Arm trotz Verdi

Ende des Streiks bei der Telekom von winfried rust

Die Telekom ist vorbildlich, was ihre Unternehmenspolitik angeht. 50 000 Beschäftigte bei weniger Lohn und längeren Arbeitszeiten auszulagern, bedeutet einen großen Schritt in Richtung Niedriglohnsektor. Anders kann man es trotz der zeitlich befristeten Ausgleichs­zahlungen nicht nennen, schließlich kommt zu der ausgehandelten Lohnkürzung von 6,5 Pro­zent wegen der um vier Stunden verlängerten Arbeitszeit noch eine gut zehnprozentige faktische Lohnkürzung hinzu. Und das Modell dürfte mit Sicherheit Nachahmer finden.

»Arm trotz Arbeit« ist der Titel einer Verdi-Kampagne gegen Niedriglohn. Das wird nunmehr auch beim Marktführer der »Zukunftsbranche« Telekommunikation zur Lebensrealität. Vor allem die Neuangestellten müssen sich daran gewöhnen. Der Einstiegslohn bei der Telekom sinkt um fast 10 000 Euro auf 21 400 bis 23 200 Euro pro Jahr.

Die Belegschaft der Telekom ist zu gut 70 Prozent gewerkschaftlich organisiert. Umso tragischer war es anzusehen, wie die vorhandene Wut und die Entschlossenheit zum Arbeitskampf in den Streikbüros aufgerieben wurden. Die deutsche Arbeiterseele mochte vor sich hin kochen, trotzdem blieb der durchschlagende Erfolg den Unternehmern vor­behalten. Ein Erfolg, der die Lebensbedingungen der in der Branche Beschäftigten deutlich verschlechtern wird.

Einfache Schuldzuweisungen an Verdi reichen nicht aus, und auch die Fokussierung auf die Konzernleitung greift zu kurz. Das Ma­nage­ment machte seinen Job, denn die Konkurrenz diktierte eine Senkung der Kosten. Die Beschäf­tigten der Telekommunikationsbranche müssen eine Absenkung ihres Lebens­niveaus hinnehmen, weil sie keine ausreichende Widerstandskraft dagegen zustande gebracht haben. Fest steht, dass sie die Leidtragenden des Drucks zur Kostensenkung sind – was in einem bizarrem Kontrast zu der Entwicklung steht, dass Handys immer mehr zu chicen, tragbaren Computern mutieren und die Produktivität und der gesellschaftliche Reichtum wachsen.

Ein rücksichtsloser Kampf der Beschäftigten für die eigenen Geldbeutel wäre ein Segen für die ganze Branche gewesen. Doch weil im Falle der Niederlage 345 Euro Arbeitslosengeld II drohten, setzte sich das Management durch. Da bleibt auch Selbstwertgefühl auf der Strecke.

Im Jahr 2012 wird nicht nur der verlängerte Kündigungsschutz enden, sondern auch die Umstellung des gesamten technischen Netzes auf IP-Technik vonstatten gehen, was weitere rund 20 000 Stellen überflüssig machen kann. Die Festnetzkunden laufen weg; der Markt für Breitbandanschlüsse und Internettelefone ist hart umkämpft, und die Reduktion der Ausgaben um 500 Millionen Euro nach dem jetzigen Verhandlungsergebnis stellt nur einen kleinen Teil des vorgesehenen Sparprogramms von 4,5 Milliarden Euro dar.

Die FAZ schreibt zum »Konzernumbau«: »Für beide Seiten war es der Anfang einer schmerz­haften Anpassung an die Wirklichkeit, nicht das Ende.« Und der Verhandlungsführer von Verdi, Lothar Schröder, wird weitere Gelegenheiten bekommen, die Ergebnisse von Raubzügen, die »Tarifverhandlungen« genannt werden, mit den Worten zu kommentieren: »Die Löhne der betroffenen Mitarbeiter bleiben stabil.«

Aber vielleicht gibt es bei der »Anpassung an die Wirklichkeit« noch so genannte Spielräume. Ein Kompromiss für die Lohnabhängigen nach dem vorliegenden Muster der Bescheidenheit könnte sein, die Firma das nächs­te Mal in Schutt und Asche zu legen, die Produktionsmittel zu vergesellschaften und das Diktat der Arbeit aus der Wirklichkeit zu schaffen. Als nötige Strukturmaßnahme, weil die Sachzwänge definitiv zu stark geworden sind.