Aufkaufen und zerlegen

Die Übernahmeschlacht um die niederländische Bank ABN Amro zeigt, wie groß die Macht von Hedgefonds auf dem Finanzmarkt ist. von michael r. krätke

Seit einigen Monaten ist die größte Fusion der Bankengeschichte im Gang. Die britische Barclays Bank will die niederländische ABN Amro Bank übernehmen. In Großbritannien und den Niederlanden sind sie die jeweils zweitgrößten Banken. Wenn die Fusion gelingt, entsteht die fünftgrößte Bank der Welt und die zweitgrößte Bank Europas nach der HSBC.

Superlative, wie sie die Medien lieben. Das erste Übernahmeangebot betrug 67 Milliarden Euro, mittlerweile gibt es ein zweites, konkurrierendes Angebot in Höhe von 72 Milliarden Euro.

Dabei handelt es sich nicht um die erste Fusion im Bankensektor. Mehr als 80 Prozent des Kapitalexports finden durch Aufkaufen, durch mehr oder weniger einvernehmliche, oft genug durch »feindliche« Übernahmen statt. Die Spezialisten für Fusionen und Übernahmen, die rasch wachsende Zahl von Hedgefonds und Privat-Equity Fonds, sorgen immer für neue Sensationen. Im April erreichte der weltweite Übernahmeboom mit Käufen im Wert von 626 Milliarden Dollar einen neuen Rekordstand. Statt sich auf langwierige und kostspielige Konkurrenzkämpfe einzulassen, ziehen es die Großen aller Branchen vor, Konkurrenten einfach aufzukaufen, zu nutzen, was ihnen passt, und den Rest stillzulegen bzw. in Häppchen weiterzuverkaufen.

Hedgefonds gehören zu den treibenden Kräften in diesem Spiel, weil sie vom Kursgewinn der Aktien leben, die sie kaufen und verkaufen – bei Übernahmen fallen regelmäßig ganz erhebliche Kursgewinne an.

Im europäischen Bankensektor spielten sich Großfusionen vor allem zwischen britischen, italienischen und spanischen Großbanken ab. Im vergangenen Jahr übernahm die italienische Banca Intesa die ebenfalls italienische San Paolo IMI, während die italienische UniCredit die deutsche HBV kaufte. Dadurch erlebten die europäischen Banken eine gründliche Umstrukturierung. National und inzwischen auch transnational fusionieren Großbanken zu riesigen Banken, die mit der Masse kleiner, traditioneller Kreditinstitute in Europa leichter und schneller aufzuräumen hoffen.

Kleine, lokale Banken und Sparkassen haben diesen Großkonzernen wenig entgegenzusetzen, sie werden immer rascher vom Markt gedrängt. Wir erleben einen klassischen Konzentrations- und Zentralisationsprozess im Schnelltempo.

Bei der anstehenden Fusion zwischen Barclays und ABN Amro können sich in erster Linie die Aktionäre der niederländischen Bank freuen, die Kurse ihrer Aktien stiegen um fast 30 Prozent in knapp zwei Monaten. Denn mittlerweile gibt es ein konkurrierendes Übernahmeangebot. Ein Dreierkonsortium der Royal Bank of Scotland, des belgisch-niederländischen Finanzkonzerns Fortis und der spanischen Bank Santander Central Hispano hat sich eingemischt und ein feindliches Angebot unterbreitet. Damit ist der Kampf zwischen einigen Großaktionären der ABN Amro und deren Vorstand entbrannt. Er wird mit allen juristischen Tricks und Finten ausgefochten, schließlich geht es um sehr viel Geld. Die Aktionäre der britischen Barclays Bank sind dagegen weniger fröhlich: Ihre Aktien haben leicht verloren, da die Börsianer der City die Chancen von Barclays, den Kampf um ABN Amro zu gewinnen, offenbar skeptisch beurteilen.

Der Verlauf der Übernahmeschlacht ist ein Lehrstück für den enormen Einfluss von Hedgefonds. Diese sind auf das Manipulieren von Aktienkursen spezialisiert. Das betreiben sie nicht nur, indem sie kaufen und verkaufen, sondern vor allem, indem sie Analysten vorschicken, Börsenberichte fabrizieren oder fabrizieren lassen und die Aktionäre der Unternehmen, an denen sie sich beteiligen oder beteiligen wollen, propagandistisch bearbeiten.

