»Die Razzia war eine gute Werbung«

Ein Gespräch mit einem Autor des inkriminierten Buches »Autonome in Bewegung«

Gegenstand der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ist unter anderem das von einer »A.G. Grauwacke« herausgegebene und vor drei Jahren erschie­nene Buch »Autonome in Bewegung«. Der Mitverfasser, mit dem wir sprachen, wollte anonym bleiben.

Den Durchsuchungsbefehlen zufolge ist das Buch »Autonome in Bewegung« Gegenstand einer Ermitt­lung nach Paragraf 129a. Was ist das für ein Buch?

Bei den Herausgebern, der »A.G. Grauwacke«, han­delt es sich um ein Autorenkollektiv aus fünf älteren Berliner Autonomen, die in Zusammenarbeit mit zahlreichen Aktivisten der vergangenen 25 Jahre dieses Buch veröffentlicht haben. Einzelne Kapitel überließen sie Gastautoren.

In dem Buch wird versucht, die Geschichte der Autonomen seit Beginn der achtziger Jahre zu reflektieren; zwar mit vielen subjektiven Beiträgen, die aber in die historischen Umstände eingebettet werden. Es ist ein Beitrag zur autonomen Geschichts­schreibung, also eher eine Nachbetrachtung.

Wenn es nur ein Geschichtsschmöker ist, woher kommt dann das Interesse der Bundesanwaltschaft?

Offenbar wird wegen diverser Brandanschläge gegen einige Leute ermittelt, von denen angenommen wird, sie seien Autoren oder Herausgeber dieses Buches. Mit dem Buch selbst hat das nichts zu tun. Es ist frei verkäuflich, ein Indizierungsgesuch des Jugendministeriums wurde abgewiesen. In dem Buch erzählen alternde Aktivisten, anonym natürlich, auch von der ein oder anderen militanten Aktion, an der sie vor etlichen Jahren beteiligt waren. Das mag die Ermittler provozieren.

Aber Militanz wird in dem Buch schon gerechtfertigt?

Die Autonomen haben immer sehr selbstkritisch über ihr Verhältnis zur Militanz diskutiert. Die Gewaltfrage wurde dabei nie losgelöst von den gesellschaftlichen Umständen beantwortet; sicher manchmal auch falsch, was jedoch eher an der falschen Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen als an einer Fixierung auf Gewalt lag. Die Autonomen waren und sind nicht die RAF. Eine gewisse Mythologisierung von Militanz gab es zwar immer – man findet sie auch in diesem Buch –, doch es geht nicht um Hooliganismus, sondern um Politik. Wie immer man das alles bewertet: Um sich über die Autonomen ein eigenes Urteil zu bilden, kann die Lektüre des Buches nicht schaden.

Gibt es einen Zusammenhang zum G 8-Gipfel?

Eigentlich nicht, außer dass man eine Kontinuität unterstellt und den Herausgebern vorwirft, sie würden mit ihrer Erfahrung den militanten Nachwuchs rekrutieren. Als ob jugendliche Globalisierungskritiker darauf warten, dass ihnen irgendwelche alten Kämpen sagen, wo es lang geht. Das ist völliger Blödsinn, der zeigt, wie konstruiert das ganze Verfahren ist.

Und das Kapitel über die erfolgreiche Massen­mobilisierung zum IWF-Gipfel 1988 scheint die Sicherheitsbehörden etwas zu schrecken, weil die tatsächlich ein Vorbild für die Mobilisierung zum G 8-Gipfel hätte sein können. Allerdings waren das ganz andere Zeiten, und die Bewegung von heute ist nicht vergleichbar mit dem damaligen Potenzial. Sich an die damaligen Protestformen zu erinnern, ist wohl eher dem Staat eingefallen als den Linksradikalen.

So ganz tot scheint die Bewegung dennoch nicht zu sein, darauf deuten zumindest die recht großen spontanen Proteste nach der Razzia.

Die haben mich positiv überrascht. Eine große Teilnahme an einer Demonstration ist trotzdem etwas anderes als jene etablierte Szene mit ihren gefestigten Strukturen, die es in den achtziger Jahren noch gab. Und die inhaltliche Grundlage dieser Solidarisierung ist natürlich nur ein Minimalkonsens gegen die Repression. Über die Stärke der radikalen Linken sagen diese Proteste wenig.

Welche Folgen wird die Razzia für die Proteste in Heiligendamm haben?

Am 1. Mai hat es in Kreuzberg nicht ordentlich geknallt, was für die militante Szene schon enttäuschend war. Das hatte nicht unbedingt mobilisierenden Charakter für Heiligendamm. So gesehen war die Razzia eine gute Werbung, nicht zuletzt für Auswärtige, die sich überlegen, ob die Anreise sich lohnt. Zugleich dürfte endgültig dafür gesorgt sein, dass es nicht mehr um Inhalte gehen wird, sondern nur noch um die Gewaltfrage. Die Razzia könnte also die Aktivitäten beleben, aber zugleich das politisch-inhaltliche Fiasko der G 8-Mobilisierung vervollkommnen.

interview: edgar wibeau