Bühne unfrei!

Die alternative Szene hat es schwer in Rumänien. Sie kämpft mit konservativen Kulturpolitikern, Nationalisten und Investoren. von roland ibold

Die ersten Jungs haben ihre T-Shirts ausgezogen, sorgfältig aufgetragenes Make-up zerläuft auf verschwitzten Gesichtern. Mit dem Zeigefinger in der Luft wird die Textsicherheit bewiesen: »Kein Mensch ist illegal!« Es folgt eine kurze Stille, dann Applaus. Die bekannte rumänische Hardcore-Band Pavilionul 32 räumt die Bühne in einer Katakombe im Stadtzentrum von Timisoara für zwei Freunde. Auf Englisch und Rumänisch fordern Tanja aus Kroatien und Dan aus Bukarest das Publikum auf, über Sexismus in der Punkszene zu diskutieren: »Ein linkes Outfit entschuldigt keine homophoben Buttons, und Alkohol ist keine Ausrede für aggressive Ausfälle!« Manche Besucher des No-Border-Fests in der drittgrößten Stadt Rumäniens sind für solche Aussagen allerdings nicht empfänglich.

Ein junges Punkpärchen balanciert Teller mit Essen an die frische Luft. Vorbei an gelangweilt observierenden Polizisten verschwinden sie in einer Mauernische der alten Wehranlage von Timisoara, in der der Club Inca, das Internationale Netzwerk Zeitgenössischer Künstler, sich eingerichtet hat. Die zwei Beamten haben schnell herausgefunden, dass die Punks zwei Obdachlose versorgen wollen, die sich hier verkrochen haben. Genervt fordern sie das Pärchen auf, wieder in den Club zu gehen. Auf die Frage, wen sie denn hier bewachen würden, antwortet der jüngere Polizist: »Wieder einmal eines dieser Anarchisten-Festivals. Vor dem Club belästigen sie die Passanten. Das sieht man doch schon an den aggressiven Frisuren. Keine Ahnung, was drinnen passiert, aber das ist uns egal.« Um das, was im Club vor sich geht, kümmern sich zwei kräftige Zivilbeamte, die Limonade trinkend an der Bar sitzen.

Alin Munteanu vom Inca sagt, der bekannte linke Club sei in den vergangenen Monaten mehrmals von Hooligans angegriffen worden. Unter der Führung von Goran Mrakici, dem Vorsitzenden des örtlichen Ablegers der nationalistischen Organisation Noua Dreapta (Neue Rechte), stürmten im November 2006 etwa 20 Schläger auf der Suche nach Antifaschisten ein Konzert und verletzten drei Menschen. Einen Monat später beendete die Polizei nach Straßenschlachten mit Hooligans ein weiteres Konzert im belagerten Inca.

Neben den Angriffen von Neonazis haben die Betreiber des Clubs aber noch ein viel größeres Problem. Der Bürgermeister von Timisoara, das im Dreiländereck von Rumänien, Ungarn und dem ehemaligen Jugoslawien liegt, setzt alles daran, das Kulturzentrum zu schließen, um das historische Gebäude im Stadtzentrum an zahlungskräftigere Betreiber zu vermieten. Im Jahr 2002 verpachtete die Stadt die Ruine des alten Wachtturms an das Inca-Kollektiv. Alternative Künstler, Punks und Anarchisten entwickelten die baufälligen Räume zu einem Ort für Kinovorstellungen, Ausstellungen und Konzerte, veranstalteten Workshops und politische Festivals. Im Oktober 2005 verlangten städtische Inspektoren die sofortige Kündigung des Mietvertrags. Unter dem Vorwand, das Gebäude werde »illegal« bewohnt und Baumaßnahmen seien nicht korrekt beantragt worden, bestellte die Stadtverwaltung die Betreiber des Clubs zweimal vor Gericht. Inca startete eine europaweite Öffentlichkeitskampagne, und es gelang den Betreibern und ihren Unterstützern, die Kündigung abzuwenden.

