1977 und kein Ende

30 Jahre lang gibt es das freie »Radio Onda Rossa« in Rom. Es steht für Veränderungen und Kontinuitäten in der nicht immer ruhmreichen Geschichte der Autonomen Italiens. von catrin dingler, rom

Das römische freie »Radio Onda Rossa« wird 30 Jahre alt und feiert. Zum Auftakt wurde zum Straßenaperitif in die Via dei Volsci nach San Lorenzo eingeladen. Von Anfang an hatte das Radio seinen Sitz in dem kleinen Viertel südöstlich des Hauptbahnhofs, in unmittelbarer Nähe zur Universität. Die wenigen Straßenzüge rund um die Redaktion galten als linksradikales Zentrum der Stadt, und daran hat sich nichts geändert. Bis heute rankt sich um San Lorenzo und »Radio Onda Rossa« der Mythos von Settantasette (1977).

Tatsächlich aber begann die Geschichte der »roten Welle« nicht erst 1977. Bereits Mitte der siebziger Jahre bildeten sich in verschiedenen römischen Arbeitervierteln so genannte autonome Arbeiterkomitees (CAO). Diese von der kommunistischen Partei (PCI) und ihrer Gewerkschaft (Cigl) unabhängigen politischen Gruppen richteten ihren Protest sowohl gegen die schlechten Arbeitsbedingungen als auch gegen die durch Teuerung und Wohnungsnot immer unerträglicher werdenden Lebensverhältnisse. Die Aufforderungen zur eigenmächtigen Reduzierung der Strom‑, Telefon-, Gas- und Wasserrechnungen, zur Besetzung leerstehender Häuserblocks und zur Organisation »proletarischer Einkäufe« hatten Erfolg, die CAO konnten in den Arbeitervierteln auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. San Lorenzo wurde zur Basis für die verschiedenen, auf die ganze Stadt verteilten autonomen Gruppen.

Im Frühjahr des sagenumwobenen Jahres 1977 wurde der kommunistische Gewerkschaftsvorsitzende Luciano Lama von autonomen Studenten aus der besetzten Universität gejagt. Damit war der Bruch zwischen der Autonomie-Bewegung und den traditionellen Arbeiter-und Studentenvertretungen des PCI und der Cigl besiegelt. Am 24. Mai 1977 ging, dank der Techniker der CAO, in der Via dei Volsci das erste autonome Radio Roms auf Sendung: »Onda Rossa« (Ror) auf 93.3 Megahertz. Obwohl es mit Radio »Città Futura« ein weiteres alternatives Stadt­radio gab, avancierte Ror zum wichtigsten Lautsprecher der römischen Autonomie-Bewegung und zum Hauptfeind des damaligen Innenministers Francesco Cossiga. In Bologna war es ihm gelungen, die autonome Stimme von Radio »Alice« zum Schweigen zu bringen, in San Lorenzo scheiterte er kläglich: Kaum waren die Redaktionsräume in der Via dei Volsci Nummer 6 versiegelt, wurden die Gebäude Nummer 20 bis 30 besetzt, von wo aus weitergesendet wurde.

Noch heute erheben sich die Reste der antiken aurelianischen Stadtmauer eindrucksvoll am westlichen Ende der Via dei Volsci, doch die großen Schriftzeichen, die einst von der Macht der Autonomia Operaia kündeten, sieht man nicht mehr. Vor einigen Jahren konnte man von ihnen noch einen matten weißen Schatten ausmachen. Die Häuserwände des Viertels sind voll mit, kaum zu entziffernden Kritzeleien und wüsten antiimperialistischen Schmierereien deren Inhalt sich gegen Israel und die USA richtet. Nur in der Via dei Volsci gibt es noch ein paar bunte großformatige Wandgemälde, murales, von jungen Redskins, die neu in der Straße sind.

