Jihadisten in Bedrängnis

In Bagdad begann al-Qaida eine neue Terrorkampagne. In den sunnitischen Gebieten müssen die Terroristen jedoch gegen frühere Verbündete kämpfen. von thomas von der osten-sacken

Im März hatten die Medien wenig aus dem Irak zu berichten. Wer regelmäßig die Schlagzeilen der Nachrichtenagenturen verfolgte, bemerkte den Mangel an Horrormeldungen. Es schien so, als sei der neue irakisch-amerikanische Sicherheitsplan erfolgreich. In Teilen Bagdads hatte sich die Lage beruhigt. 75 Prozent weniger Todesopfer von Gewaltverbrechen waren im März im Vergleich zum Januar in die Leichenschauhäuser der irakischen Hauptstadt eingeliefert worden. Vor allem der tägliche Terror schiitischer und sunnitischer Todesschwadrone sei deutlich zurückgegangen, berichtete die Zeitung al-Sabah, bemerkte aber auch, dass zugleich in anderen Teilen des Irak die Gewalt zunehme.

Verhalten optimistisch waren auch viele Bewohner Bagdads, die erstmalig nach Monaten wieder ihre Kinder zur Schule schicken konnten, während in vielen Stadtteilen Restaurants und Geschäfte wieder öffneten. Die berüchtigte Haifa-Straße im Zentrum Bagdads, jahrelang von »Aufständischen« gehalten, stand unter Kontrolle von Regierungstruppen, amerikanisches Militär war ohne nennenswerten Widerstand in Sadr City, die Hochburg der schiitisch-islamistischen Mahdi-Miliz, eingerückt. Der neue Plan zur langfristigen Befriedung Bagdads zeitigte erste Wirkung, auch wenn das US-Militär betonte, erst im Juni oder Juli könne eine Zwischenbilanz gezogen werden.

Dann gelang es Terroristen in wenigen Tagen, eine der wichtigsten Brücken über den Tigris zu sprengen, einen Selbstmordattentäter ins Parlament zu schmuggeln und ein Massaker auf dem Sadiriya-Markt anzurichten, dem über 170 überwiegend schiitische Zivilisten zum Opfer fielen. Erst im Februar war dieser belebte Markt im Zentrum der Stadt das Ziel eines Terrorangriffs gewesen.

Der Irak beherrschte wieder die Schlagzeilen. Bewies nicht die erneute Terrorwelle, dass auch der von General David Petraeus entwickelte Befriedungsplan, wie ähnliche Pläne zuvor, angesichts des Terrors und der sektiererischen Gewalt zum Scheitern verurteilt ist? Zu dieser Einschätzung gelangte auch Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, der den Irak-Krieg für verloren erklärte.

Schließlich sprechen sich in den USA so viele Menschen wie noch nie zuvor für einen baldigen Rückzug der Truppen aus dem Irak aus; eine Stimmung, die die demokratische Partei für sich zu nutzen versucht. Dass sie dabei, wie Reuel Marc Gerecht kürzlich im Weekly Standard bemerkte, al-Qaida und anderen im Irak operierenden Terrorgruppen Vorschub leistet, scheine Reid und seine Parteikollegen weniger zu stören. Längst hänge ein Sieg der Demokraten bei der nächsten US-Präsidentschaftswahl vor allem von einem Scheitern der USA im Irak ab: »Sollte der Sicherheitsplan scheitern«, so Gerecht, »gewännen die Demokraten 2008 unzählige zusätzliche Stimmen.«

Die Uhr in Washington tickt, heißt es immer häufiger in US-Medien. Und sie ticke schneller als die Uhren in Bagdad, fügte Petraeus kürzlich in einem Interview hinzu. Während nämlich aus Kreisen des Militärs durchaus Fortschritte berichtet werden, haben viele Politiker in Washington den Irak vor allem wegen der wachsenden Unpopularität des Einsatzes in der amerikanischen Öffentlichkeit abgeschrieben.

Doch es gibt erste Indizien für einen Wandel sowohl der Sicherheitslage als auch der innenpolitischen Situation im Irak. In den früheren Hochburgen des sunnitischen »Widerstands«, der Provinz al-Anbar, wo sich lokale Stämme nach dem Sturz Saddam Husseins mit al-Qaida verbündeten, herrscht jetzt offener Krieg. 20 der 22 Stämme haben sich gegen al-Qaida im Irak verbündet und operieren gemeinsam mit der irakischen Armee und den Koalitionstruppen. War noch vor einem Jahr die Hauptstadt der Provinz Ramadi in den Händen der Aufständischen, steht sie jetzt unter Kontrolle der irakischen Sicherheitskräfte. Dass sich al-Qaida mit Chloringasangriffen auf Zivilisten in Ramadi rächte, trug nicht zu ihrer Popularität bei. So berichtete die irakische Zeitung al-Mada, dass sich seit einiger Zeit verstärkt junge Männer aus Anbar freiwillig bei der bislang schiitisch und kurdisch dominierten Polizei und dem Militär meldeten.

