Ich werde es nicht lieben

Gegen McDonald’s, für die Brache! von doris akrap

Einer der langlebigsten Wandsprüche im Kreuzberger Wrangelkiez lautet »This is not America«. Man mag diesen Sachverhalt bedauern, doch ist er eine unumstöß­liche Tatsache von der Sorte, dass der Ball rund und Sizilien eine Insel ist.

Was aber ist Kreuzberg dann? Für Nichtkiezbewohner stellt der Bezirk im Allgemeinen und der Wrangelkiez im Besonderen wahl­weise eine Art Bronx, Banlieue oder die hippste Partymeile der Stadt dar. Für die türkischen und linken Bewohner aber ist der aus neun Stra­ßen bestehende und nach einem preußischen General benannte Wrangel-Block die heimat­liche Scholle, in der die meisten Kioske, Bäckereien und Gemüseläden min­destens in der zweiten Generationen im Familienbesitz geführt werden, bzw. der Ort, wo schon der militante Papa und die alternative Mama Häuser instandbesetzt haben, in denen man nun selber billig wohnt und neue Kinder zeugt.

Dieses Viertel bietet eine einzigartig pittoreske Landschaft: Wo sonst findet man ein internationales Flugblattarchiv in der Nachbarschaft eines öffentlichen Designerklos für Hunde? Wo sonst vernebelt der dichte Rauch von Grillfleisch dem Mediendesigner die Aussicht aus seinem Loft auf den benachbarten Park? Welche andere Metropole kann sich rühmen, Schauplatz des »größten europäischen Suppenfestes« zu sein? Wo sonst kann man eine so florierende Kultur von Anwohnerinitiativen beobachten, die noch wegen jedem neu aufzustellenden Straßenpoller gleich mehrere Anwohnerbefragungen und bunte Aktionen veranstalten und die selbstredend auch den Bau eines Schnellrestaurants nicht unkommentiert hinnimmt? Wo sonst gibt es von der öffentlichen Hand bezahlte Nachhilfekurse in Schaufenstergestaltung? Wo sonst kommentiert die Kassiererin im Supermarkt den Klau einer Flasche Schnaps nur mit den Worten »Der hat sowieso schon Hausverbot«, während sich vor dem Eingang des Supermarktes Prachtexemplare der deutschen Unterschichten mit griechischen Altkommunisten und fränkischen Altautonomen zum Bier treffen, die im Sommer sogar ihre Gar­ten­stühle mitbringen und ihren Treffpunkt an der Straßenecke liebevoll »Harald-Juhnke-Platz« nennen?

Doch der unter politischen Aspekten wertvollste Besitz dieses Viertels ist die Brache, das im Verschwinden begriffenen Wahrzeichen des postfaschistischen Berlin. Jenes große, seit der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg unbebaute Ödland, das in diesem Fall von dem alten Backsteingebäude der Post und dem Lidl-Neubau eingerahmt wird und das und nur ein paar hundert Meter vom Regierungsbezirk Mitte entfernt liegt.

Auf diese Brache will McDonald’s eine Filiale bauen, sogar ein Drive-In ist geplant. Aber nicht der amerikanische Burger ist das Problem, schließlich ist der einzigartige Papp­geschmack eines echten Big Mäc in der charakteristischen Leicht­ver­packung ein Erlebnis, das man sich hin und wieder gönnen muss. Doch dieser Genuss sollte Anlass sein, mal wieder einen Ausflug in den für Plaste und Elaste bekannten Ostteil der Stadt zu unternehmen, wo noch jede Brache von McDonald’s kultiviert wurde.

Und es ist längst nicht so, dass jede Filiale von McDonald’s zu begrüßen wäre, nur weil sie an die Niederlage der deutschen Kultur erinnert und das Missfallen der Anti­imperialisten erregt. Und es muss auch kein alternatives Jugendzentrum auf die Fläche gebaut werden, in dem Punks mit durchgestrichenem Hakenkreuz am Revers Amerika-Flaggen verbrennen, sich von Blähungen verursachender Linsenpampe ernähren und vor lauter Glück über das neue Eigenheim Hans-Christian Ströbele das nächste Direktmandat sichern.

Der Erhalt der Brache ist Grund genug. Sie ist ein eindeutiges und eindrucksvolles antifaschistisches Mahnmal. Nichts verdeutlicht die Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg besser als die verödeten Brachen inmitten ihrer Hauptstadt. Doch auf der einst größten Brache stehen inzwischen drei Hochhäuser, die den Berliner glauben machen, zur Metropole von Weltrang aufgestiegen zu sein, und auch Kreuzberg hat seine bekannteste Brache an eine Moschee verloren. (Gut, ihre Entstehung durch eine professionelle Brand­stiftung am Rande eines Volksfestes taugte auch nicht wirklich dazu, um als antifaschistisches Mahnmal ins Weltkulturerbe aufgenommen zu werden.)

Wer also nach einem guten politischen Grund gegen McDonald’s sucht, findet ihn weder in der Außenpolitik der USA noch in der Klimakatastrophe oder bei den Existenzsorgen der türkischen Mittelschicht. Die politisch angemessene Losung gegen das Drive-In kann nur lauten: Rettet die Brache! Wider das Vergessen!