Rostock gibt den Ton an

Das Nachspiel zum G8-Gipfel fand in Rom statt. Während des Besuchs von George W. Bush gingen 10 000 Menschen auf die Straße. Die Demonstration endete nicht ganz friedlich. von catrin dingler, rom

Dass Züge aus dem Norden mit Verspätung in Rom ankommen, ist eigentlich nichts Be­sonderes. Doch am Samstag waren die Verspätungen nicht der Unzuverlässigkeit der italienischen Bahngesellschaft Trenitalia geschuldet, sondern politischem Kalkül. Der Protestzug »von Rostock nach Rom« sollte aufgehalten werden, möglichst gar nicht erst losfahren.

So begann die Demonstration »Push Bush Out«, zu der aus der Antiglobalisierungsbewegung hervor­gegangene lokale Gruppierungen, mehrere Cen­tri Sociali, die Basisgewerkschaft Cobas und diverse kommunistisch-trotzkistische Splittergruppen anlässlich des Staatsbesuchs von US-Präsident ­George W. Bush in Rom aufgerufen hatten, bereits am Sams­tag in den frühen Morgenstunden, weit im Norden. Ein Massenaufgebot an Polizei stand an den Bahnhöfen bereit und wollte den Einstieg in die Züge nur denjenigen gestatten, die eine gültige ­Fahrkarte vorweisen konnten.

Daraufhin wurden in Mailand, Venedig, Padua und Bologna die Gleise besetzt, und der Zugverkehr Richtung Süden wurde lahm gelegt. Erst nach mehreren Stunden zäher Verhandlungen, konnten politische Preise durchgesetzt werden: 20 Euro für den Zug aus Mailand, zehn Euro für den Zug aus Venedig und Padua.

Von Anfang an hatten die Organisatoren, das »Ko­mitee 9. Juni«, den Aufruf zu nationalen Protesten auch als Abschluss der in Rostock begonnenen Protestwoche gegen den G8-Gipfel verstanden. Die Er­eignisse rund um Heiligendamm gaben auch den Ton an. Nach den Ausschreitungen in Rostock schürten die liberalen Medien die Angst vorm Schwarzen Block, die Erinnerung an den G8-Gipfel in Genua war Mahnung und Drohung zugleich.

Auch die Ankündigung des römischen Polizeipräfekten Achille Serra, keine »roten Zonen« einrichten zu wollen, war zwiespältig, sie konnte letztlich nur als Provokation verstanden werden. Insofern Trenitalia sich weigerte, Fahrkarten zu einem politischen Preis abzugeben, so das Komitee auf einer eigens auf dem römischen Bahnhof einberufenen Pressekonferenz, sei die Reise nach Rom de facto verwehrt. Da die Regierung immer noch Haupteigner der Bahngesellschaft sei, erklärte Luca Casarini, Sprecher der Centri Sociali Nord-Ost, könne man dieses Verhalten nur als Ver­such der Regierung werten, so viele Leute wie mög­lich am Erreichen Roms zu hindern. Rom sei somit zu einer riesigen »roten Zone« geworden. Damit war schon Tage im voraus klar, dass die Demonstration im Norden mit dem Kampf um das Recht auf Bewegungsfreiheit anfangen wird.

Obwohl auf den Plakaten und in Videoclips, mit denen zum Protest aufgerufen wurde, allein der »texanische Kriminelle« und »imperialistische Kriegstreiber« kritisiert wurde, rich­tete sich der Protest auch gegen die Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi. Das Banner, das den Demonstrationszug eröffnen sollte, war deutlich: »Gegen den globalen, permanenten Krieg Bushs und gegen den militärischen Interventionismus der Regierung Prodi!«

Der triviale Slogan »No Bush, No War« blieb zwar vorherrschend, übertönte aber nicht die Kritik, die aus den Reihen des Komitees erhoben wurde und sich ausschließlich gegen die Entscheidungen der italienischen Regierung richtete: gegen die Erhöhung der Militärausgaben, gegen die Entsendung weiterer Kampfflug­zeuge, gegen die Aufstockung der Truppen in Afghanistan, gegen die italienische Zustimmung zu den amerikanischen Plänen, einen Raketenabwehrschirm in Euro­pa zu stationieren, und gegen die genehmigte Erweiterung des amerikanischen Militärstützpunktes in Vicenza.

