»Linke müssten mit Royal ein Problem haben«

Olivier Besancenot

Olivier Besancenot ist studierter Historiker und arbeitet seit 1997 als Postbote im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine. Bereits zum zweiten Mal trat er bei der französischen Präsidentschaftswahl als Kandidat der trotzkistischen Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) an. Mit 4,1 Prozent und 1,5 Millionen Stimmen war der 33jährige der bestplatzierte Kandidat links von der Sozialdemokratin Ségolène Royal. Vor fünf Jahren hatte er 4,2 Prozent und 1,2 Millionen Stimmen erhalten. Mit ihm sprach ­Bernhard Schmid.

Insgesamt haben die Kandidatinnen und Kandidaten links von der Sozialdemokratie, sofern man die Grünen in die Rechnung mit einbezieht, bei der Präsidentschaftswahl zehn Prozent der Stimmen erhalten. Vor fünf Jahren waren es noch zusammen 19 Prozent. Wie erklären Sie sich diesen Rückgang?

Ich glaube, dass die Antwort nach fünf Jahren einer sehr offensiv vorgehenden Rechtsregierung und nach dem Wahlausgang von 2002 – als Jean-Marie Le Pen gegen den Amts­inhaber Jacques Chirac in die Stichwahl kam – tatsächlich vor allem im oft beschworenen »Vote utile« (»Wähle nützlich«) liegt. Also in der sehr verbreiteten Neigung, das »kleinere Übel« zu wählen, um sicher zu sein, am Ende nicht allein die Wahl zwischen einem selbst weit nach rechts gerückten konservativen Lager und der extremen Rechten zu haben.

Was bedeutet das konkret?

Ich selbst habe bei meinen Wahlveranstaltungen oftmals Leute sagen hören: »Mit dem Herzen würde ich für dich stimmen, aber mit dem Kopf wähle ich Royal schon im ersten Wahlgang, damit sie überhaupt in die zweite Runde kommt.« Ich habe darauf immer geantwortet, dass man den Kopf auch dazu benutzen sollte, an die Programme und Ideen der jeweiligen Kandidaten zu denken, und dass auf dieser Ebene Linke mit Royal und den von ihr ständig beschworenen Werten ein Problem haben müssten. Allem Anschein nach hielt Royal es für eine vordringliche Frage, dass jeder Haushalt eine französische Nationalflagge daheim haben müsse, wie sie bei ihrer Rede in Marseille forderte, anstatt die sozialen Bedürfnisse offensiv aufzugreifen.

Was ist mit den übrigen Linken, beispielsweise mit der französischen KP? Besiegelt ihr schlechtes Wahlergebnis, 1,9 Prozent für ihre Parteivorsitzende Marie-George Buffet, nun endgültig ihr historisches Schicksal? Und warum hat der Globalisierungskritiker José Bové derart schlecht abgeschnitten?

Anders als wir hat die französische KP eine zweideutige Position gegenüber möglichen künftigen Bündnissen mit der sozialdemokratischen Parteiführung bezogen. Und sie hat es teuer bezahlt, da nicht klar wurde, warum man gerade für ihre Kandidatin und nicht für Royal stimmen solle, wo sie doch schon im Wahlkampf andeutete, dass sie künftig eventuell mit den Sozialdemokraten zusammen regieren würde.

José Bové wollte zuerst das gesamte Spektrum der Gegner des Neoliberalismus repräsentieren. Als das nicht funktionierte, hat er vorgegeben, eine starke Bewegung gegen die Parteien auf der Linken zu vertreten. Aber er wurde in der öffentlichen Wahrnehmung nur mit bestimmten einzelnen Themen identifiziert: Ablehnung genmanipulierter Nahrungsmittel, Ökologie, Kritik an der Globalisierung, kaum aber mit den sozialen Fragen und Bedürfnissen, die bei der Linken im Mittelpunkt der Debatten standen.

War dieser Wahlkampf für Sie anders als der im Jahr 2002?