Die Zeiten der Autonomia sind vorbei. Im Centro Sociale, das nach der Hausnummer 32 benannt ist, geht es selten um Politik. Man trifft sich zur Volksküche, zum Fußball und zum Drogenkonsum. Um dieser Dreieinigkeit willen kommt es im Viertel auch nur noch selten zu politischen Auseinandersetzungen. Im Infoladen gegenüber vom »32« werden nicht nur Publikationen einschlägiger linker Verlage verkauft, sondern vor allem T-Shirts und Schals für die römische Fankurve. Das aggressive Fußballfieber vereint alle im selben Wahn. In einer Querstraße zur Via dei Volsci konnten sich sogar die so genannten Boys niederlassen, rechte Ultras des AS Roma.

Mittendrin residiert ungebrochen »Radio Onda Rossa«. Inzwischen wird aus Haus 59 und über die neue Frequenz 87.9 gesendet, weil die alte infolge einer europäischen Neuordnung der Radiofrequenzen ausgerechnet an Radio Vatikan abgegeben werden musste.

»Onda Rossa« ist sich treu geblieben. Vor allem in seiner Passion für die Palästinenser und seinem Hass auf die »Zionisten«. Bereits im Jahr 1979 war Daniele Pifano, einer der Mitbegründer des Radios, beim Versuch, zwei Boden-Luft-Raketen an einen Vertreter der Palästinensischen Volksbefreiungsfront zu übergeben, kurzfristig verhaftet worden. Für ein Bombenattentat, das im Oktober 1982 nicht nur den Eingang zur Redaktion, sondern das gesamte Gebäude so beschädigte, dass das Radio zusammen mit den Hausbewohnern umziehen musste, wird bis heute eine militante jüdische Gruppe verantwortlich gemacht. Dabei verschweigt Lillo, ein Aktivist der ersten Stunde, in einem Interview anlässlich des Jubiläums, in dem diese Geschichte noch einmal kolportiert wird, dass es nie ein Bekennerschreiben oder irgendwelche Beweise gab, die diese Behauptung hätten stützen können.

Unter diesen Umständen sind die Versuche, explizit an lokale Traditionen anzuknüpfen, ausnahmsweise sympathischer. So informiert Ror regelmäßig über die Arbeit von Gruppen, die zum Protest gegen die Wohnungsnot und die ständig drohenden Räumungsbescheide aufrufen. Außerdem gehört zum Umkreis von »Radio Onda Rossa« die Gruppe »Odioilcarcere« (»IchhassedasGefängnis«), die regelmäßig Proteste vor den römischen Gefängnissen und dem Abschiebeknast an der Ponte Galleria organisiert und über die Haftbedingungen in den italienischen Gefängnissen informiert.

Ereignisse, die jenseits der eigenen Stadtmauer und weit entfernt von der »israelischen Mauer« stattfinden, werden weniger beachtet. Beim G8-Gipfeltreffen in Genua 2001 war Ror über das Radionetzwerk Gap live auf Sendung, als Polizeieinheiten in der Nacht zum 21. Juli die Schule Diaz stürmten und auf schlafende Demons­tranten einprügelten. Inzwischen hat sich die NoGlobal-Bewegung in viele kleine lokale Bewegungen aufgelöst, deshalb wird über den G8-Gipfel in Heiligendamm zwar berichtet, aber eher leidenschaftslos. Der Name ist für den im Radio vorherrschenden römischen Dialekt kaum auszusprechen, und »baltische See« klingt an der Mittelmeerküste fast schon nach Sibirien. Außerdem kommt US-Präsident George W. Bush im Anschluss an das G8-Treffen am 9. Juni sowieso zum Staatsbesuch nach Rom.

Dem allgemeinen Trend zur Lokalisierung folgend, geht es im Ror deshalb eher um den in der eigenen Stadt zu organisierenden Protest. Und nicht zu vergessen: Die hauseigenen Feierlichkeiten zum 30. Geburtstag gehen weiter. Während in Rostock die Protestwoche eröffnet wird, lädt »Radio Onda Rossa« im Centro Sociale an der Forte Prenestina Csoa zum Tanz.