Jede Menge Kohle

In Deutschland wird der Bau von über 30 neuen Kohlekraftwerken geplant. Obwohl sie schädlich für das Klima wären, beurteilt Umweltminister Gabriel die Pläne wohlwollend. von heiko balsmeyer

Die Nutzung der Kohle erlebt eine Renaissance. Bis zum Jahr 2020 sollen in Deutschland etwa 40 von insgesamt 133 Gigawatt Kraftwerkskapazitäten wegen des vereinbarten Ausstiegs aus der Nutzung der Atomenergie und der Alterung anderer Kraftwerke ersetzt werden. Der Verband der deutschen Stromwirtschaft VDEW listet nicht ohne Stolz insgesamt 69 Kraftwerke mit einer theoretischen Gesamtleistung von 33 685 Megawatt auf, die derzeit im Bau oder in Planung sind. 32 von ihnen sollen mit Kohle betrieben werden.

Vor allem im kommenden Jahrzehnt soll eine ganze Reihe von Kohlekraftwerken mit der Stromproduktion beginnen. Allein im Jahr 2011 soll in sieben Kohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von knapp 7 000 Megawatt erstmals die Flamme entzündet werden. Das größte Braunkohlekraftwerk will RWE bis ins Jahr 2010 im nordrhein-westfälischen Neurath bauen lassen, Vattenfall plant in Hamburg-Moorburg bis zum Jahr 2012 den Bau eines Steinkohlekraftwerks.

In der derzeitigen Stromproduktion spielt die Kohle nach wie vor eine sehr große Rolle. Über 40 Prozent des Stroms wird hierzulande in Kohlekraftwerken hergestellt. Der größte Anteil entfällt auf Atomkraftwerke (27 Prozent), darauf folgen Braunkohlekraftwerke mit 23 und Steinkohlekraftwerke mit 21 Prozent. Sowohl Erdgas als auch die erneuerbaren Energien haben jeweils einen Anteil von zwölf Prozent, wobei der Anteil der regenerativen Energien kontinuierlich wächst.

Für das Klima ist die Herstellung von Strom aus Kohle besonders schädlich, weil bei der Verwendung von Kohle mit deutlichem Abstand die größte Menge an Kohlendioxid (CO2) freigesetzt wird. Braunkohle setzt bei der Umwandlung zu Strom pro Kilowattstunde 20 bis 100 Mal mehr Treibhausgase frei als erneuerbare Energieträger. Die Bilanz bei der Steinkohle ist nur geringfügig günstiger. Die CO2-Bilanz beider Kohlearten kann lediglich durch die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung verbessert werden. Dabei wird die Abwärme zur Heizung von Gebäuden oder als Prozesswärme für industrielle Zwecke genutzt. Dadurch kann der übliche Wirkungsgrad von 43 bis 48 Prozent auf 90 Prozent erhöht werden.

Um die Schädlichkeit der Kohle für das Klima zu vertuschen, werden die Investitionen in die Nutzung der Kohle mit dem Begriff der »sauberen Kohle« (clean coal) verkauft. Das CO2 soll bei der Verbrennung abgeschieden und in Erdlagerstätten gespeichert werden. Diese als CO2-Seques­trierung bezeichnete Technologie ist allerdings noch mindestens zehn bis 15 Jahre von der Möglichkeit ihrer Anwendung entfernt, hat also mit den jetzt geplanten Kraftwerken nichts zu tun.

Außerdem stellt sich die Frage nach der langfristigen Sicherheit des Einschlusses des CO2. Es ist nicht geklärt, ob eine gesicherte Endlagerung überhaupt möglich ist und was sie auf Dauer kosten wird. So trifft wohl die Einschätzung des energiepolitischen Sprechers der grünen Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell, zu: »Eine Investition in clean coal bindet viel Geld und Aufmerksamkeit. Sie wird vor allem dazu dienen, den Bau neuer Kohlekraftwerke in den kommenden zehn bis 15 Jahren zu rechtfertigen.«

Die Auseinandersetzung über den Bau neuer Kraftwerke ist Teil der Verteilungskämpfe in der Stromwirtschaft. Schließlich werden die Kraftwerke für einen Betrieb von 40 und mehr Jahren geplant und gebaut. Die zentralisierte Stromwirtschaft, dominiert von den vier Monopolisten Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, versucht ihre Stellung mit Unterstützung der Politik zu erhalten. Die Chance auf einen beschleunigten Umbau hin zur dezentralen Nutzung erneuerbarer Energien wird damit vertan und blockiert.