Das No-Border-Fest, auf dem seit vier Jahren im Frühling zwei Tage lang vor allem osteuropäische Bands aufgetreten waren, fand voraussichtlich zum letzten Mal an dem Ort statt. Am 8. Mai läuft der Mietvertrag für Inca aus. »Inca setzte Timisoara auf die Landkarte der alternativen Kultur in Europa. Ich sehe aber wenig Chancen, den Club weiter zu erhalten«, sagt Munteanu. Eine Verlängerung des Mietvertrags ist so gut wie aussichtslos, der Druck von privaten Investoren auf öffentliche Stellen ist groß. Es kursieren Gerüchte über bereits bezahlte Schmiergelder. »Zu Beginn unterstützten uns einige Politiker. Mittlerweile haben ökonomische Interessen und der Wunsch nach einer sauberen Stadt Priorität. Timisoara will sich in Europa als ›kleines Wien‹ präsentieren. Nur wenn uns andere kulturelle Einrichtungen unterstützen, können wird dem etwas entgegensetzen«, sagt Munteanu. »Die Konzerte werden weiterhin stattfinden, auch ohne den Club. Für politische Aktivität braucht es aber einen festen Anlaufpunkt.«

Nicht nur in Timisoara, der Stadt, in der 1989 der Aufstand gegen die Diktatur unter Nicolae Ceausescu begann, an dem auch der jetzige Bürgermeister Gheorghe Ciuhandu teilnahm, gehen die politisch Verantwortlichen gegen kritische Kulturprojekte vor. Wie Timisoara hat Iasi etwa 330 000 Einwohner und gilt als kulturelle Hauptstadt Rumäniens. Dort machen die Behörden dem Direktor des Stadttheaters Ateneul Tatarasi das Leben schwer.

Benoît Vitse war in den neunziger Jahren als Regisseur an internationalen Bühnen tätig, dann arbeitete er als Direktor des Französischen Kulturinstituts in Kiew. Im Jahr 2002 übernahm er die Leitung des nicht fertig gestellten Theaters von Iasi. Es liegt außerhalb des Stadtzentrums zwischen Neubaublocks und Vierteln, in denen vor allem Roma wohnen. Vitse versuchte, die Nachbarn in den Spielplan einzubeziehen, thematisch und personell. Er engagierte junge Regisseure und Schauspieler und inszenierte Stücke über soziale Probleme und moralische Enge. Freizeitangebote wie Breakdance- und Gesangskurse füllen die Nachmittage. Bei einem Stück über die Krawalle in den französischen Vorstädten spielten junge Menschen aus dem benachbarten Romaviertel mit.

Mit den im Jahr 2006 uraufgeführten Stücken »Evangelisten« und »Lass uns Sex machen« sorgte Vitse dann für erhebliche Unruhe in der Stadt. Das erste war eine Parodie auf die Jungfräulichkeit Marias, das zweite Stück thematisierte Liebe, Beziehungen, sexuelle Befriedigung und auch Homosexualität. Beide Aufführungen ließen die Hüter von Moral und Anstand in Iasi aufschreien. »Blasphemie!« titelte die Lokalzeitung Ziua de Iasi. Als ein »Attentat auf Schamgefühl, Glaube und moralische Werte« verurteilte die Diözese die Arbeit Vitses.

»In der Stadt wurden die Theaterplakate heruntergerissen. Aufgehetzt vom Populisten und Präsidentschaftskandidaten Gigi Becali, der dem Fall eine ganze Fernsehsendung widmete, versammelte sich vor dem Theater eine Menschenmenge, betete und drohte mit Prügeln. Die Noua Dreapta schickte Drohschreiben, und ich bekam in einem anonymen Brief ein Messer zugesandt. Kunst kann streitbar, muss aber frei sein«, sagt Vitse.

In Sorge um Wählerstimmen und von den politischen Eliten bedrängt, lud der sozialdemokratische und als »wahrer Patriot« bekannte Bürgermeister Gheorghe Nichita den Direktor mehrmals vor. Ende März 2007 wurde ihm wegen »schlechten Managements« gekündigt. Vitse, der sich auf sein Publikum und seine Unterstützer im Kulturbetrieb verlassen konnte, klagte erfolgreich dagegen, eine Berufungsentscheidung steht noch aus.

Kritische, gar provokative Kunst hat es nicht leicht in Rumänien. Der Privatisierungsdruck in Folge des EU-Beitritts geht einher mit einer konservativen Kulturpolitik. Die öffentlichen Mittel sind knapp, wenn es nicht um die Archivierung rumänischer Traditionen oder die Verbreitung nationaler Klassiker geht. Sozialkritische Themen auf den Bühnen sind rar. Erfolgreiche Filme wie etwa »War es oder war es nicht« von Corneliu Porumboiu, der im vergangenen Jahr in Cannes die Goldene Kamera für Erstlingswerke bekommen hat, behandeln vor allem die politische Wende 1989. Sie ist Geschichte. Die Gegenwart kommt hingegen kaum vor.