Ein Schein, eine Stimme

Nach den Wahlen in Nigeria von jörn schulz

Wenn sonst nichts mehr hilft, berufen sich Po­litiker gerne auf himmlische Mächte. »An dem Tag, da ich Gott gegenübertrete, werde ich ihm sagen: ›Es war nicht alles perfekt, aber ich habe mein Bestes getan‹«, rechtfertigte sich Olusegun Obasanjo. Vorerst steht der Präsident allerdings vielen Millionen wütenden Nigerianern gegenüber. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass Umaru Yar’Adua die Nachfolge Obasanjos als Präsident antritt.

Die Wahlkommission sprach Yar’Adua 70 Pro­zent der Stimmen zu, doch die Präsident­schafts­wahl am vorletzten Samstag war ein Desaster. Man hielt es nicht einmal für nötig, an den wenigen Orten, die von den 150 EU-Beobachtern besucht wurden, auf Manipulationen zu verzichten. Wo Stimmenkauf und Einschüchterung nicht ausreichten, wurde vielerorts einfach das Ergebnis der Auszählung nachträglich geändert. Bei Kämpfen am Wahltag starben 200 Menschen. Da mochten nicht einmal die EU und die USA, die Obasanjo für einen Garanten der Stabilität halten, dem von ihm auserkorenen Nachfolger Yar’Adua zu seinem Sieg gratulieren.

»Sie können die Situation in einem Entwicklungsland nicht mit europäischen Maßstäben messen«, versuchte Obansanjo den Mangel an Perfektion zu erklären. Doch Länder wie Senegal und Benin, die weit ärmer an Ressour­cen sind als Nigeria, haben in diesem Jahr Präsidentschaftswahlen ohne nennenswerte Zwischenfälle abgehalten. Dass die Demokratisierung Nigerias nicht vorankommt, ist keine Folge der Armut. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn die Öleinnahmen sind der Preis, um den die Oligarchen mit allen Mitteln kämpfen.

Im vergangenen Jahr flossen etwa 50 Milliar­den Petrodollar in die Kassen der Regierung, und nur ein Bruchteil dieser Summe wird für entwicklungspolitische Maßnahmen ausgegeben. Der Zugriff auf die Öleinnahmen ermöglicht es den Politikern, eine Klientel an sich zu binden. Programme spielen keine Rolle, die wichtigsten Gegenkandidaten Yar’Aduas waren Muhammadu Buhari, ein ehemaliger Militärdiktator, und Atiku Abubakar, der Oban­sanjo sieben Jahre lang als Vizepräsident gedient hatte. Die Oligarchie organisiert sich in regionalen Machtblöcken, und die Politik besteht vor allem im Kampf dieser Blöcke um die Öleinnahmen. Ein Wahlbetrug, der wichtige Fraktionen der Oligarchie von diesen Pfründen ausschließt, kann deshalb zu einer Eskalation und sogar zu einem Putsch oder Bürgerkrieg führen.

Während es Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Guinea in diesem Jahr gelang, durch einen Generalstreik ihren autokratisch regierenden Präsidenten weitgehend zu entmachten, blieben vergleichbare Bemühungen in Nigeria erfolglos. Mehrere vom Gewerk­schafts­verband NLC organisierte Generalstreiks brachten ökonomische Zugeständnisse, konnten die Macht der Oligarchie jedoch nicht gefährden. »Der NLC ist überzeugt, dass dem langfristigen Interesse unserer Nation mit der Zurückweisung dieser Wahlen besser gedient wird«, kommentiert der Verband die Manipulationen.

Yar’Adua hat nun angeboten, Buhari und Abubakar als »Berater« in seine Regierung auf­zunehmen, doch das dürfte nicht genügen, um die Opposition zufriedenzustellen. Deren Anhänger wollen in dieser Woche friedlich für Neuwahlen demonstrieren. Zu Gewalttaten wird es wohl dennoch kommen. Apathie und Zynismus bremsen die sich entwickelnde Es­ka­lation, die meisten Nigerianer sehen keinen Grund, sich für einen Politiker einzusetzen, wenn sie dafür nicht bezahlt werden. Allerdings kann politische Gefolgschaft für wenig Geld erkauft werden, eine Stimme bei der Präsidentschaftswahl war schon für 50 Naira, umgerechnet 30 Eurocent, zu haben.