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Die Beschäftigten der Telekom wehren sich gegen die Zumutungen des Vorstands. Ein Streik in der Festnetzsparte T-Com steht bevor. von winfried rust

Du hast mehr verdient!« lautete das Motto des Gewerkschaftsbunds zum 1. Mai. Angesprochen fühlte sich davon offenbar auch das Kapital. Das Management der Telekom will 50 000 Beschäftigten den Lohn um neun Prozent kürzen und zusätzlich ihre Arbeitszeiten verlängern. Dafür ist es bereit, einen Streik hinzunehmen. Und der dürfte kommen. Die Dienst­leistungsgewerkschaft Verdi ruft zum Streik, und die Urabstimmung gilt als reine Formsache. Ihr Ergebnis wird für diesen Donnerstag erwartet.

Die Umstrukturierung der Deutschen Telekom geht in eine entscheidende Runde. Der Vorstand möchte die Servicebeschäftigten und Monteure aus den Sparten Call Center, Technische Infrastruktur und Technischer Kundendienst in drei Gesellschaften unter der Oberbezeichnung T-Service ausgliedern. Betroffen ist davon in erster Linie die Festnetzsparte T-Com. Die geplanten Maßnahmen sollen Löhne einsparen und es der Telekom ermöglichen, die Beschäftigten in Zukunft noch weiter herabzustufen. In der Sprache des Vorstands heißt das, Arbeitsplätze auf dem marktüblichem Niveau zu sichern.

Das gegenwärtige Angebot der Telekom sieht nicht nur die Verlängerung der Wochenarbeitszeit von 34,5 auf 38 Stunden bei neun Prozent Lohnkürzung innerhalb von 30 Monaten vor. Mit der »Umstrukturierung« sollen »3 000 Neueinstellungen auf Marktniveau« einhergehen. Vorgesehen ist ein Stundenlohn von 7,05 Euro für die neuen Mitarbeiter. Zudem wird ein stärkerer Akzent auf eine »variable«, also leistungsabhängige Vergütung gelegt. Auch verlieren einige weitere Regelungen aus dem Tarifvertrag der Telekom ihre Gültigkeit: Das Herauf- und Herunterfahren der Computer gilt nicht mehr als Arbeitszeit, die Fahrt zur Kundschaft wird ebenso als Freizeit deklariert, die Bildschirmpausen werden kürzer, und 4,19 Minuten persönliche Erholungszeit fallen weg. Alles zusammengerechnet kommt Verdi auf Lohneinbußen von über 40 Prozent.

Patricia Marcolini von Verdi Südbaden gibt ein Beispiel: »Im Call Center werden heute bei Vollzeit 2 440 Euro Brutto verdient. Das soll um 40 Prozent abgesenkt werden. Dann gibt es die Variabilisierung, die 20 bis 30 Prozent des Gehalts leistungsabhängig macht. Das kann schnell eine Absenkung auf einen Hungerlohn von 1 150 Euro heißen.«

Die Gewerkschaft empört sich in ihrem Tarifinfo über das »Wegholzen« der besseren Arbeitsbedingungen. Wegen des Ausmaßes der Pläne bedeutet dies »die Einleitung einer branchenweiten Abwärtsspirale durch Dumping­bedingungen«. Die erwähnten 7,05 Euro Einstiegsgehalt liegen bereits deutlich unter dem vom DGB favorisierten Mindestlohn von 7,50 Euro.

Der Vorstands­vorsitzende der Telekom, René Obermann, will mit der Auslagerung den Verlust an Marktanteilen in der deutschen Festnetzsparte verhindern. Seine Rechnung ist ganz einfach: Niedrigere Löhne plus längere Arbeitszeiten ergeben einen besseren Service bei geringeren Kosten. Das Management will die geplanten Servicegesellschaften trotz der Streikdrohung zum 1. Juli ins Leben rufen.

