Mit Rosenkranz und Stoßgebet

Das Parlament von Mexiko-Stadt hat das Abtreibungsrecht liberalisiert. Die katholische Rechte will sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden. von nils brock, mexiko-stadt

Es war eine emotionsgeladene Debatte. Auf »Selbstbestimmung und Geschlechtergleichheit«, aber auch der »Verteidigung des laizistischen Staates« bestanden die Befürworter, die Gegner polemisierten »gegen eine Kultur des Todes«. Am Dienstag der vergangenen Woche stimmte das Parlament von Mexiko-Stadt auf Antrag der linken Regierungskoalition über eine Reform des Abtreibungsrechts ab.

Seit Wochen polarisiert die Abtreibungsdebatte das Land. Frauengruppen und Abgeordnete des Stadtparlaments wurden per E-Mail mit Mord und Bombenanschlägen bedroht. Vor dem Parlament der Hauptstadt drängten sich Hochschwangere und Adoptivmütter, um für »glückliche Familien« zu werben. Die Telefongesellschaft Ladatel verkaufte Telefonkarten mit dem Bildnis von Papst Johannes Paul II. und der Sprechblase »Abtreibung ist Sünde«. Feministinnen hielten auf ihren Demonstrationen dagegen: »Verschwindet mit euren Rosenkränzen aus unseren Eierstöcken.«

»Bisher war es in Mexiko-Stadt nur erlaubt abzutreiben, wenn eine Frau vergewaltigt worden war, das Ungeborene Missbildungen aufwies oder das Leben der Schwangeren in Gefahr war. Das neue Gesetz will die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, nun gänzlich und individuell der Frau überlassen, und zwar bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft«, fasste Gerardo Fernández Noroña von der in der Hauptstadt regierenden Partei der Demokratischen Revolution (PRD) einige Tage vor der Abstimmung das Anliegen zusammen. »Aber die Kirche hat hier in den vergangenen Wochen eine massive Kampagne begonnen und die Debatte zu einer dogmatischen Glaubensfrage gemacht.«

Doch am Ende halfen auch die öffentlichen »Stoßgebete für das Leben« katholisch-konservativer Abtreibungsgegner in der Kathedrale am Tage der Abstimmung wenig. 46 Abgeordnete stimmten für die Gesetzesinitiative der Linken, 17 Parlamentarier der rechten Partei der Nationalen Aktion (Pan) und zwei Grüne sprachen sich gegen die Neuregelung aus. »Diese Entscheidung ist nicht nur ein Sieg für die Frauen, sondern auch von großer symbolischer Bedeutung«, meint Lucia Lagunes von der feministischen Organisation Cimac. »Die Gegenkampagne der katholischen Kirche hat ja gezeigt, wie groß die Angst des Klerus ist, die Kontrolle zu verlieren, einerseits über die Sexualmoral ihrer Anhänger, aber auch über die Körper der Frauen.«

Vorsichtige Schätzungen gehen von jährlich mindestens einer halben Million Schwangerschaftsabbrüchen in Mexiko aus. Da nur wenige Frauen den bis dato weitgehend illegalisierten Eingriff in einer informellen Privatklinik zahlen können, bleibt den meisten nur der Gang zu schlecht ausgebildeten »Engelmachern« oder die Möglichkeit, selbst Hand anzulegen. In der Folge misslungener Eingriffe starben allein im vergangenen Jahr mehr als 1 000 Frauen.

Außerdem könnten Mexikanerinnen oft nicht einmal nach einer Vergewaltigung abtreiben, sagt Lucia Lagunes, denn es »fehlt in den meisten Landesteilen bisher an juristischen Verfahrensweisen. Nur in drei Bundesstaaten gibt es klare Richtlinien. Solche müssen jetzt auch für die Neuregelung in Mexiko-Stadt geschaffen werden.«

Das Gesundheitsministerium der Hauptstadt hat am Freitag einen ersten Vorschlag präsentiert. In über 50 städtischen Institutionen sollen Frauen einen Schwangerschaftsabbruch anmelden können, ohne eine Zwangsberatung über sich ergehen zu lassen oder sich rechtfertigen zu müssen. Von dort aus soll dann eine Überweisung in 15 ausgewählte Krankenhäuser erfolgen.

