Onkel Toms Erben

Großbritannien gedenkt mit großem Brimborium der Abschaffung der Sklaverei vor 200 Jahren. Kritiker werfen der Regierung vor, die Geschichte schönzufärben und moderne Formen der Sklaverei zu forcieren. von hanna keller, london

Eine afro-karibische Familie betritt ein englisches Herrenhaus und läuft geradewegs am Ticketschalter vorbei. »He, der Besuch kostet Eintritt!« ruft das Personal ihr hinterher. Ohne stehenzubleiben, antwortet einer der Erwachsenen lakonisch: »Wir haben schon bezahlt.« Diese Geschichte, die die schwarze Autorin Lola Young in der Tageszeitung Guardian erzählt hat, illustriert einige Aspekte der gegenwärtigen Diskus­sion um Sklaverei in Großbritannien. Das prächtige Herrenhaus wurde mit Gewinnen aus dem Sklavenhandel errichtet.

Unter dem Titel »Abolition 07« wird in Großbritannien derzeit ein Gedenkjahr zur Abschaffung des Sklavenhandels vor 200 Jahren veranstaltet. Vier Wochen nach den offiziellen Feierlichkeiten am Jahrestag der Verabschiedung des so genannten Abolition Act, mit dem der Handel mit Sklaven (nicht aber die Sklaverei an sich!) unter Strafe gestellt wurde, geht die Debatte in zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen weiter. Einige Kommunen sowie die anglikanische Kirche haben offizielle Entschuldigungen ausgesprochen, die Kirche beginnt zögerlich, über Reparationszahlungen nachzudenken, und die Regierung hat die obligatorische Aufnahme des Themas Sklavenhandel in die Lehrpläne weiterführender Schulen angekündigt.

Angesichts des bisherigen Umgangs mit dem Thema, den der schwarze Kulturwissenschaftler Stuart Hall als einen Zustand »historischer Amnesie« bezeichnet hat, ist das bereits eine ganze Menge. Nur ungern wurde bislang die Tatsache öffentlich thematisiert, dass England seinen Aufstieg zur wirtschaftlichen Großmacht im 18. Jahrhundert und den heutigen Wohlstand in weiten Teilen dem Sklavenhandel verdankt.

»Wir haben erstmalig in diesem Land eine öffentliche Diskussion, die die Mitglieder dieser Gesellschaft mit einem Thema konfrontiert, von dem sie bisher nicht geglaubt haben, dass es sie betrifft. Das ist zunächst einmal positiv«, resümiert Esther Stanford von der Pan-African Reparations Coalition. Als problematisch bezeichnet sie allerdings, dass die Regierung und die Medien dazu tendierten, die Geschichte schönzufärben. »Der Fokus auf Englands führende Rolle bei der Abschaffung des Sklavenhandels verschleiert den Blick auf die vorangegangenen Taten, wie auch auf die eigentlichen Beweggründe und den historischen Kontext, in dem es zu der Abschaffung kommen konnte.« Wie viele andere kritisiert sie, dass fast ausschließlich weiße Abolitionisten wie William Wilberforce und Granville Sharp die Aufmerksamkeit der Medien erhielten. »Die Rolle des afrikanischen Widerstandes, die Aufstände in den Kolonien, allem voran die haitianische Revolution sowie die Rolle schwarzer Aktivisten wie Olaudah Equiano und Ottabah Cugoano, die die englische Bevölkerung mit ihren Erlebnisberichten aufgerüttelt haben, kommen so gut wie nicht zur Sprache.«

Als parlamentarischer Sprecher einer Gruppe unermüdlicher, zumeist christlicher Aktivisten, hatte der Unterhausabgeordnete Wilberforce seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Anträge zur Abschaffung des Sklavenhandels gestellt. Doch erst unter dem Einfluss der Sklavenaufstände in den westindischen Kolonien, die den Händlern und den britischen Truppen schwere Verluste bescherten, sowie unter wachsendem Protest der englischen Bevölkerung konnte der Act schließlich im Jahr 1807 das Oberhaus passieren. Die Abschaffung der Sklaverei im Britischen Empire erfolgte erst im Jahr 1833.

