Gay Parade statt Marsch für Jesus

In Brasilien fand die größte Gay Parade der Welt statt, Schwule und Lesben bekommen mehr Rechte. Doch sie sind weiterhin von homophober Gewalt bedroht. von thilo f. papacek

Es war eine gigantische Party zwischen den Häuserschluchten. Auf der Avenida Paulista, der Hauptstraße im neuen Zentrum von São Paulo, versammelten sich am vorletzten Sonntag nach Angaben der Veranstalter um die 3,5 Millionen Menschen zur größten Gay Parade der Welt. Die Stadtpolizei, die mit ihren 900 eingesetzten Beamten wohl ziemlich überfordert war, enthielt sich lieber einer Schätzung. Unter dem Motto: »Für eine Welt ohne Rassismus, Sexismus, Homophobie und Machismus« feierten die Schwulen-, Lesben- und Transgendergruppen der Stadt vor allem sich selbst.

Dem Papst dürfte das missfallen haben, nicht nur weil viele Teilnehmer hübschere Kostüme trugen als er. Um ihn bei seinem Besuch in Brasilien im Mai zu sehen, war nicht einmal eine Million Menschen zu­sammengekommen. Erfolgreicher war die evangelikale Konkurrenz, die vor der Gay Parade heftig mit deren Veranstaltern gestritten hatte. Das Bürgermeisteramt von São Paulo hatte entschieden, dass in diesem Jahr nur drei Großveranstaltungen auf der Avenida Paulista stattfinden dürf­ten, die eine Sperrung der gesamten Straße notwendig machen. Da die Gay Parade ohne den Aufbau von Bühnen auskommt, gab Bürgermeister Gilberto Kas­sab ihr und zwei Veranstaltungen zum Neujahrsfest den Vorzug gegenüber dem »Marsch für Jesus«, zu dem evangelikale Kirchen jedes Jahr aufrufen.

Der »Marsch für Jesus« wird auch als Gegenveranstaltung zur Gay Parade organisiert. Es war für die Evangelikalen ein Misserfolg, dass sie nicht auf derselben Straße laufen durften. Am 7. Juni kamen dennoch nach Angaben der Polizei etwa drei Millionen Menschen zum alternativen Veranstaltungsort. Die evangelikalen Kir­chen bekommen steten Zulauf und haben der katholischen Kirche in Brasilien längst den Rang als Hauptkritikerin der Homosexuellen abgelaufen.

Doch trotz der anhaltenden Proteste bekommen Homosexuelle in Brasilien immer mehr Rechte, ihr Image in der Öffentlichkeit wird besser. Die Regie­rung von Präsident Luís Inácio Lula da Silva versucht derzeit, ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Homosexuellen durchzusetzen. In den Telenovelas sind Schwule und Lesben immer häufiger zu sehen, und sie werden nicht mehr so oft als Klischeetunten dargestellt wie früher.

Kürzlich wurde sogar ein lesbisches Paar im Bundesstaat Goias als Familie akzeptiert. Die beiden Landarbeiterinnen Sueli Pereira e Silva und Graciana Lopes Ferreira bewarben sich für eine der Parzellen, die im Rahmen der Landreform neu verteilt werden sollten. Doch der Verfassung zufolge dürfen solche Landparzellen nur an »Familien« abgegeben werden. Die beiden klagten und bekamen Recht, was verschiedene soziale Bewegungen als enormen Fortschritt werteten. Bisher blieben Verbesserungen der rechtlichen Lage von Schwulen und Lesben auf die Ober- und Mittelschichten begrenzt, in diesem Fall waren es zwei Frauen aus den ärmsten Teilen der Be­völ­kerung, die einen juristischen Sieg errangen.

Doch im Alltag dominiert weiterhin der Machismus. Vor allem Schwule und Lesben aus den armen Bevölkerungsschichten werden noch immer diskriminiert. Schwulengruppen aus São Paulo berichten, dass insbesondere schwar­ze Homosexuelle Opfer von Gewalt werden. Viele ärmere Lesben und Schwule erstatten nach Angriffen keine Anzeige, weil sie ihre ­Rechte nicht kennen. Selbst am Rande der größ­ten Gay Parade der Welt kam es zu homo­pho­ber Gewalt. Am Abend der Parade wurde der französische Tourist Grégor Erwan Ladouar im schwulen Partybezirk von São Paulo erstochen. Da die Täter keine Wertsachen entwendeten, geht die Polizei mittlerweile davon aus, dass es sich um ein homophobes Attentat handelte.