Theoretisch wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um Großkraftwerke, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, durch dezentrale Anlagen und erneuerbare Energien zu ersetzen. Die europäische Sonnenenergievereinigung Eurosolar hat bereits im Jahr 2005 errechnen lassen, dass die in nächster Zeit abzuschaltenden Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt werden könnten. Bis ins Jahr 2020 ist danach die Erzeugung von mindestens 62 Gigawatt aus regenerativen Energien möglich. Zusätzliche Spielräume würden sich durch die Einsparung von Energie ergeben.

Bei der Planung der künftigen Stromwirtschaft werden immer wieder Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke miteinander verglichen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) etwa meint: »Wer den Neubau von hocheffizienten Kohlekraftwerken ablehnt, spielt der Atomlobby in die Hände.« Der Umweltkommissar der Europä­ischen Union, Stavros Dimas, hingegen behauptet: »Wer heute noch neue Kohlekraftwerke baut, muss sich im klaren sein, dass eine solche Politik uns alle langfristig teuer zu stehen kommt.« Seine Äußerung ist nicht verwunderlich, denn die EU hat sich mit dem Euratom-Vertrag zur Förderung der Nutzung der Atomenergie verpflichtet.

Aber der Neubau von Kohlekraftwerken lässt sich wohl kaum, wie etwa Gabriel suggeriert, mit einer Politik zum Schutz des Klimas vereinbaren. Der Geschäftsführer des BUND, Gerhard Timm, kritisiert den Bau von Kraftwerken wie in Neurath: »Diese Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von maximal 45 Prozent. Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie wird also ungenutzt in die Atmosphäre gepumpt. Das angeblich CO2-freie Kohlekraftwerk ist eine PR-Luftnummer.«

Die Bundesrepublik hat sich international zur Reduktion der Treibhausgase um 21 Prozent im Zeitraum von 2008 bis 2012 verpflichtet. Davon wurden bereits etwa 18 Prozent erreicht, was vor allem auf den Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland zurückzuführen ist. Im vergangenen Jahr wurde ein Anstieg der Emissionen um 0,7 Prozent verzeichnet. Ohne zusätzliche Anstrengungen wird das Ziel der Vereinbarung von Kyoto nicht erreicht werden, wie es die Bundesregierung bisher annimmt.

Es ist allein der technische Fortschritt in der Effizienz der Verbrennung, mit dem die angebliche Klimaverträglichkeit der neuen fossilen Kraftwerke begründet wird. In der von Gabriel verantworteten »Klimaagenda 2020« sind die Einsparungen als »Erneuerung des Kraftwerksparks durch effizientere Kraftwerke« mit dem Ausstoß von 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr fest eingeplant. Noch nicht einmal eine Verpflichtung zur Nutzung der Abwärme durch Kraft-Wärme-Kopplung ist dabei vorgesehen. Wichtigstes Instrument zur Steuerung der Investitionen soll der Emissionshandel sein, der bisher kaum zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beigetragen hat..

Es könnte sich allerdings herausstellen, dass sich die Pläne nicht so einfach verwirklichen lassen wie von den Stromerzeugern gedacht. An vielen Orten, sei es in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern oder auf der Ingelheimer Aue im Rheingau-Taunus-Kreis, haben sich bereits Gruppen gebildet, die sich gegen den Bau von Kohlekraftwerken engagieren. Vielleicht heißt ein populäres Motto bald: Kohlekraftwerke? Nein, danke!