Es fehlt an Respekt

Der Streik im öffentlichen Dienst Südafrikas ist der größte Arbeitskampf seit dem Ende der Apartheid. Die Gewerkschaften wollen ihren Einfluss auf die Regierung wieder erhöhen. von romin khan

Bei der ANC-Führung liegen die Nerven blank: »Jenseits aller unterschiedlichen Positionen zwischen den Gewerkschaften und der Regierung verurteilt der ANC alle Formen der Geringschätzung und Respektlosigkeiten gegen­über der für den öffentlichen Dienst zuständigen Ministerin.« Streikende hatten Geraldine Fraser-Moleketi, die Ministerin für den öffentlichen Dienst, auf Plakaten als Kuh dargestellt und einen Steckbrief veröffentlicht: »Geraldine. Dringend gesucht. Bei Ergreifung zwölf Prozent Belohnung.«

Eine Lohnerhöhung von zwölf Prozent war die Hauptforderung der Gewerkschaften im öffent­lichen Dienst, deren Mitglieder seit dem 1. Juni strei­ken. Der Streik hat sich zum größten Arbeitskampf seit dem Ende der Apartheid entwickelt. Mehr als 500 000 Krankenhausbedienstete und Lehrer traten in den Ausstand, am Mittwoch der vergangenen Woche schlos­sen sich Beschäftigte der Müllabfuhr und des öffent­lichen Nahverkehrs in vielen Städten an. An den Demonstrationen des Gewerkschaftsdachverbands Cosatu, die Mitte voriger Woche in über 40 Städten stattfanden, beteiligte sich eine halbe Million Menschen.

Die Gewerkschaften haben ihre Forderung auf eine Lohnerhöhung von zehn Prozent reduziert. Doch die Regierung will ihnen nur 7,25 Prozent zugestehen, die Inflationsrate beträgt etwa acht Prozent. Gerade die Verteuerung der Lebenshaltung hat in den vergangenen Jahren zu einer verstärkten Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften beigetragen. Denn eine Krankenschwester verdient in einem staatlich geführten Krankenhaus selten mehr als 450 Euro im Monat, und die Lebenshaltungskosten in Südafrika sind ebenso hoch wie in Westeuropa.

Insbesondere im Gesundheitswesen hat der Streik zu Konflikten geführt. Die Polizei ging mit Gummigeschossen gegen Streikposten vor und setzte Soldaten als Streikbrecher ein. Der Einsatz von medizinischem Personal der Armee sei notwendig, um den Betrieb der Krankenhäuser sicherzustellen, da­rüber hinaus müssten arbeitswillige Beschäftigte vor den Streikenden geschützt werden, rechtfertigte sich die Regierung.

Zur weiteren Eskalation hat in der vergangenen Woche die Nachricht beitragen, dass 600 Krankenhausbeschäftigten wegen angeblicher Verstöße gegen ihren Arbeitsvertrag gekündigt wurde. Es häufen sich die Meldungen von Patienten, denen der Zugang zu Krankenhäusern von den Beschäftigten verweigert wurde, ein Kind soll anschließend gestorben sein. Von den Gewerkschaften werden diese Anschuldigungen zurückgewiesen. Der Wochenzeitung Mail & Guardian sagte die entlassene Emilia Maloi von der Gewerkschaft Nehawu, der wahre Grund für die Kündigungen sei das gewerkschaftliche Engagement, denn der medizinische Notstand in der öffentlichen Gesundheitsversorgung Südafrikas sei eine seit Jahren bekannte Realität.

Die Auswanderung unterbezahlter Arbeitskräfte führte zu einer Verschlechterung der öffentlichen Gesundheitsversorgung, von der insbesondere an Aids erkrankte Patienten betroffen sind. Nur wenige von ihnen haben die Chance, die teurere private Krankenversorgung in Anspruch zu nehmen.

Die überraschend heftigen Aufrufe zur Beteiligung am Streik werden von vielen Kommentatoren auch als ein Versuch der Gewerkschaften bewertet, wenige Monate vor dem Parteitag des ANC ihre Stärke zu demonstrieren. Der Cosatu mit seinen 1,8 Millionen Mitgliedern ist zusammen mit der ihm nahe stehenden Kommunistischen Partei (SACP) weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Dreiparteienallianz mit dem ANC. Doch in den vergangenen Jahren haben sich SACP und Cosatu nur selten gegenüber der ANC-Führung um Präsident Thabo Mbeki behaupten können.

