Darf’s noch mehr Kapital sein?

Wie wächst das Kapital, ohne dass die Löhne offiziell sinken? Mit dem Investivlohn! SPD und CDU haben unterschied­liche Pläne mit dem gleichen Ziel. von georg fülberth

Gehen Sie an den Auslagen Ihrer Sparkasse oder Bank vorbei, werden Ihnen dort nicht nur Kredite angeboten, sondern man wirbt auch um Ihre Einlagen – zu vorteilhaften Zinsen, wie behauptet wird. Lassen Sie sich darauf ein, wird Ihr Geld zu Kapital. Das Geldinstitut verleiht es an Personen und Unternehmen, die Gewinn zu machen versuchen. Dieser wird dreigeteilt: Der Kapitalist behält etwas für sich, zahlt Zinsen an die Bank oder Sparkasse, und von denen bekommen Sie auch etwas davon ab.

Aus der Sicht des Unternehmers, der sich verschulden musste, handelt es sich um einen Umweg, der ihn Zinsen kostet, mithin seine Rendite schmälert. Eine vollständige Eigenfinanzierung seiner Investitionen wäre für ihn günstiger, ist aber selten machbar. Der Bedarf an Fremdkapital kann jedoch gesenkt werden, wenn sich Kosten vermeiden lassen. Niedrige Löhne sind deshalb beliebt. Wer ein Produkt verkauft und nur einen geringen Anteil des erzielten Preises davon an die Beschäftigten zahlen muss, kann vom Überschuss umso mehr seinem schon bestehenden Kapital hinzufügen.

Zur Zeit der Industriellen Revolution wurde der so erzielte Profit noch durch fiese Tricks erhöht. Bei besonders schlimmen Ausbeutern bekamen die Arbeiter ihren Lohn nicht in der allgemein gültigen Landeswährung, sondern in Form von Gutscheinen. Diese konnten nur in werkseigenen Läden eingelöst werden. Der Prinzipal strich die Handelsspanne ein, erhöhte damit seinen Mehrwert und anschließend sein Kapital. Auf diese Weise verließen erhebliche Teile des Lohns die Fabrik gar nicht erst. Lediglich auf das Geld, mit dem der Unternehmer den Trash bezahlte, den er seinen Beschäftigten aufdrängte, musste er verzichten.

Diese Form der Extraausbeutung, die man das Truck-System nannte, ist inzwischen aus der Mode gekommen. Erhalten blieb eine interessante Grundfrage der Betriebswirtschaftslehre: Wie lässt sich nicht nur der Mehrwert selbst, son­dern auch ein möglichst großer Teil des Lohns dem Kapital hinzufügen? Eine Antwort war die keynesianische Nachfragepolitik. Die Einkommen der Massen zu erhöhen, ist eine feine Sache, wenn die Löhne von ihren Beziehern schnell ausgegeben werden. Sie werden von den Unternehmern wieder vereinnahmt, und den Mehrwert, der ja im Preis jeder Waren steckt, kassieren sie auch (und vor allem!) noch.

Was für die Kapitalistenklasse als ganze sinnvoll ist, sieht etwas anders aus unter dem Gesichts­punkt der Konkurrenz. Jeder Unternehmer will einen möglichst großen Anteil an der Gesamtkaufkraft in seine Kassen lenken. Beim Umweg über den Einzelhandel bleibt, wie meine Großmutter gesagt hätte, zu viel an den Hecken hängen.

Einen Ausweg bietet der so genannte Investivlohn. Das bedeutet, die Arbeitseinkommen werden nicht in voller Höhe ausgezahlt, sondern zu einem kleinen Teil dem Kapital des beschäftigenden Unternehmens zugeschlagen und dort zur Erzielung von Mehrwert eingesetzt.

Es gibt verschiedene Formen des Investivlohns. Firmen können zum Beispiel den Lohn teilweise in Aktien ausgeben. Seit einiger Zeit ist das vor allem bei Managern üblich geworden, bei einfachen Lohnabhängigen macht man das nicht so häufig. Eine andere Form der Lohninvestition sind die betrieblichen Rentensysteme. Es kann auch ein Fonds im Unternehmen gebildet werden, in den Teile des Arbeitseinkommens abgeführt werden und der sich je nach Ertragslage verzinst.

