Gesetze verschärfen im Nebel

Die einen wiegeln ab, die anderen übertreiben: Wie groß die Gefahr ist, dass es in Deutschland zu islamistischen Anschlägen kommt, ist umstritten. Die von Innenminister Schäuble geplanten Gesetzesverschärfungen sind es auch. von Ron Steinke

Für einen Moment konnte man fast meinen, es habe Otto Schily nie gegeben. Als der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf zwei fehlgeschlagene Terroranschläge in London und Glasgow damit reagierte, dass er seine Pläne zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze erneut bekräftigte, wies die SPD dies empört zurück. »Leider versucht die Union, die gegenwärtige – immer noch abstrakte und keineswegs dramatische – Gefahrenlage politisch zu instrumentalisieren«, kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Fritz Rudolf Körper, Schäubles Äußerungen. Körper indes war bis 2005 als Staatssekretär im Bundesinnenministerium für die so genannten Otto-Kataloge zuständig. Gesetzesverschärfungen unter dem Etikett der Terrorbekämpfung? Ja, wer macht denn so was!

Bereits in den Tagen vor den versuchten Anschlägen in Großbritannien war in Deutschland darüber debattiert worden, von welchem Grad der Gefahr hierzulande auszugehen sei. Schäuble hatte am 22. Juni eine »Terrorwarnung« ausgegeben und erklärt, die Lage sei »ernst«.

Politiker der Opposition und Bürgerrechtler widersprachen ihm. Es sei beim derzeitigen Erkenntnisstand verantwortungslos, »Ängste zu schüren«, meinte etwa die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth.

Der Politologe Wolf-Dieter Narr, der zu den Begründern des Komitees für Grundrechte und Demokratie gehört, sah sich gar zu einer Entwarnung veranlasst: Bei den jüngsten Warnungen für Deutschland handele es sich lediglich um »Pseudomeldungen«, sagte er der taz. Der »luftblasende Alarm« bzw. »Alarmismus«, der allein in solchen Warnungen zu sehen sei, entspringe vor allem den politischen Interessen der Sicherheitsbehörden. In Wirklichkeit seien die Menschen in der Bundesrepublik allenfalls durch »dumme, unfähige Politik« bedroht, polemisierte Narr. Wie die versuchten Anschläge mit Kofferbomben auf zwei Regionalzüge im Juli des vergangenen Jahres ins das Bild passen, ließ er allerdings offen.

Die Behauptung, bei der Terrorgefahr handele es sich vor allem um Hysterie, erscheint manchen Kritikern der verschärften Sicherheitsgesetze offenbar noch immer als hinreichend, auch wenn nur die wenigsten so weit gehen, jede Rede von drohenden Anschlägen als Taktik der Behörden abzutun. In der Tageszeitung junge Welt etwa wurde kürzlich unter der Überschrift »Terror­hysterie und Mobilmachung« die völlig absurde Theorie aufgestellt, die versuchten Kofferbomben-Anschläge seien von den Sicherheitsbehörden künstlich aufgebauscht worden, weil diese darin ein »probates Mittel« gesehen hätten, um eine Zustimmung der Bevölkerung zum Einsatz der deutschen Marine vor der libanesischen Küste zu erhalten.

Dennoch sind Terrorwarnungen eine zwiespältige Sache, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Selbst der bayerische Innenminister Gün­ther Beckstein (CSU) zeigte sich diesmal skeptisch. In der Tat war Schäubles Warnung ausdrücklich nur auf eine »quantitative Zunahme« der Kommunikation zwischen Verdächtigen gestützt, nicht auf konkrete, »qualitative« Erkenntnisse. Es sei schlicht das »Hintergrundrauschen« lauter geworden, hieß es zur Begründung aus dem Innenministerium. Mit bloßer Quantität ist in solchen Ermittlungen aber wenig gewonnen: Fängt ein Geheimdienst einmal etwas mehr Gespräche ab als sonst, erhellt sich das Dunkelfeld möglicherweise ein wenig. Ob aber auch in Wirklichkeit irgendetwas zugenommen hat, ist damit keineswegs gesagt.

Aus so genannten Geheimdienstkreisen zitierte die Welt am Sonntag daher auch Stimmen, die sich über Schäubles plötzliche Warnung irritiert zeigten und sich diese nicht zueigen machen wollten. Es gebe zwar durchaus eine »Bedrohungslage«, sagten sie, keineswegs aber eine »neue«.