Auf der Hauptversammlung in Köln Ende voriger Woche drohte Obermann Verdi unverhohlen mit dem Verkauf der ausgegliederten Gesellschaften, wenn sich die Gewerkschaft nicht kom­promissbereit zeige. Eine andere Mög­lichkeit sei die Ausgliederung in eine Tochtergesellschaft der Telekom, die ebenfalls bereits außerhalb des Tarifbereichs des Konzerns liegt, zum Beispiel T-Mobile oder die Beschäftigungs­gesellschaft Vivento. Während Angestellte des Konzerns Obermanns Rede mit Pfiffen und Buhrufen unterbrachen, unterstützten ihn die meisten Aktionäre. Der Geschäftsführer der deutschen Investmentfondsgesellschaft DSW, Klaus Kaldemorgen, lobte die geplanten Kostensenkungen und meinte im Hinblick auf die Gewerkschaften, es sei »ein Anachronismus, für die 34 Stunden zu streiten, fast jeder Schüler in Deutschland muss länger arbeiten«.

René Obermann kündigte an, aus Solidarität mit den Beschäftigten auf ein Monatsgehalt zu verzichten, legte noch ein zweites drauf und muss somit in diesem Jahr mit einem Grund­lohn von einer Million Euro haushalten. Unter den Aktionären wurde beinahe der gesamte erwirtschaftete Über­schuss des Konzerns von 3,2 Mil­liar­den Euro ausgeschüttet, um die letzte Dividende von 0,72 Euro pro Aktie zu halten. Klaus Kaldemorgen gab zu der Frage, wie man »sich auf der Kostenseite wettbewerbsfähig aufzustellen« habe, seinen Rat ab: »Schon Darwin hat erkannt, dass es nicht die Klügsten und Stärksten sind, die sich im Wettbewerb behaupten, sondern die Anpassungsfähigsten.«

Die Telekommunikationsbranche war sicher auch zu Staatsdienstzeiten kein Hort der Selbstverwirklichung. Doch bei der Telekom hielt sich der Anspruch auf eine so­zia­le Absicherung noch, als er anderswo im Dienstleistungsbereich schon völlig ver­schwun­den war. Erst nach und nach bekamen auch die Angestellten der Telekom zu spüren, dass tarifliche Absicherung nichts für die Ewigkeit ist. Sie erduldeten zahlreiche »Umstrukturierungen« über ihre Köpfe hinweg und mehrfache Lohneinbußen. »Die Telekom sollte froh sein, dass sie noch solche motivierten Beschäftigten hat«, sagt Patricia Marcolini.

Nunmehr sieht sich die Konzernleitung einer allgemeinen Wut gegenüber – obwohl sie doch nur die simplen Regeln der Betriebswirtschaft exekutiert, wie sie Klaus Kaldemorgen skizziert hat. Die Gewerkschaft will das Schlimmste verhindern. Das heißt verzögern. Denn mit jeder Aufspaltung und Herabstufung der Belegschaft ist der nächste Schritt noch einfacher. Für Neueingestellte soll der partielle Auslagerungsschutz, der im Angebot des Vorstands enthalten ist, ohnehin nicht gelten. Am Ende wird Verdi möglicherweise als Er­folg verkaufen müssen, was ebenfalls, kritisch gerechnet, Lohneinbußen im zweistelligen Bereich bedeutet. Ado Wilhelm, Leiter der Abteilung Arbeitskampf und zuständig für die Warnstreiks, bewertete den Beschluss zur Auslagerung im Gespräch mit der Jungle World als »Lohnraub«. Doch: »Die Telekom kann diese Auslagerungen vornehmen, das deutsche Recht sieht so etwas vor.«

Am Freitag hat die Große Tarifkommission von Verdi eine Urabstimmung beschlossen, mit der über einen Streik entschieden wird. Die Urabstimmung dürfte ein eindeutiges Ergebnis haben. Bereits bei den Warnstreiks war die Unterstützung der mit Abfindungsangeboten überhäuften Belegschaft hoch. »Jetzt sind wir bei der 17. Umstrukturierung der Telekom. Immer noch sollen 32 000 Mitarbeiter abgebaut werden«, sagt Marcolini. »Man fühlt sich hier gar nicht mehr gewollt. Den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, den haben die Mitarbeiter jetzt. Die Leute diskutieren wirklich und fragen sich: Welche Zukunft haben wir hier noch?«

Hört die Belegschaft doch noch auf Mahnungen wie die der FAZ, dass die »unnachgiebige Haltung« die Beschäftigten »teuer zu stehen kommen wird«? Beginnt ein Feilschen um Variabilisierungsanteile und Rufbereitschaftsregelungen? Oder kommt jetzt die Stunde der Belegschaft? Der Streik wäre die ­Chance, ihre Lage deutlich zu machen.