Die Linke und die Gewerkschaften kritisieren vor allem die zu schnelle Integration in den Weltmarkt, die Privatisierungspolitik und das Black Economic Empowerment (BEE). Das BEE soll schwarze Unternehmer fördern, den Gewerkschaften zufolge führt dies nicht zu einer Transformation der Eigentumsverhältnisse. Es profitiere nur eine kleine Schicht, während die Mehrheit der Schwarzen arm bleibe.

Im Dezember wird der ANC bei der National Conference einen Vorsitzenden wählen, und bislang war dies auch eine Entscheidung darüber, wer Präsident Südafrikas wird. Allerdings wird die Amtszeit durch die Verfassung auf zwei Wahlperioden beschränkt, Mbeki darf nicht noch einmal antreten. Dennoch wird er voraussichtlich erneut für den ANC-Vorsitz kandidieren, weil er um jeden Preis verhindern will, dass Jacob Zuma sein Nachfolger wird.

Zuma gehört zu den umstrittensten politischen Figuren in Südafrika. Ehemals stellvertretender ANC-Vorsitzender, wurde er vor zwei Jahren entmachtet. Er soll in eine Korruptionsaffäre involviert gewesen sein. Obwohl eine gerichtliche Klärung der Vorwürfe noch immer aussteht, stieg Zuma zum Hoffnungsträger der Gewerkschaften, der ANC-Jugend­liga und vieler Mitglieder der Kommunistischen Partei auf.

Er gilt als Integrationsfigur und Mediator, der eine sozialdemokratische Politik befürwortet, und als ein von der Regierung Verfolgter. So interpretierten seine Anhänger sogar den Vorwurf, er habe eine Frau vergewaltigt. Während des Gerichtsverfahrens Anfang 2006 demon­strierten viele ANC-Anhänger ihre Solidarität mit Zuma und bedrohten das Opfer der Vergewaltigung und ihre Unterstützer.

In dem Prozess wurden auch Vorleben und Kleidung der Frau, deren Identität geheim blieb, thematisiert. Zuma, damals Vorsitzender des Nationalen Aids-Rates, erklärte, dass er nach dem Sex geduscht habe, um die Gefahr einer Ansteckung mit HIV zu bannen. Er wurde freigesprochen, die Klägerin verließ noch am gleichen Tag das Land, um den Verfolgungen zu entgehen. Viele Aktivisten aus Aids-Gruppen und genderpolitischen Initiativen bewerten das Verfahren als Rückschritt für die Geschlechterverhältnisse im Land; Südafrika gehört zu den Ländern mit den höchsten Vergewaltigungsquoten und HIV-Ansteckungsraten.

Doch es gibt auch Kritik aus den Gewerkschaften an Zuma. So hält es Hester Stephens, Präsidentin der traditionell von Frauen dominierten Hausangestelltengewerkschaft Sadsawu, für ein politisches Desaster, dass jemand wie Jacob Zuma der zukünftige Präsident werden könne.

Der Streik ist offenbar auch ein Versuch der Gewerkschaften, erneut politische Handlungsfähigkeit zu gewinnen und die Abhängigkeit von Führungsfiguren zu mindern. Zuma lehnt den Arbeitskampf ab. Er verkündete staatsmännisch der Nachrichtenagentur AFP, dass er den Streik für ein falsches politisches Signal halte, da er in den Jahren vor der Fußballweltmeisterschaft 2010 Unsicherheit im Ausland über Süd­afrika als sicheren Austragungsort aufkommen ließe. »Die Herausforderung ist, dass die Menschen, die in den Verhandlungen stehen, im Innersten nicht nur ihre Interessen mitführen, sondern die des ganzen Landes«, sagte Zuma.

Doch sein Appell beeindruckte die Streikenden ebenso wenig wie die Aufrufe anderer ANC-Politiker. Die Probleme für die Regierung könnten noch weit größer werden, denn auch Polizisten sind in den Streik getreten, und Soldaten protestierten vor dem Parlament gegen den Einsatz als Streikbrecher.