habe den Katastrophenschutz milita­risiert. Die Fema wurde dem Department of Home­land Security unterstellt, dessen Priorität der »war on terror« ist; dadurch sei die zivile Katastrophenhilfe geschwächt worden.

Doch auch von Bürgermeister Ray Nagin und Kathleen Babineaux Blanco, die Gouverneurin von Louisiana, haben viele Stadtbewohner keine gute Meinung. Sie vermuten, dass Korruption und Missmanagement den Wiederaufbau behindern. Sobald man die Innenstadt und den historischen Kern um das »Französische Viertel« verlässt und hinter die touristischen Kulissen blickt, wird deutlich, dass der Wiederaufbau in vielen Stadtteilen kaum vorangekommen ist. Derzeit leben in New Orleans höchstens halb so viele Menschen wie vor der Katastrophe. Es fehlt an Wohnraum und an Jobs, zudem verlangen Versicherungen in New Orleans seit dem Hurrikan exorbitante Prämien für den Schutz gegen Flut- und Sturmschäden, die insbesondere kleine Geschäfte und ärmere Einwohner kaum aufbringen können.

Die Mieten sind nach dem Hurrikan gestiegen, in vielen Bezirken sind jedoch die Preise für Immobilen stark gefallen. Dies löst nun eine Gentrifizierung aus, die die ärmeren Bewohner verdrängt. Doch während viele arme Flüchtlinge nicht in die Stadt zurückkehren können, wollen es viele Wohlhabende nicht. Die städtische Polizei ist nicht in der Lage, die Stadt zu kontrollieren. Der Wiederaufbau von zerstörten Polizeistationen in den überfluteten Bezirken hat noch nicht begonnen, und die Polizei ist unterbesetzt, weil die Stadt bankrott ist.

Noch immer ist deshalb die der Armee zugehörige Militärpolizei der Nationalgarde für die Sicherheit zuständig. Wenn die Soldaten in ihren Humvees durch die Straßen fahren, erinnert das ein wenig an die Bilder aus dem Irak. In der Tat werden viele Militärpolizisten in New Orleans auf Auslandseinsätze vorbereitet. Auch andere Einheiten der Bundespolizei, wie beispielsweise die Antidrogenbehörde DEA, sind beinahe täglich in den armen Teilen der Stadt im Einsatz. »Keine andere Stadt in den USA hat so eine Situation erlebt«, sagt Mikkel Allen. Darin zeige sich nicht zuletzt auch das Problem des strukturellen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft.

Über zwei Drittel der Stadtbewohner sind Afroamerikaner, und in den Armenvierteln ist der Anteil weit höher. Während unbegrenzte Mittel für das Militär vorhanden zu sein scheinen, verzögert sich der Wiederaufbau von Sozialbauwohnungen. Viele Einwohner glauben, es gebe ein gezieltes Programm der Vertreibung. »Sie wollen die armen schwarzen Bezirke nicht zurück haben«, sagt Tamara Jackson von der Social Aide And Pleasure Club Task Force. Sie arbeitet als Repräsentantin verschiedener Nachbarschaftsinitiativen der Paradenkultur in der Stadt. Während die Stadt die Kultur und die Musik der Afroamerikaner vermarkte, würden sie als soziale Gruppe ausgegrenzt. Jackson verklagt regelmäßig die Stadtverwaltung, die ihrer Meinung nach viele Paraden und Musikprojekte durch bürokratische Vorschriften behindert.

Bürgermeister Nagin teilt jedoch ihre Ansichten über die Vertreibung der Afroamerikaner. »Sie studieren dieses Modell der Naturkatastrophen, um die Community zu zerstreuen und den Wahlprozess zu beeinflussen«, sagte er im März, ohne »sie« genauer zu benennen. Er betrachtet die Wiederaufbaupolitik als eine neue Form des gerrymandering, der von beiden großen Parteien praktizierten Neuaufteilung von Wahlkreisen, die die Chancen ihrer Kandidaten erhöhen soll.

Beweise dafür, dass rassistische Ziele die Wiederaufbaupolitik lenken, gibt es bislang nicht. Zweifellos aber war die afroamerikanische Bevölkerung von der Katastrophe stärker betroffen, weil die armen Stadtteile tiefer liegen und stärker überflutet wurden, und ihre strukturelle Benachteiligung hat sich nach der Katastrophe noch verstärkt.