Halbiertes Leid

Relaunch der Frankfurter ­Rundschau

Der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Uwe Vorkötter, kennt seine Leser besser als diese sich selbst. Während der gemeine FR-Leser es sich im privaten Gespräch verbitten dürfte, als konservativ bezeichnet zu werden, erklärt Vorkötter, die Leserschaft der Zeitung sei »struk­tur­konservativ«.

Immerhin war die seit Monaten angekündigte und seit einer Woche realisierte Umstellung der Zeitung auf das kleinere Tabloidformat für einige ihrer Leser Grund genug, das Abo zu kündigen. Deren Zahl liege zwar nur »im kleinen einstelligen Prozentbereich«, wie Vorkötter sagt, an ihr lässt sich aber das Dilemma ablesen, in dem die Frankfurter Rundschau seit einigen Jahren gefangen ist: Sie gewinnt keine neuen Leser, und jeden Versuch, die Struktur der Zeitung zu ändern, quittieren die Stammleser mit der Kündigung ihrer Abos. Deshalb sank die Auflage der FR in den vergangenen Jahren rapide, die Anzahl der Beschäftigten hat sich inzwischen mehr als halbiert. Mit Folgen, die man jeden Morgen registrieren konnte: Das Feuilleton schrumpfte an manchen Tagen auf nicht einmal mehr zwei Seiten zusammen, der Hauptteil war oft nicht wesentlich dicker als die Werbebeilage eines Marktes für Elektrogeräte. Der Regionalteil, eigentlich der uninteressantes­te Teil einer überregionalen Tageszeitung, wurde dagegen immer umfangreicher. Eine meinungsbildende Tageszeitung sieht anders aus.

Dennoch versuchte die FR hartnäckig, ihre Stammleserschaft weiterhin mit dem Altbekannten zu bedienen, um noch den strukturkonservativsten Leser nicht zu verstören. Dass aber auch dieser Kurs frü­her oder später in den wirtschaft­lichen Ruin geführt hätte, war absehbar.

Deshalb hat die Zeitung nun die Flucht nach vorne angetreten und erscheint als erste überregionale Tageszeitung im kleineren Tabloidformat. Das heißt, man kommt in der U-Bahn nicht mehr seinem Sitznachbarn ins Gehege, weil die Zeitung kleiner und handlicher ist, und irgendwie wirkt sie angesichts der Geschwindigkeit, mit der uns Informationen durch das Internet erreichen, auch zeitgemäßer. Die linksliberalen Leser sollen gehalten, vor allem aber junge und weibliche Nichtleser für die FR begeistert werden.

Die schicke, boulevardeske Titelseite besteht jetzt aus einem groß aufgemach­ten Thema. Zusätzlich wurde eine doppel­seitige Reportage in der Mitte des magazinartigen Heftes platziert, für Meinungen und Kommentare stehen jetzt ebenfalls zwei Seiten zur Verfügung. Außerdem hat die FR nur noch zwei Teile, einen 56seitigen Hauptteil und einen etwa halb so großen Lokalteil: ein Drittel für Frankfurt, zwei Drittel für den Rest der Welt. Beim Durchblättern des zusammenhängenden Hauptteils entsteht in der Tat ein bisschen das Gefühl, über eine Nachrichten- oder Zeitungsseite im Internet zu scrollen, wo sich schließlich auch alle Ressorts auf der gleichen Startseite befinden.

Doch die Form alleine macht noch keine Zeitung. Bis jetzt ist die neue FR nur eine doppelt so dicke, weil im Format halbierte, alte FR. Ob das der Stammleserschaft genehm ist, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Die Schlagzeile der ersten Ausgabe zum G8-Gipfel klang zumindest doppeldeutig: »Zu Gast bei Gegnern.«

jesko bender