Schlachtfeld Irak

Irakische Regierung machtlos ­angesichts des gesellschaftlichen Desasters von thomas schmidinger

Während das britische Chatham House, das ehemalige königliche Institut für Internationale Angelegenheiten, in einer in der vorigen Woche veröffentlichten, viel beachteten Analyse erklärte, die irakische Regierung sei mitt­lerweile gegenüber mehreren lokal begrenzten Bürgerkriegen und Aufständen völlig macht­los, hat die irakische Bevölkerung längst mit den Füßen abgestimmt. Über zwei Millionen Irakerinnen und Iraker haben im Laufe des vergangenen Jahres das Land als Flüchtlinge verlassen. Dazu kommt mindestens dieselbe Zahl intern vertriebener Menschen, die aus Gebieten mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Religionszugehörigkeiten in »vereinheitlichte« Regionen des Irak geflüchtet sind, um sich der Obhut einer der Milizen zu unterstellen und damit zumindest eine gewisse prekäre Sicherheit für sich in Anspruch nehmen zu können.

Die Ba’athisten und Islamisten haben somit vorerst ihr Ziel erreicht. Saddam Hussein hat sozusagen posthum den Krieg gewonnen.

Vermutlich hatte der ehemalige Diktator noch nie so viele Sympathien im Irak wie in den Monaten nach seiner Hinrichtung. Selbst von Leuten, die jahrelang gegen sein Regime gearbeitet haben, kann man inzwischen Sätze hören wie den, dass sie sich den Diktator zurückwünschten. »Immerhin war die Gewalt Saddam Husseins berechenbarer«, sagte vor kurzem ein kurdischer Politiker, der anonym bleiben will, in einem Gespräch unter vier Augen. Ähnliche Sätze sind auch von anderen ehemaligen Oppositionellen des Saddam-Regimes zu hören. Sie sind nicht plötzlich zu Freunden des Tyrannen geworden, aber sie haben keine Hoffnung mehr, dass der Gewalt der Islamisten und rivalisierenden Warlords Einhalt geboten werden könnte. Der Ruf nach einem »starken Mann«, der den Irak erneut mit eiserner Faust regieren soll, ist nicht Ausdruck einer politischen Überzeugung, sondern von Verzweiflung und Perspektivlosigkeit.

Schuld daran ist jedoch nicht nur die »erfolgreiche« Strategie der ba’athistischen und jihadistischen Terroristen und deren klammheimliche Unterstützung durch die Nachbarstaaten, sondern auch die völlige Konzeptlosigkeit der Besatzungstruppen und die Unfähigkeit, Korruption und Machtgier der irakischen Regierungsparteien. Die verbalen Bekenntnisse der ehemaligen Opposition zu »Demokratie und Menschenrechten« scheinen mittlerweile nicht mehr das Papier wert zu sein, auf dem sie vor dem Sturz Saddam Husseins niedergeschrieben worden waren.

Der Irak ist nicht nur auf Seiten des so genannten Widerstands, sondern auch auf Seiten der Regierungsparteien zur Spielwiese rivalisierender Banden geworden, die bestenfalls in Sonntagsreden auf Menschenrechte verweisen. Und aufgrund des allgemeinen Chaos und des Niedergangs hat sich die grassierende Korruption noch um ein Vielfaches gesteigert. Fast scheint es, als würde sich im Irak noch schnell jeder die Taschen füllen wollen, ehe er davonläuft. Und das ist fast schon verständlich. Schließlich braucht man das Geld dann, um im Exil erneut ein halbwegs angenehmes Leben führen zu können.

Wenn der scheidende britische Premierminister Tony Blair vorige Woche auf seinem Abschiedsbesuch in Washington erklärte, dass es sich die USA und Großbritannien nicht leisten könnten, den Kampf im Irak zu verlieren, dann hat er damit zwar völlig Recht, doch können es sich die Irakerinnen und Iraker nicht mehr leisten, als »Hauptschlachtfeld im Kampf gegen den internationalen Terrorismus« – wie es US-Präsident Bush bei dieser Gelegenheit formulierte – zu dienen.

Wie man aus einem solchen Schlachtfeld jedoch erneut zu einem Staat wird, ist derzeit etwas, wofür weder die irakische Regierung noch sonst jemand ein Konzept zu haben scheint.