Doctors of Jihad

Die fehlgeschlagenen Anschläge von Glasgow und London sind nicht allein eine Verschwörung von ein paar zum Jihadismus abgedrifteten Ärzten. von udo wolter

»Diese jungen Leute sind nicht eure jungen Leute«, sagte der stellvertretende Glasgower Polizeichef John Neilson vor einer Moschee über die Beteiligten an den gescheiterten Anschlägen von Anfang Juni. Doch was wie eine Verschwörung jihadistisch indok­trinierter Mediziner aussieht, die von al-Qaida zu »Schläfern« ausgebildet und aus verschiedenen nahöstlichen und asiatischen Ländern nach Großbritannien geschickt wurden, ist durchaus im Zusammenhang mit den Netzwerken des Jihadismus in Großbritannien zu sehen.

Davon zeugen nicht zuletzt zwei Prozesse, die in London in den vergangenen Wochen gegen homegrown jihadists geführt wurden. In dem einen Fall ging es um einen vereitelten Anschlag im Jahr 2004, bei dem ein Massaker unter den Gästen des Nachtclubs »Ministry of Sound« geplant war. Zumindest einem der Angeklagten konnten Kontakte zu den Attentätern vom 7. Juli 2005 nachgewiesen werden. Wie bei dem jetzt versuchten Anschlag auf die »Ladies Night« in einem Londoner Nachtclub waren auch 2004 vor allem sich amüsierende Frauen das Ziel. Das islamistische Wahnbild von angeblich lasziven und sexuell freizügigen Frauen als Inbegriff westlicher Verworfenheit und Dekadenz geht vor allem auf den Ideologen der Muslimbruderschaft und wohl einflussreichsten Vordenker heutiger Islamisten, Sayid Qutb, zurück. Bei dem zweiten Prozess standen drei britische Islamisten vor Gericht, die Internetseiten betrieben hatten, auf denen für al-Qaida und jihadistischen Terror geworben wurde. Auf einer der Internetseiten meldeten sich Sicherheitskreisen zufolge 45 Ärzte, die sich entschlossen hätten, Jihad zu führen.

Fahnder und Terrorismusexperten gehen davon aus, dass sich die Attentäter erst in Großbritannien zusammenfanden und Kontakte zu dem unter dem Label »al-Qaida« firmierenden Netzwerk suchten. Wichtiger sind aber das geistige Klima in den islamischen Gemeinden und die über vielfältige mediale und »geistlich«-ideologische Fäden verbundenen internationalen islamistischen Netzwerke.

Diesen Zusammenhang zu verschleiern, beeilte sich der notorische Israel-Hasser und Islamistenfreund, der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone. Er betonte, nur eine »winzige Minderheit« der britischen Muslime hege Sympathien für Terroristen – und dafür sei natürlich der Irak-Krieg verantwortlich. Damit nicht genug, entspann sich in der britischen Öffentlichkeit eine absurd anmutende Diskussion, ob man die Terroristen denn überhaupt als »Islamisten« oder gar als »Muslime« bezeichnen dürfe oder ob dies nicht bereits eine unzulässige Verbindung von islamischer Religion und Terror konstruiere. Stichwortgeber waren dabei der neue Premierminister Gordon Brown sowie Oppositionspolitiker und Intellektuelle, etwa der linke Historiker Eric Hobsbawm.

Diese Realitätsverleugnung erscheint umso merkwürdiger, als eine weitere im Internet verbreitete Ankündigung der Londoner Anschläge direkten Bezug auf die jüngste Empörungswelle beleidigter Muslime nahm: die Rushdie-Affäre – reloaded aus Anlass des bevorstehenden Ritterschlags für den Schriftsteller. An dieser neusten Inszenierung »muslimischer Verbitterung« hatten so gut wie alle größeren islamischen Verbände im Königreich mitgewirkt. Auch der lange von der Blair-Regierung als Dialogpartner hofierte Muslim Council of Britain (MCB), dessen Generalsekretär Muhammad Abdul Bari jetzt viel Lob für seine unmissverständliche Verurteilung der misslungenen Anschläge als »durch nichts zu rechtfertigende Barbarei« erntet.

Nach der Bekanntgabe der Ehrung Rushdies hatte der MCB zwar zu »Ruhe und Zurückhaltung« aufgerufen, die Entscheidung aber zugleich als »Provokation« und »Gefühllosigkeit gegenüber der muslimischen Meinung« kritisiert, »die nur zu weiterer Entfremdung führen« werde. In einem Protestschreiben, das von zwölf britischen Islamverbänden unterzeichnet worden war, hieß es ferner, Rushdies Ritterwürde zeige, »wie wenig Rücksicht der Premierminister (sic!) auf den Islam und den Propheten Mohammed« nehme. Neben Bari vom MCB unterschrieben den Appell auch Anführer islamistischer Gruppen, etwa die Islamic Human Rights Commission, die in London jährlich die Demos zum anti-israelischen al-Quds-Tag organisiert.

Dass sich anlässlich einer Neuauflage der Anti-Rushdie Kampagne so genannte gemäßigte Verbände mit knallharten Islamisten zusammentun, deutet auf ein Kernproblem des gesamten organisierten Islam: das Autodafé gegen den religionskritischen Schriftsteller als Gründungsakt muslimischer Identität in Großbritannien. Darauf verweisen auch Aussteiger aus der Islamisten-Szene wie Ed Husain und Hassan Butt.

Er und seine Mit-Jihadisten seien jedes Mal »in triumphierendes Gelächter ausgebrochen, wenn im Fernsehen wieder einmal behauptet wurde, dass islamistische Terrorakte (…) durch die Außenpolitik des Westens verursacht seien«, erklärte er. Mit der These von »Blairs Bombs« hätten diese Kommentatoren ihnen die Propagandaarbeit abgenommen. »Und wichtiger noch, sie lenkten die kritische Aufmerksamkeit vom wirk­lichen Antrieb unserer Gewalt ab – der islamistischen Theologie.«