Doch gänzlich haben sich konservative Kardinäle wie Norberto Rivera Carrera und religiöse Anti-Abtreibungsorganisationen wie Provida nicht mit dieser liberalen Maßnahme abgefunden. Jorge Serrano Limón, Vorsitzender von Provida und Vater von sieben Kindern, ruft die Krankenhäuser in Mexiko-Stadt dazu auf, den Eingriff aus moralischen Gründen zu verweigern: »Wir erleben gerade einen Kriegsbeginn. Hier wird die Erlaubnis gegeben für ein grausames Verbrechen.« Auch der Vatikan, der bereits vor der Abstimmung seine »Besorgnis« kundgetan hatte, poltert weiter. Der Sekretär des vatikanischen Konzils für Gesetzestexte, José Arrita, bezeichnete den Beschluss als »Barbarei« und sagte, die Abgeordneten, die dafür gestimmt haben, verdienten eine noch härtere moralische Strafe als die Exkommunikation.

Das kanonische Recht der katholischen Kirche begreift Abtreibung als eine Sünde, die automatisch den Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft nach sich zieht. Das Netzwerk »Katholikinnen für das Recht auf Entscheidungsfreiheit« (CDD) wirft jedoch ein, dass die Kirche gleichzeitig das Bewusstsein der Gläubigen als vorrangig bezeichnet. »Wenn eine Frau also einen Schwangerschaftsabbruch persönlich als die moralisch beste Entscheidung betrachtet und die Abtreibung beichtet, dann trifft die Doktrin der Kirche gar nicht zu«, erläutert María Consuelo Mejía, Vorsitzende der mexikanischen Sektion von CDD. »Man könnte es so sehen: Die Mexikanerinnen lieben vielleicht den Papst, aber sie leisten ihm längst nicht immer Folge.«

Eine Studie der CDD zufolge erkennen über 60 Prozent der mexikanischen Katholiken das individuelle Recht auf Abtreibung an. Auch Befreiungstheologen stünden heute zu weiten Teilen hinter einem individuellen Recht auf Abtreibung, sagt Mejía, die es skandalös findet, dass dem konservativen Klerus eine befruchtete Eizelle auf ihrem Weg zur Taufe noch immer wichtiger sei als das Leben und die Interessen einer schwangeren Frau. »Da zeigt sich recht offen die traditionelle Frauenfeindlichkeit der Kirchenhierarchie. Außerdem ist es interessant, dass die entschiedensten Abtreibungsgegner aus den höchsten sozialen Schichten des Landes kommen, für die wirtschaftliche Fragen bei der Familienplanung weniger eine Rolle spielen. Eine Mischung aus Fanatismus und Mangel an sozialem Bewusstsein.«

Lucia Lagunes kritisiert auch die unzureichende sexuelle Aufklärung, die »genauso genitalisiert ist wie die Blicke mexikanischer Männer«. Viel zu wenig werde maskuline Verantwortung bei Verhütungsfragen thematisiert, und »nicht selten sind Partnerschaften hier geprägt von Gewalt, emotionalem Betrug und Vergewaltigung. Dabei sollten wir entscheiden dürfen, mit wem wir Sex haben.«

Mexiko-Stadt genießt eine legislative Autonomie, die es gestattet, das Abtreibungsrecht zu ändern. Noch in diesem Jahr wird wohl auch auf Bundesebene über eine Reform entschieden werden. Doch ob die Mehrheitsverhältnisse im Senat für eine Gesetzesänderung ausreichen werden, ist fraglich. Präsident Felipe Calderón vom Pan hat sich »als Privatperson« bereits gegen die Fristenlösung ausgesprochen.