Ein Riss hat sich aufgetan, der die sunnitischen Extremisten, die den Irak im Rahmen des globalen Jihad in ein Schlachtfeld für den Kampf gegen die USA, Israel und die verhassten Schiiten verwandeln wollen, von jenen Gruppen trennt, die um größeren Einfluss innerhalb des Landes kämpfen. Auch Islamisten außerhalb des Irak distanzieren sich, selbst der berüchtigte Fernsehprediger Yussuf al-Qaradawi, der den Muslimbrüdern angehört und früher den Terror im Irak mit Fatwas anheizte, forderte kürzlich ein Ende der gegen Zivilisten gerichteten Selbstmordattentate im Irak.

Wie sehr die sunnitische Bevölkerung unter dem Terror leidet, zeigte sich erst kürzlich auf einer in Genf abgehaltenen Konferenz des UN-Flüchtlingswerks UNHCR. Etwa zwei Millionen Menschen sind vor dem Terror und der Gewalt in die Nachbarländer Syrien und Jordanien geflohen; ein Großteil von ihnen stammt aus sunnitischen Gebieten. Denn während Kurden und Schiiten im Norden bzw. Süden des Landes Zuflucht finden können, bleibt den Sunniten nur der Weg über die Grenze. Damit entvölkern sich jene Gebiete, auf denen der Einfluss sunnitischer Politiker beruht. So setzt sich, wenn auch spät, zunehmend die Einsicht durch, dass eine Spaltung des Landes entlang ethnischer und konfessioneller Linien der sunnitischen Minderheit schaden würde.

Seit einiger Zeit setzt die von der schiitisch dominierten United Iraqi Alliance geführte Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki auf eine »nationale« Rhetorik. Gedrängt von den USA, besuchte Maliki erstmalig al-Anbar und versprach bei Treffen mit lokalen Politikern und Stammesführern Wiederaufbauhilfe. Zentral in der neuen Befriedungsstrategie ist der Schutz der wenigen verbliebenen »gemischten« Stadtviertel Bagdads. Maliki steht innen- und außenpolitisch unter enormem Druck. Die US-Regierung erwartet schnelle politische Erfolge, vor allem geht es ihr um die baldige Verabschiedung des Ölgesetzes, das die Verteilung der einzig bedeutsamen Einnahmen des Landes regeln soll. Außerdem wird von Maliki eine baldige »Versöhnung« zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden erwartet.

Um Erfolge vorweisen zu können, muss sich Maliki von seinem Verbündeten Muqtada al-Sadr distanzieren, dessen vom Iran gestützte Mahdi-Milizen noch immer große Teile des Südirak unter Kontrolle halten. Auch wenn Sadr zu Beginn der Sicherheitsoffensive untergetaucht ist und seine Milizen geschwächt sind, können sie weiterhin sowohl militärisch als auch politisch ihre Macht demonstrieren. Erst kürzlich gab es Gefechte in der südirakischen Stadt Diwanijah, während Sadr zum vierten Jahrestag des Sturzes Saddam Husseins seine Anhänger zu einer antiamerikanischen Demons­tration in Najaf versammeln konnte.

Dass Sadrs Bewegung sich allerdings in einer Krise befindet, ist unübersehbar. Die Organisatoren erwarteten mindestens eine Million Demons­tranten, nur Zehntausende kamen. Kurze Zeit später traten drei seiner Bewegung zugehörige Minister zurück, angeblich aus Protest gegen die pro­amerikanische Politik der Regierung. Glaubt man aber dem schiitischen Politiker Ahmed Chalabi, so kamen diese Minister, deren Korruption und Unfähigkeit selbst für irakische Verhältnisse untragbar geworden waren, nur ihrer Entlassung zuvor.

Der Unmut über Korruption und Nepotismus in Ministerien und Sicherheitskräften wächst, und Umfragen zufolge schwindet das Vertrauen in konfessionell orientierte Parteien rasant. Das versucht der ehemalige Premierminister Iyad Allawi zu nutzen, er will eine säkulare gesamtirakische Koalition aufbauen. Vielen gilt er inzwischen als »Hoffnungsträger«.

Allerdings wird sich die Zukunft des Irak weniger in Bagdad als in Washington entscheiden, denn solange es al-Qaida gelingt, mit spektakulären und immer schlimmeren Massakern die Schlagzeilen zu beherrschen, werden die Uhren in den USA weiter schneller ticken als im Irak.