Da sie nichts produzieren, nur Aktien besitzen bzw. kaufen und verkaufen, hängt ihr Gewinn – also auch der Gewinn derjenigen, die in solche Fonds investieren – ganz davon ab, dass die Kurse steigen. Die Aktien der Banken oder sonstigen attraktiven Übernahmekandidaten steigen in aller Regel flott an. Daher der Eifer, mit dem Hedgefonds Übernahmegeschäfte zu beeinflussen suchen – um ein höheres Übernahmegebot hervorzulocken.

Hier ging die Initiative von einem britischen Hedgefonds mit dem suggestiven Namen The Children’s Investment Fund (TCI) aus. ABN Amro ist eine solide Bank mit starker Marktposition, aber die einzelnen Teile des Konzerns sind mehr wert als das Ganze. Fonds wie der TCI warten ungern auf die günstige Gelegenheit, einen solchen Konzern zu zerlegen und in Einzelteilen weiterzuverkaufen, sie führen lieber die Übernahme herbei. Der TCI kaufte erst ein, dann zwei Prozent der Aktien von ABN Amro. Seine Propagandisten erzählten den niederländischen Aktionären, wie viel Geld sie verdienen könnten, wenn der Bankkonzern in seine Einzelteile zerlegt und verkauft würde. Gleichzeitig erhöhte der TCI seinen Anteil an der Bank auf drei Prozent, warb um potente Aufkäufer in der europäischen Finanzwelt und drängte den Vorstand der Bank ständig zum Verkauf.

Mit Erfolg. Denn rechtzeitig kam das attraktive Übernahmeangebot des britisch-spanisch-belgischen Konsortiums. Diese drei Partner wollen den niederländischen Bankenkonzern zerlegen, ganz im Sinne des TCI. Die Briten wollen das Investmentgeschäft, die Spanier die Lateinamerikaabteilung, die Belgier den Beneluxteil von ABN Amro übernehmen. Der Vorstand von ABN Amro will die Traditionsbank erhalten, bevorzugt daher das Übernahmeangebot von Barclays, bei dem sie unter der Kontrolle der britischen Eigentümer fortbestehen würde.

Obwohl die Übernahmeschlacht noch nicht entschieden ist, hat der Hedgefonds TCI jetzt schon viel verdient. Der Marktwert seiner Investition in Aktien von ABN Amro ist in wenigen Monaten um fast ein Drittel gestiegen. Aber die Investoren, die ihr Geld in solche Hedge­fonds stecken, finanzieren ihre Kapitalanlage in aller Regel mit Krediten, nur zum kleineren Teil aus eigener Tasche. Nehmen wir vorsichtig an, dass sie zwei Drittel per Bankkredit finanziert haben, dann sind aus real 360 Millionen Euro Investition des TCI bei ABN Amro nun fast über Nacht 1,45 Milliarden geworden. Das ist ein »Ertrag« von 400 Prozent. Daran verdienen die Direktoren des TCI selbst gut 100 Millionen Euro pro Nase.

Für die Beschäftigten sind die Aussichten weniger rosig. So steht die Streichung von 23 660 Stellen auf dem Programm – 12 800 werden direkt abgebaut, weitere 11 800 sollen durch Auslagerung an Dienstleister in Billiglohnländern eingespart werden. Der Vorstand von ABN Amro verteidigte das nach dem üblichen Muster: Nicht in den Niederlanden, sondern in Großbritannien würden die meisten Stellen verloren gehen.

Von Fusionen und Übernahmen sind nicht nur Banken betroffen, sondern der gesamte Finanzsektor verändert sich. Die Grenze zwischen Banken und Nicht-Banken wird zunehmend verwischt, da gerade die Großbanken sich auf alle möglichen Finanzgeschäfte jenseits der klassischen Zahlungs- und Kreditvermittlung verlegen, während alle möglichen Industrie- und Handelsunternehmen nach dem Vorbild der Autofabrikanten und Warenhäuser sich ins Bankgeschäft begeben. Weltweit entstehen so Konglomerate, die auf allen Finanzmärkten zugleich mitspielen.

In der verschleiernden Sprache der offiziellen Politik heißt das »Konsolidierung« des Bankgeschäfts. Konzentration von Bankkapital und Monopolisierung im Finanzsektor wäre die richtige Bezeichnung, wenn man auf den Jargon verzichtet.