Der Mythos lebt

Die Vizemeisterschaft beweist: Im FC Schalke 04 drückt sich die Ästhetik des Scheiterns aus. von martin krauss

Der FC Schalke 04 wurde ja nicht nur in diesem Jahr nicht deutscher Fußballmeister – wie er das überhaupt seit 1958 nicht mehr wurde –, sondern, das wird vielleicht einige Leser verblüffen, schaffte auch im Jahr 2005 den Meistertitel nicht.

Überraschend ist das doch deswegen, weil 2005, also vor zwei Jahren, die taz 26 Jahre alt wurde und, nachdem da schon absehbar war, dass das Blatt wohl bald nicht mehr den deutschen Außenminister stellen würde, von der Chefredaktion andere, weiter reichende Wünsche formuliert wurden. »Bitte sorgen Sie dafür«, schrieb die taz folglich an den damaligen Manager des FC Schalke 04, Rudi Assauer, »dass nicht der FC Bayern Meister wird – sondern Schalke.« Assauer, mittlerweile kein Fußball­manager mehr, aber einer breiteren Öffent­lichkeit immer noch aus der Fernsehwerbung einer Brauerei bekannt, schrieb zurück, er habe »ein bisschen das Gefühl, als ob es euch eigentlich egal ist, ob wir das schaffen oder irgendein anderer Verein. Denn eigentlich wollt ihr alten Klassenkämpfer vermutlich nur nicht den FC Bayern oben sehen.«

Assauer mag ein treuer Kamerad des politisch wie physisch abgestürzten Jürgen Möllemann sein und aus Solidarität mit diesem die FDP verlassen haben. In einem hatte er mit seiner Antwort jedenfalls Recht: Sein Verein Schalke 04 dient in manchen Krei­sen nur als Folie, um sich als unglaublich oppositionell aufführen zu können.

Schalke gilt als fußballerischer Repräsentant einer gewerkschaftlich und sozialdemokratisch geprägten Arbeiterbewegung. Mit dem Inhalt des Schalker Fußballs hat das wenig zu tun, mit dem Inhalt von dessen Vereinspolitik noch weniger, aber von der Form her sehr viel: Auf dem Platz tritt Schalke weniger als andere Konkurrenten als Ensemble teurer und sehr individualistischer Stars auf, sondern eher als Kollektiv, das Fußball arbeitet. Und auch die Art, wie der Verein wirtschaftet, entspricht den Gepflogenheiten des sozialdemokratisch-kommunistischen Milieus.

Im proletarischen Habitus daher kommende Führerpersönlichkeiten wie Günter »Oskar« Siebert, wie Günter Eichberg oder eben auch wie Rudi Assauer prägten den Verein, als die Ligakonkurrenten schon längst zu ruhig und effizient arbeitenden Wirtschaftsunternehmen transfomiert waren. Und im Jahr 2007, dem Jahr der erneuten Schalker Beinahemeisterschaft, bezog der Klub wie der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder sein Geld vom russischen Energiekonzern Gazprom – womit er sich übrigens schon wieder als Folie für Leute anbietet, die gerne auf die da oben schimpfen: Ganz schlimmer Kapitalismus sei das, was die Russen da mit Hilfe der Schalker in Deutschland etablieren wollten, heißt es oft, und das Lob des rheinischen Kuschelkapitalismus ist da kostenlos eingebaut.

Dass ausgerechnet der FC Schalke vielen dazu dient, sich abwechselnd durch Lob und Kritik selbstgerecht zu inszenieren (und dass diese nicht vom TSV 1860 München, der IG Metall oder der Kölschrockgruppe Bap übernommen wird), hat tatsächlich viel mit Schalke zu tun: 49 Jahre ohne Meisterschaft, schon etliche Male beinahe Titelträger, 1972 wurde die wahrscheinlich beste Schalker Mannschaft seit Bestehen der Bundesrepublik von der Justiz dezimiert, und 2001 wurde der Klub in konzertierter Aktion von einem Kaiserslauterer Zahnarzt und dem verhassten Ligakonkurrenten aus München am Erreichen des höchsten Glückes gehindert. Loser halt, aber sympathisch.

Es zeigt sich einmal mehr (vgl. Jungle World 20/2004): Der FC Schalke 04 steht für den Traum und die Hoffnung, irgendwann im irdischen Leben auch mal einen Teil des versprochenen Glücks zu erheischen. Und Schalke steht auch für die Gewissheit, dass das nie gelingen wird, zumindest nicht unter hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen.

Der »Mythos Schalke«, von dem so oft die Rede ist, steht für die Ästhetik des Scheiterns, perfekt in Szene gesetzt.

Dass Schalke also auch in diesem Jahr wieder beim Versuch gescheitert ist, deutscher Fußballmeister zu werden und sich nun vom Konkurrenten aus der Nähe von Lüdenscheid für 50 Jahre ohne Meistertitel verhöhnen lassen muss, hat immerhin einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Der Mythos lebt.