Leben auf der Lava

Am Fuße des Vulkans, Teil II. Milizionäre, Soldaten und Polizisten kassieren im Ostkongo bei der Rohstoffausbeutung ebenso ab wie bei Personenkontrollen. NGO leisten humanitäre Hilfe, tragen aber auch zur Stabilisierung der Machtstrukturen bei. von david schwarz, goma

Die Lava bewegte sich rasend schnell. »Zuerst bebte die Erde, und dann spuckte der Berg Asche und Lava. Dann kam die Lava. Wir hatten nicht mal Zeit, das Nötigste aus unserer Hüt­te zu retten«, berichtet Marie-Josée*, die an einer der zahlreichen provisorischen Tankstellen in Goma arbeitet.

Im Jahr 2002 brach der Vulkan Nyiragongo aus, ein Lavastrom ergoss sich über den Großteil Gomas. Obwohl die Menschen erst relativ spät die Gefahr erkannten, kamen lediglich 147 Einwohner ums Leben, die meisten der 250 000 Einwohner wurden jedoch über Nacht obdachlos. An manchen Stellen sind die Häuser zehn Meter tief unter dem schwarzen Lavagestein vergraben. Der Großteil der Siedlungen ist auf dem erstarrten Magma wiederaufgebaut worden. Die meisten Menschen hausen in kleinen Hütten und Verschlägen, ohne Strom und Kanalisation. Das schwarze Geröll ist symptomatisch für die düstere Stimmung in der Stadt, die von Misstrauen und Unsicherheit gekennzeichnet ist.

»Wir wollen hier im Kongo keine Ruander. Nkunda terrorisiert mit seinen Leuten die Bevölkerung und schafft unsere Bodenschätze nach Ruanda«, meint Erneste Makukula, der Besitzer eines kleinen Ladens im Zentrum Gomas. Zwar wird der Milizenführer General Nkunda nicht offiziell von Ruanda unterstützt, aber selbst in regierungstreuen Zeitungen des Landes werden immer wieder Andeutungen eingestreut, dass der Tutsi-General sich auf Zuwendungen verlassen kann und dafür wertvolle Rohstoffe aus dem Kongo nach Ruanda liefert.

Die Ressourcen der Region scheinen auch keine Hilfe bei der Entwicklung zu sein. In der Konkurrenz um die Bodenschätze ist noch immer Gewalt das wichtigste Mittel. Die zaghaften Bemühungen, eine funktionierende staatliche Struktur aufzubauen, scheiterten bislang an der Korruption und Vetternwirtschaft. Solange die Beamten und Angestellten der öffentlichen Verwaltung, des Justizwesens, der Polizei und des Militärs keine ausreichende Bezahlung erhalten, wird sich an der Situation auch kaum etwas ändern.

Mehr als ein halbes Jahr ist seit der viel beachteten Wahl im Kongo vergangen. Goma war dabei eine Bastion Joseph Kabilas, der nicht zuletzt mit den Stimmen aus dieser Region zum Präsidenten gewählt wurde. Bewegt hat sich jedoch wenig. Eine Statistik über die Anzahl der von Ordnungskräften Ermordeten existiert nicht.

»In den letzten Monaten wurde es immer schlimmer«, erzählt Theo Rukondo, ein Medizinstudent an der Universität Goma. Allein in den vergangenen zwei Monaten wurden fünf Studenten von der Polizei erschossen. In den meisten Fällen ging es um deren Handys. »Die Polizisten halten hier ständig Leute an und wollen Geld oder Wertsachen. Wenn du ihnen nichts gibst oder geben kannst, dann rasten die manchmal richtig aus. Drei Kommilitonen haben sie einfach auf der Straße erschossen, weil sie ihre Handys nicht hergeben wollten. Ein anderer Student wurde in einem Taxi erschossen, das an einer Straßensperre weitergefahren ist.«

