Kultur und Liebe

Neue Bücher arabischer und persischer Autorinnen handeln von den Strategien junger Frauen, die Zwangsheirat zu umgehen und eine Liebesehe zu schließen. von anne haeming

Nacht für Nacht redete sie sich um Kopf und Kragen. Es ging ihr stets nur um die entscheidende Reaktion: »Was passierte danach?« Eine Frage, die ihr das Leben rettete, 1 001 Tage lang. Und weil König Scharyar von Scheherazades Geschichten nicht genug bekommen konnte, musste er sie zwangsläufig am Leben lassen.

Frauen wie Scheherazade gibt es auch heute: junge arabische oder persische Autorinnen wie Rajaa Alsanea, Parsua Bashi oder, bislang am erfolgreichsten, Marjane Satrapi. Auch bei ihnen geht es um Kopf und Kragen, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Mit ihren Geschichten gefährden sie ihr Leben eher, als dass sie sich retten.

Die 25jährige Rajaa Alsanea aus Riad studiert derzeit in Chicago, die Iranerinnen Parsua Bashi und Marjane Satrapi leben bereits seit einigen Jahren in der Schweiz und Frankreich. In ihrem Herkunftsland können die Töchter wohlhabender liberaler Familien ihre Texte nicht veröffentlichen, auch nur zu Besuch zurückzukehren ist zumindest für die beiden Iranerinnen lebensgefährlich. Das Bedürfnis der Nachwuchsautorinnen, vom Alltag zwischen Lippenstift und Schleier zu erzählen, stößt dafür in Europa und Nordamerika auf umso größeres Interesse. Was mit Satrapis »Persepolis«-Comics vor rund drei Jahren begann, scheint die hiesigen Verlage auf eine neue Sparte aufmerksam gemacht zu haben.

In diesem Frühjahr erschien neben »Nylon Road« von Satrapis iranischer Comic-Kollegin Parsua Bashi auch »Die Girls von Riad«, ein Roman der angehenden Zahnärztin Rajaa Alsanea. Das Schweizer Kulturmagazin du hat »Sche­herazades Töchtern« jüngst eine eigene Ausgabe gewidmet; einen Monat zuvor erschien ein NZZ-Magazin zum Thema »Tehe­ran«, darin Gastbeiträge einiger junger Iranerinnen, unter anderem Parsua Bashi. Und bei den Filmfestspielen von Cannes läuft nun »Persepolis« als Animationsfilm im Wettbewerb. Junge Frauen und ihr Leben unter reaktionär-religiösen Regimes schwingen sich zum Saisonthema auf.

Rajaa Alsanea macht sich die Strategie von Scheherazade auf eine sehr direkte Art zu Nutze: Ihr Roman »Die Girls von Riad« besteht aus einer Sammlung von E-Mails an Internetnutzer in Saudi-Arabien. Pünktlich jeden Freitag verschickt Seerehwenfahda7et eine neue Folge. Es ist eine Fortsetzungsgeschichte über vier Freundinnen aus Riad. Leitmotiv ist der Liebeskummer von Sadim, Lamis, Kamra und Michelle, ideal, um die Newsletter-Abonnenten Woche um Woche zu der Frage zu bewegen: Und was passierte dann? Mit den jungen Frauen führt Alsanea geschickt unterschiedliche Haltungen ein, von gläubig-nachgebend bis westlich-kopftuchfrei. »Mädchen wie meine Freundinnen gibt es überall«, die Banalität des Liebeskummers funk­tioniert universell. Darüber hinaus heißt das automatisch, dass über Männer gesprochen wird – und somit über die ­Beziehungen zwischen Frauen und Männern, Vätern und Töchtern.

Die zu Klischees geronnene Realität: Väter suchen die Ehe-­Kandidaten aus. Wenn Bräute sich den Verführungskünsten ihrer zukünftigen Männer hingeben, werden sie verstoßen und bestraft. Bei der Trauung unterschreibt der Mann, auch studierte Frauen liefern nur den Fingerabdruck. Scheidung funktioniert wie ein Fingerschnippen, der Mann lässt der Frau einfach das entsprechende Papier schicken. Der einzige Weg für Frauen, die meist arrangierte Ehe hinauszuschieben, ist ein Medizinstudium: Es hat Ansehen – und es dauert. Männer, so die Formel, sind Aasgeier oder Schwächlinge, die sich den Traditionen, dem Willen der Familie nicht widersetzen können.

Die eigene Biografie, das ist das Thema der Autorinnen. Sie haben keine Wahl. Weder Alsanea oder Satrapi in ihrem vierbändigen Lebenscomic, noch Bashi in »Nylon Road«. Die Bilderbücher der Iranerinnen zu vergleichen drängt sich allein wegen der biografischen Parallelen auf: Ende der sechziger Jahre im Iran geboren, die Familien eher liberal-intellektuell, später die Flucht ins deutschsprachige Europa, Satrapi nach Wien, Bashi nach Zürich. Und schließlich: das Visuelle als bevorzugte Erzählweise, um über den Clash mit der europäischen Kultur zu reden und gleichzeitig über die Heimat zwischen Mullahs und Mobilfunk, Männerdominanz und Make-up.