Dieser Wahlkampf war sehr anstrengend, aber ich habe viel Enthusiasmus in den Veranstaltungen erlebt. Es kamen sehr viele neue Leute, die noch nie Kontakt mit uns hatten, zu den Veranstaltungen. Vor allem habe ich bewegende Erinnerungen an meine Auftritte in bestreikten Unternehmen, etwa bei Citroën in Aulnay-sous-Bois bei Paris, wo vier Wochen lang und bis kurz vor den Wahlen für eine Lohnerhöhung gestreikt worden ist, oder anderswo bei Streiks gegen Massenentlassungen. Auch meine Besuche in den quartiers, also den Unterschichtsvierteln und Trabantenstädten, waren sehr positive Erlebnisse. Ich erfuhr viel Zuspruch. Meine schlimmste Erinnerung ist es, einen bestimmten Kandidaten von »nationaler Identität« im Zusammenhang mit Zuwanderung und von einer »angeborenen, genetischen Neigung« zu Pädophilie, Suizid und Homosexualität reden zu hören.

Sie spielen auf Aussprüche von Nicolas Sarkozy an. Besteht ein Zusammenhang zwischen seinem Wahlerfolg und dem Rückgang der Stimmenzahl Jean-Marie Le Pens?

Alles spricht dafür. Ungefähr ein Viertel der Stimmen, die 2002 für Le Pen abgegeben wurden, gingen dieses Mal an Sarkozy. Und der konservative Kandidat hat explizit Wahlkampf zu Themen und mit Ideen gemacht, die bis dahin die von Le Pen waren: nationale Identität, Autoritätsverlangen usw. Der Stimmenanteil des Front National ist also zurückgegangen, aber nicht der Einfluss seiner Ideen in der Gesellschaft. Die haben sich »banalisiert«, erscheinen also heute als etwas relativ Normales. Auch rechts hat man in diesem Jahr »nützlich gewählt«, da viele frühere Wähler Le Pens den Eindruck vermittelt bekamen, dass zumindest manche ihrer Ideen endlich von einem aussichtsreichen Kandidaten politisch verwirklicht werden könnten.

Was wird sich ändern in Frankreich, wenn Sarkozy gewinnt?

Ich glaube, dass man dann eine Beschleunigung der Angriffe auf soziale Errungenschaften und eine verstärkte Diskriminierung der Nachfahren von Einwanderern und Bewohner von Trabantenstädten erwarten muss. Aber ich denke, dass man auch in diesem Fall mit Widerständen und Protestbewegungen rechnen kann. In den letzten fünf Jahren hat die Rechtsregierung bereits die Gangart bei den regressiven »Reformen« beschleunigt, aber die Lohnabhängigen haben ihren Willen und ihre Fähigkeit zur Gegenwehr bewiesen. Etwa 2003 gegen die »Rentenreform«, wobei dieser Abwehrkampf mit einer Niederlage endete, oder 2006 mit dem erfolgreichen Kampf gegen die Angriffe auf den Kündigungsschutz. Man wird also den sozialen Widerstand organisieren müssen.

Und wenn Ségolène Royal, entgegen den augenblicklichen Erwartungen, gewinnen sollte?

Zunächst einmal wäre ein Gutteil der Lohnabhängigen und der Jugend sicherlich sehr erleichtert. Nicht so sehr deshalb, weil Royal gesiegt, sondern deswegen, weil Sarkozy verloren hätte. Aber dadurch wäre noch keines der sozialen Probleme gelöst. In diesem Wahlkampf habe ich eine Umverteilung der gesellschaftlichen Reichtümer vorgeschlagen: Das Kapital strich vor 30 Jahren noch 30 Prozent des produzierten Mehrwerts ein – gegenüber 70 Prozent für die Löhne und Gehälter –, heute sind es 40 Prozent. Ich schlug einfach vor, diese Verschiebung rückgängig zu machen. So forderte ich eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von zurzeit 1 200 Euro brutto, das sind 980 Euro netto, auf 1 500 Euro netto, denn das braucht man, um in Paris von seinem Lohn leben zu können. Ségolène Royal hat ihrerseits 1 500 Euro brutto versprochen, und das innerhalb von fünf Jahren. Das wäre ziemlich genau das, was die gesetzlichen Vorschriften, die die Regierung dazu verpflichten, jährlich die Inflationsrate und die Hälfte des durchschnittlichen Anstiegs von Löhnen und Gehältern auf den Mindestlohn draufzulegen, ohnehin zur Folge hätten. Es wird auch unter Royal soziale Kämpfe und Bewegungen brauchen.