Das Foto-Gen

Die Macht der Kamera über die Identität und den Körper. Cindy Sherman zeigt ihre Fotografien im Berliner Martin-Gropius-Bau. Von Heike Runge

Eine Frau im Tanktop und mit Che-Guevara-Kappe sitzt in einem Café in Berlin-Kreuzberg, blättert die Bunte mit der notorischen Caro­line von Monaco auf dem Cover durch und schiebt das Heft dann angewidert weg. »Frauen über 40 kann man einfach nicht mehr fotografieren«, mault sie ihrem Begleiter zu.

Wahrscheinlich hätte Cindy Sherman, deren Arbeiten ein paar Straßen weiter in einer sehenswerten Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt werden, diese Szene und ihre ganz eigene Ikonografie ziemlich amüsant gefunden. Wie sich Menschen, insbesondere natürlich Frauen, den visuellen Codes des Kinos, der Werbung und der Mode fügen, ist ihr großes, meistens witzig, oft auch brutal verhandeltes Thema. Bei Sherman ist die Macht der Kamera, das Schöne zu definieren, total geworden. Das Starwesen hat sich in den Alltag eingefressen, und die Frage, die sich früher nur Schauspiel-Ikonen vor der Kamera zu stellen brauchten, muss sich jede Hausfrau schon morgens beim Bettenmachen stellen: Welches Bild von mir gebe ich ab? Eine Anklage gegen den Schönheitskult gibt es bei Sherman im Unterschied zu explizit feministischen Künst­lerinnen nicht, bei ihr dominiert eine punkige Geste des Nicht-Einverstandenseins, die besagt: Trau dem Schönen nicht!

Schon in der Schulzeit, erzählte sie in einem Interview, wollte sie etwas Kulturelles repro­duzieren und sich gleichzeitig auch über diese Kultur lustig machen. Inzwischen ist sie selbst zur Ikone der Gegenwartskultur geworden, Sherman ist wohl die wichtigste Vertreterin inszenierter Fotografie, ihr besonderer Trick ist es, immer nur sich selbst zu zeigen und damit gleichzeitig als Regisseurin, Hauptdarstellerin und Fotografin zu agieren. Wer meint, ihr Werk schon zu kennen, kann sich von der umfassenden Retrospektive eines Besseren belehren lassen. Zu sehen sind über 220 Arbeiten aus allen Schaffensperioden, von den frühen Schwarz-Weiß-Fotografien der siebziger Jahre bis zu der aktuellen Serie »Clowns« mit psychedelisch wirkenden, digital erzeugten Bildhintergründen, in der das Beunruhigende und Erschreckende der Clownsfigur betont wird. In dieser vorerst letzten Werkreihe wird erstmals auch die eigene künstlerische Strategie des Parodierens und Karikierens hinterfragt.

Mit ihren Soft-Core-Persiflagen wurde die 1954 bei New York geborene Sherman weltberühmt. Die Farbfotografien zeigen junge Frauen in seltsam unbestimmten Situationen. Die Serie »Rear Screen Projection« (1980) zitiert Stereo­typen und Ambiente der Kinematografie und setzt einen Kreislauf der Blicke in Gang. Ob sie behutsam eine Flasche an die geöffneten Lippen führt oder aufgewühlt ein Taxi heranwinkt – immer sucht die Protagonistin vorbei am Blick des Betrachters den Augenkontakt mit einer Person außerhalb des Bildes. Dadurch entsteht die besondere Spannung, der Betrachter hat das Gefühl, einer Szene zuzuschauen, die nicht für seine Blicke bestimmt ist. Die ein Jahr später veröffentlichte Serie »Centerfolds/Horizontals« spielt noch deutlicher mit den Motiven von Heimlichkeit, Verführung und Gefährdung. Sitzend oder liegend, aus großer Nähe aufgenommen, erscheint die Protagonistin als Opfer. Die Frau, die mit zerwühlter Kleidung auf dem Sofa liegt und auf das Telefon starrt, kann dabei genauso gut ein Verbrechensopfer sein, das gleich die Polizei rufen wird, wie eine verlassene Hausfrau, die verzweifelt auf den Anruf des Gatten wartet.

In späteren Arbeiten fehlt das Spiel mit der Sexyness; das Gewalttätige, Kaputte und Albtraumhafte bricht sich Bahn. In der »Fairy-­Tales«-Serie sieht man einen nackten, von Erde bedeckten Frauenkörper bäuchlings auf dem Waldboden liegen, das Hinterteil – entweder eine Prothese oder der Unterleib einer Schaufensterpuppe – obszön exponiert. Noch gruseliger werden Frauenkörper in der Reihe »Disasters« (1986 bis 1989) inszeniert. Eine schlaffe Gummi-Sexpuppe liegt hingegossen auf einer Schutt­halde. Ein anderes Bild zeigt ein ekliges Durcheinander von Haaren und Haut, lediglich ein verdrehtes Auge verweist noch auf die Existenz eines vermodernden Gesichts. In einer Landschaft aus Muffins, Ketchup und Erbrochenem liegt eine Sonnenbrille herum, in deren Gläsern sich das Gesicht einer Frau mit aufgerissenem Mund spiegelt. Dass es sich um eine Bulimikerin nach dem Kotzen handelt, ist eine noch vergleichsweise optimistische Deutung.

Um Frauen, die ihr Leben lang versuchen, ihrem eigenen Jugendfoto zu gleichen, geht es dann in der großartigen und hochkomischen Parodie »Hollywood/Hampton Types« (2000 bis 2002). Sherman zufolge sollen die »Figuren gescheiterte oder in Vergessenheit geratene Schau­spielerinnen sein (Sekretärinnen, Hausfrauen oder Gärtnerinnen im richtigen Leben), die für Porträtaufnahmen posieren, um sich damit für einen Job zu bewerben. Diese Leute versuchen, sich so gut wie möglich zu verkaufen. Sie bitten den Betrachter inständig: ›Wollen Sie mich nicht einstellen?‹«

In dieser Serie läuft Sherman zur Hochform auf. Man staunt einmal mehr über ihre fast gespenstische Wandlungsfähigkeit. Es ist eine Chamäleonhaftigkeit, die weit über das hinausgeht, was man von wandlungsfähigen Darstellern sonst gewohnt ist. Während Madonna immer Madonna ist, egal ob sie im verruchten SM-Outfit oder im netten Blümchenkleid auftaucht, ist Cindy Sherman immer nur die Akteurin ohne Identität, jedoch mit der Fähigkeit, jede beliebige anzunehmen. Niemals hat Sherman diesen Kampf des Einzelnen um einen Platz im Spiel der sozialen Identitäten, dessen ganze Brutalität sich hinter belanglosen Stil­fragen verbirgt, krasser, eindrucksvoller, grotesker dargestellt als in dieser Galerie der zu Make-up-Masken erstarrten Frauentypen. Da werden Tanzstundenträume von gestern in lila Tüll konserviert, Kleinmädchen-Posen der Fünfziger von gestandenen Suburbia-Hausfrauen imitiert. Ganz besonders grausam jedoch schlagen die Dresscodes eines der Jugendkultur verpflichteten Outfits auf seine älter gewordene Repräsentantin zurück. Es sind dann auch Shermans grauzöpfige Rastafari-Lady, das ewige Hippie-Mädchen und die unbekannte Punklegende, die einen Kommentar zur Tragik eines durchmediatisierten Lebens abgeben, der unvergesslich ist. Auf das Alterswerk von Cindy Sherman darf man sich schon jetzt freuen.

Cindy Sherman. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Bis 17. September