Aber im Unterschied zu den minimalistischen Zeichnungen Satrapis ranken sich in Bashis »Nylon Road« die Arabesken. Beredtes Schweigen hier, nervende Geschwätzigkeit dort. Satrapis Stories schlugen auch so ein, weil die Mimik ihrer Figuren und die spärlichen Dialoge eine subversive Ironie durchzieht. Bashi, gelernte Grafikerin, kann zwar Stimmungen einfangen, ihr Plot zerfasert aber in überbordendem Stilmix. Um ihre eigene Geschichte zu erzählen, lässt sie ein jüngeres Ich der Protagonistin auftreten. Und lässt es bei diesem Einfall bewenden. Mit Schleier zu Iron Maiden Luftgitarre spielen – ein rotziger Trotz, der in »Nylon Road« undenkbar wäre.

Iron Maiden hier, Balzac, Oscar Wilde, Mark Twain da: Dass Alsaneas anonyme Schreiberin neben arabischen Gedichten auch westliche Zitate als Epitaph ihren E-Mails vorausschickt, gleicht einem Affront. West­liche Literatur gibt es nur auf dem Schwarzmarkt, über den Libanon eingeschmuggelt. Der Kanon des Westens »gilt generell als verdächtig«, erklärt die iranische Literaturwissenschaftlerin Azar Nafisi, die vor zwei Jahren mit »Lolita lesen in Teheran« die kulturellen Repressalien ihrer Heimat eindringlich beschrieb.

Die Ironie wollte es, dass auch Rajaa Alsanea ihr Buch 2005 zunächst im Libanon veröffentlichen musste, zehnfach teurere Schwarzmarktkopien landeten dann im Iran. Am Ende erzählt Seerehwenfahda7et ihrer Fangemeinde, dass die gesammelten Briefe als Buch erscheinen sollen, und mit welchen Schwierigkeiten sie rechnen muss. Damit nimmt Alsanea ihre eigene Erfahrung subtil vorweg. Es sind auch Elemente wie diese, die einen für den Roman einnehmen, da schaut man über manche Litanei und einige übersetzerische Tölpeleien hinweg.

Es geht den Protagonistinnen nicht um offizielle Politik, verhandelt werden ganz alltägliche Dinge, wie die Vorschrift, dass bloß keine Haarsträhne unter dem Schleier hervorlugen darf. Die Angst, als Frau einen falschen Schritt zu tun, durchzieht die Geschichten aller drei Autorinnen. Und sei es nur, mit einem Kommilitonen frisches Zeichenpapier für das Grafikseminar zu besorgen, wie im Comic »Nylon Road«. Der nächste Sittenwächter und die Verhaftung kommen bestimmt.

»Gehirnwäsche und Ablenkung« sei das, erklärt Satrapi. »Wenn man ver­ängs­tigt ist, frieren nicht nur deine Muskeln ein, auch dein Hirn, man kann nicht mehr klar denken«, sagt die Wahlfranzösin in einem Interview. Eine Gesellschaft, die »die Menschen wie eine Herde Schafe behandelt«, heißt es dazu in »Die Girls von Riad«. Da gleicht es fast einer Revolution, wenn Rajaa Alsaneas Erzählerin rituell zu Beginn der Briefe erklärt, dass sie sich »die Lippen noch mal mit grellem Rot angemalt« hat. Sie schminkt sich gleichsam öffentlich, schmiert das alarmrote Make-up demonstrativ zwischen die Zeilen.

Mittlerweile ist die Zensur von »Girls« in Saudi-Arabien aufgehoben, Satrapis Werke erscheinen nach wie vor zuerst in Frankreich, Bashis in der Schweiz. Diese Einblicke in das Leben von Frauen in islamischen Ländern müssen in die Welt, gerade Europa hat sie dringend nötig. Sie bereichern jede Kopftuchdebatte, und sei es nur, um gläubige Musliminnen nicht von vornherein als unemanzipiert abzustempeln.

Rajaa Alsanea lässt sich in Chicago mit Schminke fotografieren – und mit Kopftuch. Daheim in Riad ist selbst das nicht genug, sie ist zu bekannt. Kurzer­hand zieht sie dann den Gesichtsschleier über. Das Accessoire der Ultra-Konservativen wurde ihr zur Camouflage.

Parsua Bashi: Nylon Road. Kein & Aber, Zürich 2006, 128 S., 19,90 Euro

Rajaa Alsanea: Die Girls von Riad. Pendo, Zürich 2007, 350 S., 19,90 Euro