Putins Angebot

Die russische Raketenpolitik von ute weinmann

Es dauert nicht länger als eine halbe Stunde, eine Atomrakete auf ein neues Ziel zu programmieren. Es war daher eher eine symbolische Drohung, dass Präsident Wladimir Putin ankündigte, Russland könnte erneut seine Raketen gen Europa richten, sollten die USA nicht von ihrem Vorhaben absehen, Elemente ihres Raketenabwehrsystems in Osteuropa zu stationieren. Doch Putin erregte das erwünschte Aufsehen, und nach der rhetorischen Drohung war sein versöhnliches Gebaren in Deutschland umso effektvoller.

Seinem amerikanischen Amtskollegen ­George W. Bush, der kurz vor dem G8-Gipfel Russland zur Kooperation bei der Raketenabwehr aufgefordert hatte, unterbreitete Putin ein auf den ersten Blick verlockendes Angebot. Bei einem Verzicht auf die Standorte Polen und Tschechien bietet Russland den USA die Nutzung einer in den achtziger Jahren erbauten Radarstation im aserbaidschanischen Gabala an. Das russische Verteidigungsministerium argumentierte, dieses Arrangement erlaube den USA eine effektive Abwehr eventueller Raketenangriffe des Iran und anderer potenzieller Gegner.

Putins Vorschlag fand nicht nicht nur bei westlichen Kritikern der US-Raketenabwehrpläne Beifall, sondern auch in Russland. Zum einen schenkt man hier den Versicherungen amerikanischer Militärs, der Bau einer Radarstation in Tsche­chien und die Stationierung von Abwehrraketen in Polen stellten keine Bedrohung für Russland dar, keinerlei Glau­ben. Zum anderen will man sich in der internationalen Politik nicht mit der Rolle des ­Juniorpartners zufrieden geben, sondern präferiert die eines tonangebenden Akteurs.

Der unabhängige russische Militärexperte Pawel Felgenhauer verglich Putins Vorschlag mit früheren sowjetischen Friedensinitiativen: Wenn die USA zustimmen, machen sie ein schlechtes Geschäft. Lehnen sie ab, stellen sie damit ihr aggressives imperialistisches Wesen unter Beweis. Die Radarstation in Gabala sei in jeder Hinsicht veraltet und allein schon wegen ihrer Nähe zum Iran nicht dazu geeignet, eine effektive Abwehr zu gewährleisten, denn sie liegt in der Reichweite iranischer Scud-B-Raketen. Zudem ist Aserbaidschan nicht der zuverlässigste Partner. Russland unterzeichnete im Januar 2002 einen Pachtvertrag mit einer Laufzeit über zehn Jahre, aber bereits 2006 erhöhte die aserbaidschanische Regierung den Nutzungspreis von sieben Millionen Dollar pro Jahr auf das Doppelte.

Putin dürfte wissen, dass Bush nicht auf die Stationierungsorte in Osteuropa verzichten wird, eine Einigung bei seinem für Anfang Juli geplanten Besuch in den USA ist sehr unwahr­scheinlich. Andererseits wäre ein Stationierungsort wie Gabala in der Nähe des Iran für die US-Regierung nützlich, allerdings nur als Ergänzung des Raketenabwehrsystems. Putins Angebot könnte der Auftakt zu tatsächlichen Verhandlungen sein. Unklar ist jedoch, zu welchen Gegenleistungen Bush bereit ist und womit Putin sich zufrieden geben würde.

Für den Fall, dass die Verhandlungen scheitern, baut Russland ein neues Raketenarsenal auf. Ende Mai erfolgte in Plesezk ein Teststart der neuen Interkontinentalrakete RS-24. Sie ist mit mehreren Atomsprengköpfen bestückt und soll in Zukunft gemeinsam mit Raketen vom Typ Topol-M, deren Bahn noch während des Fluges geändert werden kann, die militärische Stärke der Armee sicherstellen. Nach Angaben von Pawel Felgenhauer handelt es sich allerdings bei der RS-24 lediglich um eine modifizierte Version der ­Topol‑M. Den Abrüstungsabkommen »Start« zufolge darf ein Modell mit Mehrfachsprengköpfen bis 2009 weder entwickelt noch getestet werden.