Nach diesem Fall kam es Anfang Mai zu öffentlichen Protesten. Eine Gruppe Studenten brachte den Leichnam zum Gouverneur und verlangte eine öffentliche Stellungnahme und einen besseren Schutz vor den Übergriffen der Ordnungskräfte. Der überforderte Gouverneur sagte zwar sofort Maßnahmen zu, unternahm dann aber nichts. Drei Tage später blockierten Studenten die Hauptverkehrsstraße Gomas mit brennenden Barrikaden und warfen Steine auf Polizisten, die an diesem Tag lediglich in die Luft schossen. Eindruck dürfte der überraschende Protest aber kaum gemacht haben. In den vergangenen Wochen kam es zu mindestens zwei weiteren Erschießungen auf offener Straße. Wann es den nächsten Studenten trifft, dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Uniformierte sind in den Straßen tatsächlich omnipräsent. Weiße hingegen sieht man praktisch nur hinter den Fenstern großer Jeeps mit den Kennzeichnungen der diversen UN-Unterorganisationen und unzähliger mehr oder minder bekannten NGO. Zu Fuß sind nur wenige »Projekt-Arbeit«-Touristen unterwegs.

An einer Kreuzung quietschen plötzlich Reifen. Eine Gruppe schüchtern dreinschauender Amerikaner wird gestoppt. Die Soldaten springen von der Ladefläche ihres Trucks und schreien mit gezückten Gewehren »No photos, no photos!« Wirkliche Spionageaktivitäten dürften von den mit Birkenstock und Digicams ausgerüsteten Rucksackträgern kaum zu erwarten sein. Nach einer eindrucksvoll gebrüllten Einschüchterungsrede des Ranghöchsten wird relativ schnell klar, dass sich das Problem mit einer großzügigen Dollarspende beheben lässt. Mit gesenktem Kopf zieht die Gruppe nach dem Abmarsch der Soldaten weiter, die Digicams brav im Rucksack verstaut.

»Das ist hier leider völlig normal. Ich fah­re inzwischen bei Polizeikontrollen einfach weiter, denn irgendwas finden die immer, um einen bezahlen zu lassen«, erzählt Claire Coleman, eine Amerikanerin, die seit über einem Jahr bei der interna­tio­nalen NGO »Heal Africa« arbeitet. Die stu­dier­te Theologin betreut in dem Kranken­haus der Hilfsorganisation sexuell misshandelte Frauen. »Hier an Dinge wie Hilfe zur Selbsthilfe zu denken, ist illusorisch«, erklärt sie bei einem Rundgang durch die Anlage. Stolz werden hygienische Operationsräume und Milch trinken­de Kinder präsentiert. Reflexionen über die ei­gene Rolle finden in der Organisation hingegen nicht statt. »Wenn wir nicht hier wären, ginge es den Menschen noch schlechter. Dann würde sich niemand um sie kümmern.«

Diese Denkweise ist auch bei den anderen internationalen Organisationen üblich. Ihre meist jungen Mitarbeiter leisten vornehmlich humanitäre Nothilfe. Im Jahr 1996 trug das zur Eskalation bei (siehe Teil 1), noch immer profitieren Milizen und Soldaten, die Abgaben erpressen, von Hilfslieferungen, und der Zustrom der Waren macht die Menschen abhängig. Dass ihre Arbeit, so notwendig sie ist, auch dazu beiträgt, die Machtstrukturen zu erhalten, die ständig neues Elend hervorbringen, ist für die meisten Mitarbeiter der Hilfs­organisationen kein Thema.

Nach dem Rundgang durch das Krankenhaus gehen wir in den Stadtteil der Ausländer und Militärs am Flussufer. Überraschend leicht bewacht, reihen sich hier malerische Häuser aneinander. Beim sonntäglichen Grillen blicken die Mitarbeiter von »Heal Africa« auf den Kivu-See. »Nach einer Woche da draußen in all dem Leid brauche ich einfach diesen Ausgleich hier«, meint Claire und macht es sich auf einem Handtuch mit der letzten Ausgabe der Cosmopolitan bequem. Die Überschrift des Leitartikels lautet: »Wie Sie in nur zwei Monaten reich werden können«.

*Alle Namen von der Redaktion geändert