Trocken Brot

Der Staat und das Kapital, Michel Foucault und die No Globals von stephan weiland

»Der Staat bin ich«, verkündete Ludwig XIV., und so größenwahnsinnig diese Behauptung auch anmutete, enthielt sie einen realen Kern. In den feudalistischen Verhältnissen konzen­trierte sich alle Macht im königlichen Souverän, das System sah weder persönliche Freiheit noch Teilhabe vor. Der König oder der von ihm eingesetzte Grundherr gaben den Arbeits- und den Wohnort der Untertanen vor, wie sie auch sonst nach Belieben über deren Leben verfügten. Wer in einer Bauernfamilie geboren wurde, war dazu verdammt, sein Lebtag den Acker zu bestellen und einen guten Teil des geernteten Getreides an den Grundherrn abzuführen, der mit seinem Hofstaat das Brot konsumierte.

Heutzutage wird das Brot nicht mehr von den Bauern gebacken und keinem Grundherrn zum Verzehr abgeliefert. In der Regel kauft ein Unternehmen die Zutaten bei verschiedenen Lieferanten und lässt das Brot in einer Fabrik backen. Ob die Eigentümer und Manager des Unternehmens die Backwaren selber essen, ist nicht von Belang. Das Brot wird allein dafür hergestellt, um den von den Arbeitern produzierten Mehrwert abzuschöpfen. Die Ausbeutung voll­zieht sich nicht durch eine nachträgliche und gewaltsame Aneignung des Produkts, sondern in verschleierter Form, und zwar bereits im Produktionsprozess.

Die Arbeiter werden nicht Leibeigenen gleich in die Bäckerei gezwungen, sondern schließen mit dem Unternehmen einen Arbeitsvertrag. Verstößt eine der beiden Seiten dagegen, wen­det sich die andere an eine dritte Instanz, nämlich den Staat. Selbst wenn dessen Personal immer wieder Allmachtsphantasien entwickelt, ist der Zweck des Staats nicht der, die Macht und den Besitz von wenigen Personen zu mehren. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, die widersprüchlichen Interessen formal Freier und Gleicher zu regulieren und eine möglichst reibungslose Kapitalakkumulation zu gewährleisten. Der Staat wird seinen Bürgern nicht vorrangig mit militärischer Gewalt aufgezwungen, denn sie haben ihn ver­inner­licht und beteiligen sich an seiner Aufrechterhaltung. Den Brötchendieb bei der Polizei anzuzeigen, ist eine Pflicht, der die Bürger aus Überzeugung nachkommen, selbst wenn bei ihnen zu Hause die Brötchen knapp sind.

»Die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht«, schrieb Michel Foucault vor 20 Jahren. Angesichts seines Begriffs von »Biomacht«, also von einer in erster Linie nicht autoritären und repressiven, sondern umfassenden und schöpferischen Macht, verwundert die Vorliebe, die viele Theo­retiker der globalisierungskritischen Bewegung für Foucault hegen. Schließlich eignet sich dieser ganz und gar nicht für die Litanei von der exklusiven Macht von acht Staaten (oder gar acht Staatsführern) über sechs Milliarden Menschen.

Dieser Widerspruch resultiert aus einer Umdeutung von Foucaults Begiff der »Biomacht«: Was für ihn ein Gegenstand der Kritik ist, erscheint etwa Antonio Negri und Michael Hardt als eine positive Utopie. Die »schöpferische Tätigkeit« der »Multitude« gilt ihnen als eine »Art des spontanen (…) Kommunismus«. Den Staat – oder das »Empire« – hingegen halten sie für einen »parasitären«, der vitalen Menge übergestülpten künstlichen Aufsatz. Wie im Feudalismus sollen es erneut einige wenige sein, welche die produktive Masse aus­saugen, sie des »Wertes« berauben, »der als Gemeinsames geschaffen wurde«. Solange aber die Bewegung einen solch unkritischen Begriff von der modernen Produktionsweise pflegt, wird sie den Kapitalismus weiterhin als Feudalismus missverstehen – und dadurch auch verharmlosen. Sie wird trocken Brot produzieren, anstatt die Bäckerei aufzumischen.