Für seine Kritik am so genannten Wilberfest erntete der Aktivist Toyin Agbetu große Zustimmung von der schwarzen Bevölkerung Großbritanniens. Er hatte für einen Skandal während des zentralen Gedenkgottesdienstes im Westminster Abbey am 27. März gesorgt, als er die Veranstaltung mit lauten Unmutsbekundungen störte und die anwesende Queen und Ministerpräsident Tony Blair zu Entschuldigungen aufforderte.

Zwei Tage zuvor hatte der Premierminister in einer Videobotschaft an die Teilnehmer einer Gedenkfeier im ehemaligen Sklavengefängnis Fort Elmina in Ghana zum wiederholten Mal zwar sein tiefes Bedauern ausgedrückt, hatte aber erneut keine formelle Entschuldigung abgegeben. Die vielfach geäußerte Vermutung, die Regierung fürchte Reparationsklagen, wies der stellvertretende Ministerpräsident John Prescott mit der Begründung zurück, man wolle sich nicht in eine langwierige Debatte über Schuld und Reparationen begeben, sondern lieber das »hervorragende Engagement für Afrika« fortsetzen. Zudem sei eine Entschuldigung in Afrika nicht gewünscht.

Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Erzbischof Rowam Williams, verkündete inzwischen, die Kirche werde eine Entschädigung erwägen. Wie alle anderen Sklavenbesitzer erhielt sie für ihre Sklaven auf den karibischen Plantagen nach 1833 von der britischen Regierung eine großzügige Kompensationszahlung. Dieses Geld könne theoretisch weitergegeben werden, sagte Williams. Allerdings müsse man zunächst eine sinnvolle Regelung erarbeiten.

Esther Stanford betont, dass Kompensationszahlungen nur einen geringen Teil der Forderung nach »Reparationen« ausmachen. »Es muss vielmehr um eine umfassen­de Übernahme der Verantwortung für die Geschichte und ihre Langzeitfolgen gehen und ein wirklicher Strukturwandel einsetzen.« Die beginnende Diskussion um das »historische Vermächtnis« des Sklavenhandels im Hinblick auf die heutige Situation der afro-karibischen Bevölkerung in Großbritannien, ihre fortdauernde sozioökonomische Benachteiligung sowie die Kontinuität rassistischer Denkmuster, die aus der Zeit der Sklaverei rühren, findet sie daher begrüßenswert, auch wenn noch ein »langer und steiniger Weg« zu beschreiten sei.

Neben einem stärkerem Engagement gegen die Chancenungleichheit in der britischen Gesellschaft hat die Regierung im Rahmen der Gedenkfeiern einen »Aktionsplan« gegen »moderne Formen der Sklaverei« angekündigt und das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels unterzeichnet. Für Rita Gava von der Organisation Kalayaan, die die Rechte migrantischer Hausarbeiterinnen und Hausarbeiter vertritt, steht das im Widerspruch zu Regierungsplänen, die Rechte gering qualifizierter Mi­grantinnen und Migranten künftig beschneiden zu wollen. Ein vom Innenministerium im Jahr 2006 vorgestelltes Strategiepapier mit dem Titel »Make Migration Work for Britain« entwirft Konzepte zur Zuwanderung nach Großbritannien unter dem Aspekt ökonomischer Nützlichkeit.

Für die von Kalayaan vertretenen Hausarbeiterinnen und Hausarbeiter, die bislang zumindest mit minimalen Rechten ausgestattet waren – so war es ihnen beispielsweise möglich, den Arbeitgeber zu wechseln, Missbrauch anzuzeigen oder Lohn einzuklagen –, bedeuten die vorgesehenen Änderungen einen kompletten Verlust dieses Schutzes. Die künftige Regelung sieht für migrantische Angestellte in privaten Haushalten lediglich einen sechsmonatigen Aufenthalt in voller Abhängigkeit vom Arbeitgeber auf der Basis eines Besuchervisums vor. »Wir gehen davon aus, dass das extreme Formen der Ausbeutung begünstigt«, meint Rita Gava. Die Organisation Anti-Slavery spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer »Wiedereinführung der Sklaverei in Großbritannien«.