Schäuble indes könnte die Diskussion darüber, ob die Gefahr von Anschlägen in Deutschland hochgespielt sei, sogar ins Konzept passen. Solange seine Kritiker vor allem ihre Zweifel am Bestehen einer wirklichen Gefahr kundtun, lässt dies implizit den Schluss zu, bei einem tatsächlichen Gefahrenfall wäre die staatliche Reaktion, wie sie sich derzeit abzeichnet, zulässig. Dabei ist deren Sinnhaftigkeit so oder so zu untersuchen.

An Schäubles Terrorwarnung schloss sich zum Beispiel der Nachsatz an, dass die Legalisierung von Online-Durchsuchungen »lebensnotwendig« werde. Zudem sollen die Sicherheitsbehörden nach den Vorstellungen Schäubles künftig die persönlichen Daten und Reiserouten aller Fluggäste in der gesamten EU auswerten, wie dies in den USA bereits seit längerem geschieht. Alles andere, so meinte Schäuble, sei nun »völlig unverantwortlich«.

Die langjährige Forderung des Innenministers, die Bundeswehr im Inland einzusetzen (nachdem Tornados bereits beim G8-Gipfel verwendet worden waren), fand nach den Geschehnissen in Großbritannien sogar erstmals die ausdrückliche Unterstützung der Bundeskanzlerin. Die SPD erhob daraufhin den Vorwurf, auch Merkel instrumentalisiere mit ihren Äußerungen die Gefahr von terroristischen Anschlägen.

Der inhaltliche Zusammenhang zwischen vielen dieser Maßnahmen und der Verhinderung von Terroranschlägen ist eher unklar. Die Online-Durchsuchung etwa soll vom Bundeskriminalamt auch bei der Aufdeckung von konventionellen Straftaten angewandt werden, die Suche nach Kinderpornografie auf privaten Rechnern ist bereits geplant.

Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, für deren Ausdehnung sich nach den versuchten Anschlägen in London und Glasgow unter anderem der Bundestagsabgeordnete Ludwig Stiegler (SPD) erwärmte, soll sich neben »Gefahren-« auch auf »Kriminalitätsschwerpunkte« konzen­trieren. Stiegler hegt die Hoffnung, die Video­überwachung werde »abschreckend« wirken. Abschreckend auf wen? Vermutlich denkt er hier nicht in erster Linie an fanatisierte Terroristen.

Auch andere neue Maßnahmen werden mit der Gefahr des Terrorismus begründet, wie die Aufnahme von biometrischen Gesichtsmaßen und Fingerabdrücken in alle Reisepässe (ab 1. November) oder die Speicherung der Verbindungsdaten der gesamten Telekommunikation für sechs Monate ab Januar 2008. Merkel betonte in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der CDU, die Union ziehe die Schlussfolgerungen aus den »gravierenden Veränderungen« der vergangenen Jahre.

Dabei gehören die meisten dieser Maßnahmen zu einer Entwicklung hin zu präventiver Überwachung, die in der Bundesrepublik bereits in den neunziger Jahren einsetzte. Die ersten Schrit­te dieser Entwicklung wurden noch mit der Gefahr des internationalen Drogenhandels oder schlicht mit dem »organisierten Verbrechen« begründet.

Diese Schlagworte werden heute bei innenpolitischen Gesetzesvorhaben nicht mehr gebraucht. Dabei dürften die von Schäuble geplanten Maßnahmen, etwa die Erfassung aller Fingerabdrücke und die Speicherung der Telekommunikationsdaten, künftig eher gewöhnlichen Drogen­dealern und Autoschmugglern das Leben schwer machen als Leuten, die ohne jeden persönlichen Kontakt zu einem terroristischen Netzwerk Kofferbomben in Regionalzügen platzieren.

Die Strategie vieler Kritiker, das schlichte Leugnen dieser Terrorgefahr, hilft aber auch nicht weiter. Das könnte auch die Verhaftung zweier deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft in Pakistan von voriger Woche erneut belegen. Sie sollen nach Angaben des pakistanischen Grenzschutzes Kontakte zu al-Qaida gehabt und in Afghanistan ein Trainingscamp von Terroristen besucht haben. Sie befanden sich offenbar auf dem Weg zurück nach Europa.