Wohin mit Marx?

Die Stadt Leipzig will von den Relikten der DDR nichts mehr wissen. Ein riesiges Marx-Relief soll auf einem abgelegenen Campus angebracht werden. von hannes delto

Noch heute ist der Schlachtruf »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« an dem Gebäude zu lesen, in dem einmal der Rat des Bezirks und die SED-Bezirksleitung der sächsischen Stadt Chemnitz, dem früheren Karl-Marx-Stadt, ihren Sitz hatten. Direkt davor befindet sich eine über sieben Meter hohe Plastik, das Karl-Marx-Monument. Die von dem sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel im Jahr 1971 entworfene Plastik stellt stilisiert den Kopf von Karl Marx dar und steht mittlerweile unter Denkmalschutz.

»Wenn man das Monument wegnehmen würde, müsste man auch das Gebäude verändern, oder umgekehrt. Beides hat einen bildkünstlerischen Wert. Es ist ein städtebauliches Ensemble aus Büste und Gebäude«, sagt der Leiter der unteren Denk­mal­behörde Chemnitz, Thomas Morgenstern, der Jungle World. Bis 1993 war das Denkmalpflegegesetz der DDR in Sachsen gültig. Danach wurden die Denkmäler neu erfasst, und ein Jahr später beschloss die Stadt Chemnitz, den »Nischel« – so wird das Karl-Marx-Monument liebevoll von den Bürgern genannt – in die Liste der Denkmäler aufzunehmen.

Anders in Leipzig. Dort stellten die Künstler Rolf Kuhrt, Frank Ruddigkeit und Klaus Schwabe Anfang der siebziger Jahre ebenfalls ein Kunstwerk her, eigens für die dortige Universität. Der erste Entwurf der Künstler hatte die ideologische Vorstellung der sozialistischen Republik unzureichend widergespiegelt, sodass ein weiterer Entwurf nötig war. Sein Arbeitstitel lautete: »Das revolutionäre, weltverändernde Wesen der Lehre von Karl Marx«. An der Fassade, über dem Eingang des ehemaligen Hauptgebäudes der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig), die sich wiederum auf dem ehemaligen Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) in der Innenstadt befand, wurde der Kopf von Karl Marx im Relief abgebildet. Ein »städtebauliches Ensemble«, das immerhin über 30 Jahre Bestand hatte.

Im März begann der Abriss des Gebäudes, an dessen Stelle bald eine neue Universitätsaula und die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät entstehen sollen. Und Marx? Das 33 Tonnen schwere, 14 Meter breite und sieben Meter hohe Relief aus Bronze wurde bereits Mitte des vergangenen Jahres demontiert, gevierteilt und eingelagert. Die Kunde davon, wie es Marx erging, sorgte selbst in den Abendnachrichten des bulgarischen Fernsehens für Aufsehen. »Dann ziehen wir eben vor Gericht«, drohten die drei Künstler und kündigten an, ihren Urheberrechtsanspruch geltend zu machen, sollte ihr Kunstwerk für immer aus der Öffentlichkeit verschwinden.

An vielen Orten der ehemaligen DDR sind seit der so genannten Wende unzählige Objekte durch Sanierung, Umbau oder Abriss verschwunden. Als beispielsweise das Kaufhaus am Alexanderplatz in Berlin im Jahre 2004 umgebaut wurde, entfernte man das von Dagmar Glaser-Lauermann gestaltete Keramikgemälde. In Leipzig fehlen einige Objekte, die das Stadtbild über Jahrzehnte geprägt hatten, zum Beispiel die Fußgängerbrücke, das »Blaue Wunder« oder die »Pusteblumen«, eine Wasserspielanlage. Die Zeit zwischen 1950 und 1990 ist mittlerweile weitgehend getilgt – auch baulich, obwohl es sich in vielen Fällen um erhaltenswerte Zeugnisse der Geschichte handelte.

»Die Entscheidung über einen zukünftigen Standort des Marx-Reliefs muss unter Einbeziehung aller Beteiligten gefunden wer­den«, hatte der Leipziger Obermeister Burkhard Jung (SPD) zwar vor seiner Wahl 2006 angekündigt. Damit hatte er aber offenbar nur sich und seinen Beigeordneten für Kultur, Georg Girardet (FDP), gemeint. Beide hegen wenig Sympathie für das Relief »Aufbruch«, wie es korrekt heißt. »Die Stadt signalisiert uns mündlich immer wieder ihren Widerstand gegen einen innerstädtischen Standort des Kunstwerkes«, bedauert der Leiter der Kustodie der Universität Leipzig, Rudolf Hiller von Gaer­trin­gen.

Der Stadt erscheint das Monument offenbar nicht »bildkünstlerisch« genug, um es unter Denkmalschutz zu stellen. Die Univer­sität hat der Stadt mehrere Vorschläge unterbreitet, wo das Kunstwerk in der Innenstadt stehen könnte und auch ein räumlicher Zusammenhang gewahrt bliebe. Doch entweder passte es angeblich nicht ins Stadtbild, oder die Denk­mal­pflegebehörde sah die städtischen Grünanlagen gefährdet. »Wir finden einfach keine Partner, und bei der Stadt stoßen wir auf Granit. Deshalb können wir das Relief nur auf einem Grund­stück der Universität unterbringen«, erläutert der Rektor der Universität, Franz Häuser, der Jungle World. Doch der Universität bieten sich nicht allzu viele Alternativen, denn viele Plätze für ein derartig großes Monument gibt es nicht.

So weit, wie die Stadt von einer kritischen Reflexion ihrer DDR-Vergangenheit entfernt ist, so weit könnte das Relief bald von seinem ursprünglichen Platz entfernt aufgestellt werden. Das Ministerium in Dresden schlug als neuen Ort für das Relief den mehrere Kilometer entfernt liegenden Campus der sportwissenschaftlichen Fakultät vor.

Aus den Augen, aus dem Sinn, scheint die Devise der Stadt und des Ministeriums zu sein. Die bevorstehende Montage des Bronzekolosses auf dem Sportcampus soll über 150 000 Euro kosten und vom Land finanziert werden. »Es ist nicht unser primärer Vorschlag, aber ich will auch nicht den Eindruck erwecken, als wollte die Universität das Thema unter den Tisch kehren. Im Gegenteil, wir wollen unsere Geschichte visualisieren«, sagt Rektor Häuser. Jedoch ginge der räumliche Zusammenhang nach den gegenwärtigen Plänen vollständig verloren, und ein weiteres Kunstwerk wäre abgestellt und abgeschrieben. Mitglieder der Linkspartei und Studentenvertreter, die dagegen protestieren, finden schon lange kein Gehör mehr. Am ursprünglichen Ort des Reliefs auf dem Augustusplatz soll eine Gedenktafel aufgestellt werden.