Ohne wenn und aber hatten zu Zeiten des Irak-Kriegs auch die inzwischen an der Mitte-Links-Koalition beteiligten beiden kommunistischen Parteien und die Grünen das Ende aller italienischen Militärmissionen gefordert. Jetzt hätte ein Anschluss an diese radikalpazifistische Position bedeutet, die Regierung in die Krise zu führen. Prodi gab deshalb unmissverständlich zu verstehen, dass er keine Beteiligung von Ministern und Staatssekretären an den Demonstrationen wünschte. Rifondazione Comunista und die Comunisti Italiani sowie die Grünen luden dennoch zusammen mit der Metallgewerkschaft Fiom, dem zivilgesellschaft­lichen Zusammenschluss Arci und NGO auf die Piazza del Popolo zu einem Sit-in ein. Mit Podiumsdiskussionen und einem abschließenden Konzert wollte man ein Happening für ein »anderes Amerika« veranstalten. Die Kritik sollte sich allein gegen den US-amerikanischen »Unilateralismus« wenden, nicht aber gegen die Beteiligung der italienischen Regierung an multilateralen Militärmis­sionen.

Für die Rifondazione war dieses Pro­test­arrangement ein nicht geringes Problem, das vor allem die Basis ignorierte. Die Jugendorganisation der Partei sowie einzelne Parlamentarier und Senatoren beteiligten sich entgegen den Vorgaben aus dem Parteivorstand auch am Demonstrationszug der radikalen Linken.

Für die Mehrheit der Bewegung, vor allem für die in den vergangenen Monaten aus Abspaltungen von der Rifondazione hervorgegangenen Gruppierungen, markierte der 9. Juni den endgültigen Bruch mit der parlamentarischen Linken. Das Konzept einer politischen Kooperation scheint nach einem Jahr Mitte-Links-Regierung tatsächlich gescheitert.

Mit der eigenen Eitelkeit und der Abgrenzung vom politischen Establishment beschäftigt, wurden die Sprecher der unzähligen linksradikalen Gruppierungen vor der Demonstration von der provokativen Ankündigung, Bush werde Trastevere, das wohl populärste Viertel der Stadt, besuchen und dort mit Vertretern der vatikanunabhängigen religiösen Gemeinde Sant’ Egidio zusammentreffen, regelrecht über­rascht. Stellungnahmen, die die Bedeutung des Treffens mit den vor allem in Afrika aktiven Mis­sionaren reflektiert hätten, gab es nicht. Der Slogan »No Bush, No War« musste genügen. Ge­gen die Abriegelung Trasteveres wehrten sich spontan nur die Anwohner und das italienische Innenministerium: Die sicherheitstechnischen Schwierigkeiten seien in dem Gassengewirr des alten Viertels nicht zu überblicken. Schließlich erschien es auch der US-Administration zu schwierig, Bushs Limousine durch die engen Gassen zu fahren, die Stippvisite wurde aus »logistischen Gründen« abgesagt.

Zuletzt setzten die Bilder von der erfolgreichen Blockade der Zufahrtswege in Heiligendamm die italienischen Genossen noch weiter unter Druck: Eine Protestdemonstration entlang der abgesprochenen Route, weit entfernt von den Aufenthaltsorten des unerwünschten Gastes, erschien im Vergleich dazu doch recht unspektakulär.

Tatsächlich hatte Bush seinen offiziellen Besuch bereits beendet und sich in die Residenz seines Botschafters zurückgezogen, als sich am Samstagnachmittag der Protestzug in Rom endlich in Bewegung setzen konnte. Einziger Trost blieb somit die Freude über den erfolgreichen Kampf um die verbilligten Sonderzüge. Dass am Ende der Demonstration doch noch einige Flaschen flogen und die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas antwortete, war wohl das mindeste, was sich die verspäteten Compagni verdient hatten. So viel Ritual muss sein.