Als gesellschaftspolitischer Großversuch war die »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand« während der sechziger und siebziger Jahre an­gelegt. 1961 wurde das »312-Mark-Gesetz« ver­abschiedet. Wer in der Privatwirtschaft abhängig beschäftigt war und diesen Betrag vermögenswirksam anlegte, sparte Lohnsteuer und Sozialabgaben. Zugleich war das eine indirekte staatliche Subvention für das Kapital, das dadurch zusätzlich entstand. (In der sozialliberalen Koa­lition unter Brandt wurde dieser begünstigte Betrag auf 624 Mark erhöht.) Als 1959 die staatli­che Preussag (Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft), 1961 VW und 1965 die Veba (Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks Aktiengesellschaft) privatisiert bzw. teilprivatisiert wur­den, gab es bei der Emission »Volksaktien« für Kleinanleger. In diesen Jahren stiegen die Reallöhne, ab 1961 ging sogar die Lohnquote nach oben, also der Pro-Kopf-Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen im Verhältnis zu den Gewinnen und den Erträgen aus Vermögen. Und das trotz aller »Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand«.

Diese Investivlohnprojekte hatten auch die ideologische Funktion, einen angeblichen Ausgleich zwischen Lohnarbeit und Kapital zu schaffen. So war es kein Zufall, dass der rechte Vorsitzende der IG Bau, Steine, Erden, Georg Leber, ein besonders vehementer Verfechter dieser Art »Volkskapitalismus« war. Er brachte sich damit gegen Otto Brenner in Stellung, den linken Vorsitzenden der IG Metall, der die Überwindung des Kapitalismus propagierte und die betriebliche Mitbestimmung als einen der Hebel hierfür ansah. Bei der Kombination aus beidem konnte man sich einbilden, mit der Schaffung eines gewerkschaftlich und staatlich dirigierten Fonds, der dem Privatkapital Konkurrenz machen sollte, sich irgendwie in eine Art demokratischen Sozialismus hineinakkumulieren zu können. Doch das ist lange vorbei.

Mit dem Ende der Vollbeschäftigung und der Lohndämpfung seit Mitte der siebziger Jahre blieb für Arbeiter und Angestellte nicht mehr genug übrig, um noch »investieren« zu können. Weil den Unternehmen auch noch die Abführungen an die Sozialversicherungen immer lästiger wurden, wird seit den neunziger Jahren eine andere Art von »Volkskapitalismus« empfohlen. So hat etwa die Alterssicherung nunmehr privat zu erfolgen. Gern verwies man dabei auf die USA und machte Reklame für eine »Aktionärskultur«. Die Privatisierung der Telekom war als Initialzündung gedacht, Manfred Krug übernahm einen Werbeauftrag, um den Kauf dieser Aktien zu forcieren. Es ging schief. Als der Kurs in den Keller sank, war dieser amerikanische Traum erst einmal geplatzt.

Bundespräsident Horst Köhler besann sich daher wieder auf Deutschland und empfiehlt seit seiner Wahl im Jahr 2004 immer wieder, dass Beschäftigte sich in »ihre« Unternehmen einkaufen sollten. Nur reicht der Lohn dafür oft nicht, beim Heuern und Feuern geraten sie von einer Firma zur anderen, und wenn eine pleite macht, sind sie ihre Einlage los.

Diesen Bedenken versucht Kurt Becks SPD zu be­gegnen und schlägt einen »Deutschland-Fonds« vor. Wer ein Jahreseinkommen bis 20 000 Euro hat und 400 Euro einzahlt, braucht dafür keine Steuern und Sozialabgaben zu entrichten und bekommt vom Staat noch 80 Euro dazu. Der Fonds gibt das Geld dann an das Unternehmen, in dem die Einzahlenden beschäftigt sind. Von dem Gewinn, der abfällt, erhalten die einzahlenden Arbeiter und Angestellten ihren Anteil. Dadurch, dass der Fonds seine Zuwendun­gen an alle Unternehmen aufteilt, aus denen die Beiträge an ihn fließen, wird das Risiko gemindert, wenn mal eines davon pleite geht. Die dort Beschäftigten sind zwar ihren Job los, aber ihre Einlagen und Zinsen bekommen sie aus dem nach wie vor existierenden Topf. Allerdings hat der Fonds nichts mehr mit den einstigen Träumen von mitbestimmter und auf Eigenkapital gestützter Gegenmacht zu tun.

Der Vorschlag der SPD dürfte ohnehin nicht in der von Beck verkündeten Form Wirklichkeit werden, denn die CDU hat inzwischen ein Gegenmodell vorgelegt. Zwar können danach sogar bis 1 000 Euro vermögenswirksam angelegt werden, aber bitte nur im beschäftigenden Einzelunternehmen. Dadurch soll das Personal dazu gebracht werden, mehr zu leisten und bei den Lohn­forde­rungen bescheidener zu sein.

Ohnehin sind beide Modelle lediglich für die schrumpfende Zahl der abhängig Beschäftigten attraktiv, die ein Leben lang zu einer Kernbelegschaft gehören, und der Ertrag ist so gering, dass er die gleichzeitig geplante Verdampfung insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung nicht wird kompensieren können. Für die Unternehmer aber ist das zusätzliche Kapital ein hübscher Nebenverdienst, und das ist der Zweck der Übung.