Störfall im Stollen

Im niedersächsischen Bergwerk Asse II lagert seit den sechziger Jahren radioaktiver Müll. Nun droht die Grube abzusaufen. von martin kröger

Ursula Kleber von der Aktion Atomfreie Asse (AAA) plagen zurzeit zwiespältige Gefühle. Auf der einen Seite ist sie »hin und weg«, weil ihr Engagement gegen das so genannte Forschungsendlager Asse II in der Nähe von Wolfenbüttel nach jahrelanger Medienarbeit auch überregional wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite kommt die Aufmerksamkeit für Asse II schlicht und einfach zum falschen Zeitpunkt. »Jetzt, wo es zu spät ist, ist so viel Trubel«, klagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Dabei habe man schon früher viel Pressearbeit zu Asse geleistet. Nur habe das keiner hören wollen.

Kommunalpolitiker des Landkreises und verschiedene Bürgerinitiativen wehrten sich von Beginn an gegen die Einlagerung radioaktiver Stoffe in dem ehemaligen Salzbergwerk. Seit dem Jahr 1965 wurden von der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) zu Forschungszwecken 125 000 Behälter schwach radioaktiven Mülls abgelagert. Zwischen 1972 und 1977 folgten rund 1 300 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen mit mindestens neun Kilogramm Plutonium. Statt nach dem Atomrecht erfolgte die Einlagerung nach damaligen Bestimmungen und dem wesentlich laxeren Bergrecht. Während am Anfang die Fässer noch gestapelt wurden, ging man dazu über, die Fässer in die Schächte abzuwerfen. Um die Hohlräume auszufüllen, schütteten die Betreiber Salz nach.

Diese »Einlagerungstechnik« wird zum Problem, da es unmöglich ist, die Fässer wieder aus der Tiefe hervorzuholen. Dort spielt sich nun etwas ab, das eigentlich vorhersehbar gewesen wäre: Es läuft Wasser ein. Seit dem Jahr 1988 dringt in den Schacht Asse II täglich flüssige Salzsole ein, die bisher noch durch Pumpanlagen aufgefangen werden kann. Die Nachbar­schächte Asse I und III waren teilweise bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts abgesoffen. Dennoch schloss die GSF dies für Asse II in den sechziger Jahren kategorisch aus.

Kleber ist gemeinsam mit verschiedenen Landtagsabgeordneten in die hintersten Winkel des Salzbergwerks eingefahren. »Das Bergwerk ist total instabil«, berichtet sie. »Überall lockern sich Salzplatten an der Decke, der Berg drückt die Gänge, Kammern und Schächte einfach zusammen.« Das Prinzip des Auffangens des eindringenden Wassers, um eine Kontaminierung des Grundwassers der Region zu verhindern, ist bald nicht mehr möglich, weil es für die Arbeiter demnächst lebensgefährlich sein wird, unter Tage zu arbeiten.

Dies weiß auch der Betreiber. Um das Bergwerk zu stabilisieren, plant die GSF deshalb, Asse II mit einer Magnesium-Chlorid-Lösung aufzufüllen, also künstlich zu fluten. Dass diese Methode den gewünschten Effekt erbringt, wird von vielen Experten bezweifelt. Völlig unkontrolliert könnte dann Radioaktivität austreten. Doch was tun?

Kleber hat keine Patentlösung anzubieten. Anfang April ist ihre Initiative gemeinsam mit anderen mit der »Remlinger Erklärung« an die Öffentlichkeit gegangen, in der gefordert wird, dass »in einem öffentlichen nachvollziehbaren Prozess schnellstens alle Alternativen zur Flutung und zur Rückholung entwickelt und bewertet werden«. Dies müsse durch unabhängige Fachleute öffentlich geschehen und nach dem rigideren Atomrecht vollzogen werden.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) machte sich in der vergangenen Woche selbst ein Bild vom Desaster. Dabei weiß er genau, worum es geht: Asse II liegt in seinem Wahlkreis. »Es gibt große Gefahren«, sagte er. Es spreche viel dafür, Asse nach dem Atomrecht abzuwickeln, Streit mit Kabinettskollegen wolle er darüber jedoch nicht.

Den Bürgerinitiativen bleibt nur der Gang vor das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Eine Klägerin reichte in der vorigen Woche Klage gegen das Land Nieder–sachsen ein, um ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren herbeizuführen.